Welt des Kaufhauses:Frau Mayer, bitte an 18!

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Sie sind Orte des Glücks und Spiegelbilder unser selbst - warum wir Kaufhäuser brauchen.

Martin Zips

"Na mein Junge?", fragte mich der Geschäftsführer. "Magst du mal auf's Warenband?" Was? Ich? Auf das Warenband, auf dem sonst nur der Einkauf zur Kasse fahren darf? Natürlich mochte ich. Der Geschäftsführer zwinkerte der Kassiererin zu, die Kassiererin fasste mich unter den Armen, setzte mich auf das Band, drückte mit dem Fuß auf ein geheimnisvolles Pedal und schon fuhr ich - von zwei Trennhölzern eingekeilt - auf sie zu.

"Na mein Junge?. Magst du mal auf's Warenband?" (Foto: Foto: ddp)

"Aha, ein Sonderangebot", sagte die Kassiererin, als ich bei ihr angekommen war. Sie klimperte ein bisschen auf der Tastatur herum. Ich blickte die Frau und den Geschäftsführer mit feuchten Augen an, schaute zu den anderen Einkäufern herüber, die um mich herum an verschiedenen Supermarktkassen warteten. Sie schauten doch hoffentlich alle! Ich war das Sonderangebot aus dem Supermarktregal!

Eintauchen in Wühltische

Seit Aristide Boucicaut sind Kaufhäuser Orte des Glücks. Boucicaut hatte 1852 in Paris das noch heute gültige Prinzip (große Auswahl, niedriger Preis, viele Sonderangebote) erfunden.

Das Eintauchen in imposante Wühltische, das Einatmen der stickigen Umkleidekabinenluft, der Biss in das geschenkte Stück Emmentaler von der Käsefrau, das Hören der Durchsagen ("Unser Metzgermeister empfiehlt heute ...", "Frau Mayer, bitte an 18!"), der Spaziergang durch den Kühlraum, der stundenlange Aufenthalt in der Spielwarenabteilung - all das mag ja aus vielerlei Gründen zu verdammen sein.

Glücklich macht es trotzdem. Ich würde in Kaufhäusern am liebsten alles öffnen, schütteln, aufblasen und einsacken. Wahrscheinlich bin ich ein Kapitalist. Oder kaufsüchtig. Für mein Leben gerne benutze ich Rolltreppen. Am liebsten in verkehrter Richtung.

Heranwachsende probieren in Kaufhäusern gerne Parfums aus und lesen heimlich die Aufdrucke der Kondomverpackungen. Nicht mit allem, was sie interessiert, trauen sie sich auch an die Kasse. Erwachsene wiederum halten sich vor allem in der Lebensmittel- und Wein-Abteilung auf. Senioren interessiert die Abteilung "Kurzwaren".

Kurz mal berühren

Es heißt ja, dass heutzutage immer mehr Menschen im Internet shoppen. Auch dort ist alles erhältlich, vieles ist sogar billiger. Im Internet ist immer geöffnet. Aber bringt einem der Postbote, wenn er die Ware mit schweißnasser Stirn an der Haustür überreicht, auch das Glück ins Haus? So praktisch und zeitsparend der virtuelle Einkauf auch sein mag, es bleibt ein merkwürdig flaues Gefühl.

Mag man Dinge, bevor man sie erwirbt, nicht wenigstens kurz mal berühren? Sind die Dialoge mit den Verkäufern nicht oft ganz großes Theater ("Sagen Sie, was ist der Unterschied zwischen diesen beiden Babyphonen?" "Äh, das Design.")?

Ist ein Kaufhaus, in dem es von der Spiralnudel bis zum Rasenmäher alles gibt, nicht der allerbeste Ort, um sich - versteckt in einer Menschenmasse - über aktuelle modische, soziale und politische Entwicklungen zu informieren? Um sich notgedrungen auch mal im Verzichten zu üben?

Wir Menschen brauchen große bunte Einkaufstempel - denn hier können wir wie "Die Marx Brothers im Kaufhaus" sein oder uns für ein paar Minuten wie der große Bellheim fühlen. Blöd nur, dass man als Erwachsener nicht mehr auf dem Warenband spazieren fahren darf.

© SZ vom 08.08.2008/hgn - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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