Wein aus dem Internet:Kostprobe per Klick

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Weine sind ein sinnliches Erleben. Dennoch wagen sich Start-ups an den Verkauf der edlen Tropfen im Netz. Warum nur?

Von Varinia Bernau

Er hatte keine Aussicht, ein Weingut zu erben, sagt Michael Reinfrank. Deshalb hat der gelernte Winzer nach der Ausbildung in einer edlen Weinboutique in Frankfurt angefangen und vor drei Jahren seinen eigenen kleinen Laden in Mainz eröffnet. Weil er sehr schnell schon keine Lust mehr hatte, "sich verkleiden zu müssen", wie er sagt. Reinfrank, 33, trägt Jeans, Turnschuhe und ein T-Shirt, unter dem sich ein kleiner Bauch wölbt. Auf seiner Visitenkarte steht "Weinfutzi". Er schwenkt das Glas Scheurebe, eine alte deutsche Rebsorte, die er seinen Kunden zur Wiederentdeckung empfiehlt - statt des ähnlich schmeckenden Sauvignon Blanc. "Das ist mal ein richtig geiler Wein."

Christian Hoya, 30, und Stephan Linden, 31, sitzen in einem nüchternen Besprechungsraum in einem Berliner Hinterhof. Die beiden tragen karierte Hemden und brave Scheitel. Sie haben keine Winzerlehre absolviert, sondern ein Studium an der WHU bei Koblenz, wo schon Deutschlands Vorzeige-Internet-Unternehmer Oliver Samwer lernte, wie man erfolgreich Geschäfte im Netz macht. "Wir sind aus Dortmund, eigentlich hätten wir was mit Bier machen müssen", sagt Linden. Aber mit Bier lässt sich nicht so viel Geld verdienen. Also haben sie etwas mit Wein gemacht: Wine in Black heißt das Unternehmen, das sie vor vier Jahren gegründet haben.

Reinfrank und Linden könnten kaum unterschiedlicher sein. Der eine hat eine Leidenschaft für Weine, der andere einen guten Businessplan. Doch ihr Ziel ist das gleiche: Sie wollen den Handel mit Weinen ins digitale Zeitalter führen. Ausgerechnet Wein, dieses sinnliche Erlebnis: das Glas gegen das Licht halten, das Aroma einatmen und schließlich einen ersten Schluck schmecken. Und dann auch noch eine Kundschaft, die das genaue Gegenteil derer ist, die mit dem Internet groß geworden sind.

Etwa 300 Millionen Euro wurden im vergangenen Jahr in Deutschland mit Wein im Internet umgesetzt. Das sind zwar nur fünf Prozent des Umsatzes, der auf allen Wegen mit Wein gemacht wird. Aber, auch das hat das Deutsche Weininstitut kürzlich in einer Studie erfasst, wer Wein im Netz kauft, der tut dies vor allem bei Fachhändlern - oder direkt bei den Weingütern. Deshalb liegt der Preis von einem Liter Wein, der im Netz bestellt wird, mit 6,68 Euro auch deutlich höher als der durchschnittliche Kaufpreis, der gerade einmal 2,89 Euro beträgt. Und wer Wein im Netz kauft, der kauft, natürlich, auch deutlich größere Mengen.

Illustration: Stefan Dimitrov (Foto: Dimitrov)

"Babyphone-Eltern" nennen die digitalen Sommeliers ihre Kundschaft

Als Michael Reinfrank damals seinen Laden eröffnete, hat er ein Schild davor gestellt. "Geile Weine aus Mainz", stand darauf. Einer der ersten, der kam, war ein älterer Herr. "Mit Hut", wie Reinfrank betont. "Der hat ein Gezeter gemacht, dass ich doch solche Ausdrücke nicht verwenden kann. Und dann wollte er unbedingt mit meiner Mutter reden." Der typische Kunde von Reinfrank, das wurde kein älterer Herr mit Hut. Das wurde eher jemand wie Sedat Aktas. Der 38-Jährige trägt eine Brille, wie sie in den Siebzigern schon mal in Mode war und es nun wieder ist. Er hatte mal eine Werbeagentur und scheiterte eines Abends bei dem Versuch, auf dem Weg zu einer Party noch eine Flasche Wein zu kaufen. Auf die Frage, was es denn für eine Rebsorte sein solle, antwortete er: "Ich habe keine Ahnung von Rebsorten." Der Verkäufer hat ihn abblitzen lassen. Aktas ist ohne eine Flasche Wein auf die Party gegangen. "Dafür hatte ich ein Gesprächsthema für den gesamten Abend." Weil er ahnte, dass es eine Menge Leute gibt, die sich - anders als der ältere Herr mit Hut - wünschten, dass ihnen mal jemand in ihrer Sprache erklärt, was ein geiler Wein ist, überredete er Reinfrank, seinen Mainzer Laden auch ins Internet zu bringen.

