Werbung:Achtung, Busen!

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Motive wie diese aus den Siebzigerjahren sehen Politik und Deutscher Werberat heute gar nicht gerne. Doch stellt sich die Frage, ob in der Werbung nicht schlimmere Instrumente als dumpfer Sexismus zum Einsatz kommen. (Foto: oh)

Zu sexy, zu süß, zu ungesund: Reklame wird immer stärker reglementiert. Doch die Firmen wissen sich zu wehren. Über einen erbitterten Kampf.

Von Angelika Slavik

Zweimal im Jahr veröffentlicht der Deutsche Werberat eine Liste mit öffentlichen "Rügen". Er prangert Unternehmen an, die mit ihrer Werbung gegen die guten Sitten verstoßen, oder zumindest gegen das, was der Werberat unter guten Sitten versteht. Nur selten betrifft das die Kampagnen der großen Konzerne, in der Regel sind es die Reklamebemühungen kleiner Firmen, die den Moralaposteln der Werbebranche missfallen. Zuletzt mit dabei: ein Hersteller von Industrietoren, der die Qualitäten seines Produkts durch die Abbildung eines erigierten Penis verdeutlichen wollte ("Tore der Extraklasse"), außerdem eine Druckerei, ein Fliesenleger und ein Elektrohändler: Zwei setzten auf Frauen in Dessous, einer auf ein Model mit hochgeschobenem Rock ohne Kopf. Neben einem stand: "Mehr als scharfe Kurven." Provinzklassiker eben.

Manchmal machen aber auch große Konzerne Schlagzeilen: Die amerikanische Modemarke Calvin Klein etwa lanciert in diesen Tagen eine Kampagne unter dem Motto "I flash in my Calvins", ich entblöße mich in meinen Calvins. Dazu ein Bild von einem Model, von unten fotografiert, sodass die Betrachter ihr unter den Rock schauen. "Calvin Klein macht Marketing für Perverse", kommentierte die New York Times.

Müssen die Bürger vor der Wirtschaft geschützt werden? Oder die Firmen vor dem Staat?

Sexismus ist die häufigste Beschwerde, wenn Werbung kritisiert wird - und wenn es nach den jüngsten Plänen des Bundesjustizministers Heiko Maas geht, dann könnten Unternehmen fortan mit heftigeren Konsequenzen zu rechnen haben als nur mit öffentlicher Schelte. Maas will Sexismus in der Werbung gesetzlich verbieten lassen. Und die Werbebranche? Die findet das gar nicht gut.

"Es ist ja richtig, dass gegen sexistische Werbung vorgegangen wird", sagt etwa Wolf Ingomar Faecks, Chef des Kreativverbands GWA. "Aber dass man Richter über Geschmacksfragen entscheiden lassen will, ist bedenklich." Die Entwicklung der vergangenen Jahre, Werbung immer weiter zu regulieren, sei "ordnungspolitisch ein fatales Signal", sagt Faecks.

Tatsächlich ist die Idee aus dem Bundesjustizministerium nicht die erste Initiative, die die Werbebranche stärker regulieren will, im Gegenteil. Mittlerweile gibt es Einschränkungen bei der Werbung für Zigaretten, für Alkohol und für Lebensmittel. Auch die Kosmetikindustrie darf nach einer EU-Initiative nicht mehr uneingeschränkt Wunder versprechen. Und jetzt stehen eben auch Plastikbrüste und Zoten im Fokus.

Diese Entwicklung ist nicht nur die Angelegenheit eines Industriezweigs, der gelegentlich zu geschmacklichen Totalausfällen neigt. Bei all dem dreht es sich auch um eine andere, größere Frage: Müssen die Bürger vor der Wirtschaft geschützt werden? Oder die Unternehmen vor der Regulierungswut der Behörden?

Werber Faecks findet, die immer neuen Einschränkungen förderten das Bild eines unmündigen Verbrauchers. "Das propagiert die Idee eines Menschen, der vom Staat geführt und geschützt werden muss", sagt Faecks. Er, und die meisten Vertreter seiner Branche, lehnen das ab. Mündige Bürger könnten mit den Begleitgeräuschen des Kapitalismus umgehen, argumentieren sie. Und für geschmackliche Verirrungen würde die Gesellschaft die Unternehmen auch ganz ohne gesetzliche Grundlage abstrafen.

