Werbeprospekte:Papierflut im Briefkasten

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Eine mit Prospekten überfüllte Briefkastenanlage (Symbolfoto). (Foto: imago stock&people)

Mindestens zwölf gedruckte Handzettel erreichen einen deutschen Haushalt pro Woche. Sie sind noch immer das beliebteste Werbemedium des deutschen Handels. Warum eigentlich?

Von Daniela Strasser

Ingo Wienand ist Herr über 140 Millionen Prospekte, jede Woche. Das macht 600 Millionen Prospekte im Monat und 7,2 Milliarden pro Jahr. Er gestaltet sie nicht, er druckt sie nicht und er fährt sie auch nicht persönlich aus. Wienand kümmert sich aber mit seiner Firma darum, dass die Werbeprospekte da landen, wo sie hinsollen: In den Briefkästen der 40 Millionen deutschen Privathaushalte. Direkt im Briefkasten wohlgemerkt, darauf legen seine Auftraggeber wert.

Wienand ist Geschäftsführer von Media Central in Mönchengladbach, einem der führenden Dienstleister für die "nichtadressierte Haushaltswerbung". Damit sind die Prospekte und Anzeigen gemeint, die den heimischen Briefkasten fluten, wenn man nicht gerade das Schild "Bitte keine Werbung einwerfen" darauf kleben hat. Zu Wienands Kunden zählen Edeka, Rossmann, McDonald's und Kaufland, sie alle haben ihm ihr Prospektgeschäft oder Teile davon anvertraut. Die Marketing-Verantwortlichen sagen ihm, wann ihre Werbezettel wo landen sollen, und Wienands Firma sorgt mittels moderner Computerprogramme und Analysemethoden dafür, dass die Zustellquoten eingehalten werden. Sein PC sagt ihm, wer wo wohnt und wie er dort am besten hinkommt. 170 Mitarbeiter beschäftigt Media Central, für 2016 nennt Wienand einen Umsatz von mehr als 225 Millionen Euro. Nur mal zum Vergleich: Philipp und Keuntje, eine Werbeagentur von ähnlicher Größe, kommt dagegen "nur" auf 21 Millionen Euro Umsatz.

Die Konkurrenz von Media Central ist überschaubar. Es gibt auf dem Markt weitere Spezialfirmen wie Prospega und Sommer & Goßmann, daneben mischen Mediaagenturen, die Deutsche Post und Verlage mit. Viele Unternehmen, darunter Lidl, kümmern sich selbst um ihre Prospekte.

Viele Bürger passen ihren Speiseplan noch immer den Schnäppchen im Supermarkt an

Das Geschäft mit den Werbezetteln floriert. Und das ist bemerkenswert, denn genau genommen dürfte es dieses Geschäft gar nicht mehr geben. Noch vor einigen Jahren hatten Handelsexperten den Prospekten ein baldiges Ende vorhergesagt. Lapprige Handzettel, hieß es, vertrügen sich nicht mit der Zukunft. Künftig sollten die Kunden die Schnäppchen vom örtlichen Supermarkt bequem per App aufs Smartphone gespielt bekommen. Und Werbeflyer? Die sollten höchstens noch in digitaler Form existieren, wahlweise abrufbar auf den Seiten des jeweiligen Unternehmens oder auf neuen Internetportalen wie Kaufda oder Marktguru. Hatte es geheißen. So weit, so falsch. Zwar legt das Online-Geschäft zu, verglichen mit den Printprospekten aber in überschaubarem Rahmen. Für den deutschen Handel ist der gedruckte Prospekt noch immer das Werbemedium Nummer eins - und das hat gute Gründe. Ein paar Zahlen: Bei Media-Markt entfallen in den Filialen regelmäßig bis zu 50 Prozent des Umsatzes auf im Prospekt beworbene Waren. Gleiches Bild an der Frischetheke von Supermärkten: Bis zu 70 Prozent des Umsatzes macht dort Printprospekt-Angebotsware aus. Eine Vielzahl der deutschen Haushalte passen ihren wöchentlichen Speiseplan noch immer den Schnäppchen im Supermarkt an. Der Prospekt und die Preise darin können sogar kriegsentscheidend sein: Wer das Lenor-Waschmittel 20 Cent zu teuer anbietet, kann schon mal einen Großteil seiner wöchentlichen Kunden verlieren. Viele Unternehmen haben Beschwerdestellen, bei denen man anrufen kann, sollte der Prospekt nicht ankommen. Angeblicher Rekordstand 2016 bei einer Discounterkette: 6000 Anrufe in sieben Tagen.

