Wirtschaftsbeziehungen:Ein paar Illusionen weniger

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(Foto: SZ-Grafik)

Viele Unternehmen aus Deutschland investieren schon lange in Brasilien. Jetzt spüren sie die Krise des Landes. Aber eben jene bietet auch Chancen auf Verbesserungen.

Von Alexander Hagelüken, München

Wenn Volker Treier über Brasilien redet, überrascht er seine Gesprächspartner schnell. Dazu muss er nur fragen, wo sich die größte Ansammlung deutscher Industriebetriebe außerhalb Deutschlands findet. In Frankreich? In den USA? In China? Alles falsch, erklärt Treier, einer der Geschäftsführer des Wirtschaftsverbands DIHK. Die richtige Antwort lautet: São Paulo. Deutsche Firmen machen in Brasilien seit mehr als 100 Jahren Geschäfte. Sie haben dort mehr investiert als in den Wirtschaftsmächten Japan oder Russland, gerade in dem sensationellen Boom der vergangenen Dekade. "In den Nullerjahren waren deutsche Firmen nicht frei von der Illusion, dass es immer weiter aufwärts geht", sagt Treier.

Bundeskanzlerin Angela Merkel reist an diesem Mittwoch in ein Land, das einige Illusionen verabschieden muss. Die Wirtschaft dürfte dieses Jahr erneut schrumpfen. Der Verfall der Rohstoffpreise trifft ein Land hart, das etwa nach Deutschland zu 70 Prozent Rohstoffe und Nahrung exportiert. Dazu kommen hohe Inflation, der Korruptionsskandal um den Ölkonzern Petrobras und die Proteste gegen die Regierung. Ein Klima der Unsicherheit, das Treier etwa anhand der 1500 Zulieferbetriebe der staatlichen Petrobras beschreibt: "Kaum einer weiß, ob er mit den anderen Firmen Geschäfte machen darf, weil sie vielleicht in Korruption verstrickt sind."

Deutschlands Exporte nach Brasilien, schon 2014 um acht Prozent gefallen, dürften dieses Jahr erneut um fünf Prozent sinken. Es trifft auch die deutschen Firmen vor Ort, deren direkte Investitionen im Land zu zwei Dritteln auf die Branchen Chemie, Maschinenbau und Autos verteilt sind. Radikale Reaktionen bleiben trotzdem aus. " Keiner wird den brasilianischen Markt verlassen", erwartet Alexander Schober, für die deutsche KfW-Bank in São Paulo vor Ort. Dafür ist das Potenzial zu groß in einem konsumfreudigen Land, in dem auch nach Jahren des Booms prozentual weniger als halb so viele Menschen ein Auto besitzen wie in Deutschland.

Banker Schober sieht bei allen aktuellen Problemen für deutsche Firmen auch Chancen durch die Krise. So könnten deutsche Chemiebetriebe oder Maschinenbauer brasilianische Betriebe übernehmen, die wegen der Rezession und der abgewerteten Landeswährung Real günstig zu haben sind. Eine andere Hoffnung ist, dass öffentliche Aufträge nach dem Petrobras-Skandal transparenter vergeben werden. Davon würden deutsche Firmen ebenso profitieren wie von einer Lockerung der Vorschriften, die bei Aufträgen und anderen Geschäften brasilianische Unternehmen bevorzugen.

Entscheidend ist aber auch für die deutschen Unternehmen, die in Brasilien 250 000 Menschen beschäftigen, wie rasch das Land seine Krise überwindet. Philipp Hauber vom Kieler Institut für Weltwirtschaft sieht bei aller Kritik, die auch international auf die Regierung einprasselt, durchaus positive Ansätze. Zwar bremsten die hohen Zinsen der Notenbank die Konjunktur, doch es sei richtig, auf diese Weise die Inflation zu bekämpfen - damit die Verbraucher wieder konsumieren. Auch die Sanierung des Haushalts werde helfen, genau wie die Abwertung des Real um gut 30 Prozent. Damit das Land wieder boomt, hält Hauber noch weitere politische Maßnahmen für nötig: "Die Finanzmittel sind in der Vergangenheit falsch verwendet worden."

Skeptiker monieren, dass es in der wirtschaftlichen Not Signale für mehr Protektionismus gibt

Damit meint er das viele Geld, das durch die Rohstoffhausse ins Land strömte. Der Zufluss machte die Produktion im Land teuer, was Exporte erschwert. Und der Staat gab das Geld zu oft für Prestigebauten wie das berühmte WM-Fußballstadion im Amazonasgebiet aus, während die ökonomisch notwendige Infrastruktur litt: Straßen, Schienen und Datennetze genau wie Bildung. "Wenn die Arbeitskräfte schon vergleichsweise teuer sind, sollten sie gut ausgebildet sein", sagt DIHK-Geschäftsführer Treier. "Das sind sie aber in vielen Fällen nicht." Große deutsche Unternehmen bilden ihre Mitarbeiter in Brasilien oft selber fort, für Mittelständler ist das deutlich schwieriger.

Ob die angeschlagene Regierung den Weg zu strukturellen Reformen findet, steht derzeit in den Sternen. Skeptiker monieren, dass es in der wirtschaftlichen Not Signale für mehr Protektionismus gibt. So schotte sich Brasilien, Argentinien und andere Nachbarn im Handelsbündnis Mercosur derzeit eher voneinander ab, als gegenseitig ihre Märkte zu öffnen.

KfW-Banker Schober rät, trotz der aktuellen Schwierigkeiten das Potenzial zu sehen: "Wenn die Sanierung des Haushalts klappt und die Krisen überwunden werden, bietet Brasilien weiter unglaubliche Perspektiven." Er erzählt dazu Geschichten aus einem riesigen Land mit einem großen Energiereservoir und einer starken Kauffreude der 200-Millionen-Bevölkerung. Konsum wird leicht gemacht, was jeden Investor interessieren wird. Als Schober vor einer Weile im Laden ein paar Flip-Flops erstehen wollte, bot ihm das Personal an, er könne die Schuhe auch auf Kredit erwerben. Und den Kaufpreis von umgerechnet zehn Euro auf Raten bezahlen.

© SZ vom 19.08.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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