Andere sehen das nicht so, viele Verbraucherschutzorganisationen zum Beispiel. Foodwatch etwa plädiert seit vielen Jahren für stärkere Restriktionen bei Werbeversprechen. Jüngst legte die Organisation eine Studie vor, wonach 90 Prozent jener Produkte, die damit werben, viele Vitamine zu enthalten, in Wahrheit besonders ungesund seien - weil sie zu viel Salz, zu viel Zucker oder schlechte Zusatzstoffe enthielten. Diese Form von Werbung sei Verbrauchertäuschung, argumentiert man bei Foodwatch. Und davor müssten die Bürger sehr wohl geschützt werden, mündig hin oder her.

Werbung ist heute mehr als einfach nur irgendeine Branche. Es ist eine Kampfzone geworden, ein Feld, in dem um die Balance von Freiheit und Verantwortung gerungen wird und um die Bilder, die die Gesellschaft prägen. Der GWA-Chef Faecks sagt: "Gesellschaft spiegelt sich in der Werbung, nicht umgekehrt. Werbung macht nicht Gesellschaft."

In Frankreich und in Großbritannien hat sich diese Sichtweise nicht durchgesetzt. Hier setzen staatliche Stellen vor allem der Mode- und Kosmetikindustrie zu - weil die ein ungesundes Schönheitsideal verkaufen würden und dadurch das Selbstbild vor allem junger Frauen negativ beeinflussen könnten. Faecks sagt, man müsse sich doch fragen, wie weit die Regulierung gehen solle. Von einer Zensur in der Werbung sei es nur ein kleiner Schritt zur Zensur der Medien. Da werde schließlich auch oft ein zweifelhaftes Frauenbild vermittelt, etwa in den Trash-Formaten des Privatfernsehens. "Eine Geschmackspolizei können wir als Gesellschaft nicht wollen."

Die Schule lässt ein Sportfest sponsern, und zur Siegerehrung kommen alle ins Autohaus

Doch nicht nur dort, wo Werbung öffentlich sichtbar ist, wird um Einfluss gerungen. Während die Industrie also scheinbar immer neue Restriktionen akzeptieren muss, nutzt sie die Lücken, die an einer anderen, besonders sensiblen Stelle entstanden sind: Unternehmen drängen in Schulen und manchmal auch in Kindergärten. Kein Wunder, denn Kinder sind eine besonders begehrte Zielgruppe. Sie sind die Kunden von morgen und gleichzeitig natürlich auch noch besonders unkritisch gegenüber Werbebotschaften. Genau deshalb ist Werbung im Schulumfeld in Deutschland eigentlich auch verboten. Doch in den einzelnen Bundesländern gibt es unterschiedliche Regelungen zu Sponsoringaktivitäten. Viele Schulen nehmen kostenloses Unterrichtsmaterial von Firmen an, andere lassen Sportveranstaltungen sponsern. Nicht immer sind die Grenzen eindeutig: Vor ein paar Jahren etwa warb der Keksproduzent Bahlsen damit, Klassenreisen finanziell zu unterstützen, wenn zuvor eine ausreichende Zahl an Sammelpunkten von Keksverpackungen eingereicht wurde - das wurde gerichtlich verboten. Aufregung verursachte auch ein Unternehmen, das Fitnessläufe in Schulen veranstaltet, bei denen die Schüler Kassenzettel mit Firmenlogos sammeln und dann zu einer Abschlussveranstaltung kommen sollen, gerne im lokalen Autohaus. Das Unternehmen ist immer noch aktiv.

Man könnte jetzt fragen, warum der Werberat dazu eigentlich nichts gesagt hat. Oder warum die Politik ihre Regulierungsbemühungen nicht auf diesen Bereich konzentriert. Aber vielleicht sind alle einfach immer so abgelenkt von dem vielen Sex, überall.

© SZ vom 14.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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