Der deutsche Handel ohne seine Prospekte, das wäre im Moment undenkbar. Es stimmt also nicht, dass jeder Bürger die Werbezettel im Briefkasten ungesehen wegschmeißt. Im Gegenteil. Das Prospektgeschäft läuft so gut, weil die Kunden weiter daran glauben. Das Einkaufsverhalten der Deutschen hat sich anders beziehungsweise sehr viel langsamer geändert als vorhergesagt: Noch längst nicht jeder rennt mit gezücktem Smartphone durch den Supermarkt oder durchs Möbelgeschäft, vor allem Familien und Ältere kaufen ein wie gehabt, und das vor allem preisorientiert.

Herausforderungen aber gibt es genug für die Branche. "Man muss die Prospekte in ein neues Zeitalter hineinführen", sagt zum Beispiel Alexander Ewig, Marketingchef von Media-Markt. Die Media-Saturn-Holding gibt pro Jahr um die 400 Millionen Euro für Werbung aus, ist damit der drittgrößte Werbungtreibende in Deutschland, ein sehr großer Teil des Geldes fließt in die Prospekte. Neulich erst hat Ewig seine Kunden befragen lassen. Das Ergebnis: Sie wollen auf die Handzettel keinesfalls verzichten. 2011 hatte die Kette sogar kurzzeitig mal versucht, ohne Printprospekte zu werben. Ewig will den dadurch entstandenen Umsatzeinbruch nicht genauer beziffern, aber er dürfte mehr als erheblich gewesen sein.

Statt sich also mögliche Alternativen für den Prospekt zu überlegen, pimpen die Händler lieber ihre Printerzeugnisse. Aktuelles Branchenvorbild: Ikea. Hört man sich im Handel um, gibt der schwedische Möbelkonzern mit seinem Ikea-Katalog vor, wie der Prospekt der Zukunft idealerweise aussehen sollte: angereichert mit echten Menschen und deren Geschichten und anderen Mehrwerten. Das Vorbild scheint zu wirken. Selbst Aldi und Lidl, die traditionell stark preisorientiert werben, ergänzen ihre Werbezettel mittlerweile um Kochrezepte und Ernährungstipps.

Wie genau die Preise im Prospekt entstehen, darüber schweigt die Branche dagegen beharrlich. In aller Regel gibt es wohl Kontingentabsprachen. Beispiel: Ein Markenhersteller vereinbart mit dem Supermarkt Abnahmezahlen in einer gewissen Größenordnung. Die Händler setzen das dann nach eigenem Ermessen im Prospekt ein. Es heißt, die großen Markenartikler hätten aber durchaus ein Auge darauf, dass ihre Produkte dort nicht komplett "verramscht", sprich viel zu billig angeboten werden.

Der Aufkleber "Bitte keine Werbung" reicht nicht

Es gibt ein Problem für die Prospektmacher: die Quote der Werbeverweigerer, also jene Haushalte, die "Bitte keine Werbung einwerfen" auf ihren Briefkästen kleben haben. Sie liegt in Deutschland im Schnitt bei 20 Prozent, in Ballungsgebieten wie München sogar bei 40. In solchen Gebieten legen die Händler ihre Werbung dann lieber Anzeigenblättern bei oder überlegen sich Alternativen. Die reichweitenstärkste heißt "Einkauf Aktuell", der in Folie geschweißte Prospektsammelpack der Deutschen Post, die 20 Millionen Haushalte damit beliefert. Viele Werbechefs mögen Einkauf Aktuell nicht: An erster Stelle steht das Fernsehprogramm, der letzte Einleger stammt stets von Real. Wenig Platz also für die Selbstdarstellung der anderen. Seit der Mindestlohn allerdings die Gegebenheiten für Austräger und die Bedingungen für die Branche insgesamt verkompliziert hat, setzen mehr Firmen als früher auf das Werbebündel. Rechtlich gesehen dürften die Austräger bei dem Schild "Bitte keine Werbung" übrigens zwar keine losen Werbeprospekte einwerfen, dafür aber Anzeigenblätter mit eingelegten Prospekten. Wer ganz schlau ist als Verbraucher, der hat also auch noch den Zusatz "Und keine Anzeigenblätter" darauf stehen.

Noch funktioniert der analoge Markt mit den Werbeprospekten gut. Dem Handelsinstitut EHI zufolge soll der Anteil von Prospekten am Gesamtwerbebudget des Handels allerdings bis 2018 von jetzt 40 auf dann 31 Prozent fallen. Das ist immer noch viel, bedenkt man etwa, dass Fernsehwerbung bei großen Unternehmen manchmal weniger als zehn Prozent des Budgets ausmacht. Sollten sich die Prognosen bewahrheiten, könnten die jungen Angreifer davon profitieren: Springers Bonial-Gruppe zum Beispiel, die Kaufda.de und Meinprospekt.de verantwortet, oder die neue App Marktguru. Zukunftsmusik, auf die Media-Central-Geschäftsführer Ingo Wienand zwar hören, aber die er noch nicht ernsthaft fürchten muss.

© SZ vom 09.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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