Auf der Webseite von Geile Weine kann man nun in eine Suchmaske eingeben, für welche Gelegenheit man einen Wein sucht: Zur Begleitung für ein Buch auf der Couch? Zu einem Musikfestival? Oder um Eindruck bei den Schwiegereltern zu machen? Die Weine, die einem dann empfohlen werden, sind zumeist von jungen Winzern. Etwa von Markus Hinterbichler. Der 28-Jährige spricht ein so breites Pfälzisch, dass Aktas und Reinfrank an diesem Abend in einer Münchner Galerie immer wieder den Dolmetscher mimen müssen. Dreimal im Monat laden sie in einer Stadt zu solchen analogen Weinabenden ein. So finden sie zum Beispiel heraus, welcher Wein am wenigsten polarisiert - und daher auf der Internetseite unter den Mitbringseln für eine Party einsortiert werden sollte. Die im Netz empfohlenen Weine kommen an: Gerade einmal zwei Weine seien von den mehr als 10 000 Kunden zurückgeschickt worden, sagt Aktas von Geile Weine. Bei Wine in Black liegt die Retourenquote unter einem Prozent. Zum Vergleich: Bei Modehändlern geht jede zweite Bestellung zurück, was deren Geschäft so schwierig macht.

Hinterbichler erzählt nun in der Galerie von dem Stoana, dem Geburtshaus seines Vaters, in den österreichischen Alpen an eine Steinwand gebaut. Er erzählt, dass der Vater der Liebe wegen in der Pfalz hängen geblieben ist - und davon, dass er dort in den steinigen Lagen des familiären Weinguts einer Cuvée aus Scheurebe, Bacchus und Chardonnay diesen Namen gegeben hat: Stoana. Eine Frau, Mitte 30, legt die Stirn in Falten: "Cuvée?" Hinterbichler setzt zu einer Erklärung an, als sich ein Lächeln auf ihrem Gesicht zeigt: "Ach, eine Mischung." Die Stimmung erinnert eher an eine WG-Party als an eine klassische Weinprobe.

Die Kunden der Online-Weinhändler sind im Schnitt jünger als 40 Jahre. Linden nennt sie die "Babyphone-Eltern". Menschen, die bereits gutes Geld verdienen, sich gern etwas gönnen - aber eben zu Hause. Die Idee zu ihrem Unternehmen ist Linden und seinem Studienfreund nicht zufällig nach einer Party gekommen, sondern nach präzisen Analysen während des Managementstudiums. Die beiden wissen: Auf dem Weingut entscheidet der Geschmack darüber, ob der Kunde zugreift. Im Netz aber kommt es auf andere Dinge an: Darauf etwa, dass sich auch per Smartphone in dem Shop stöbern lässt. Deshalb ist bei Wine in Black die IT-Abteilung größer als die, in der die Weinrezensionen geschrieben werden. Nein, sagt Linden, gelernte Winzer seien nicht dabei. Eher ehemalige Onlinejournalisten. Leute also, die sich mit Worten besser auskennen als mit Wein.

Michael Jansen beobachtet mit seinem Beratungsunternehmen Macrom den Handel mit Wein seit Langem. In den Siebzigern, sagt er, bestand ein Katalog nur aus Listen. Seitenweise: Weingut, Rebsorte, Jahrgang, Preis. "Das ist etwas für Leute, die wissen, dass der Château Margaux ein gutes Produkt ist." Hawesko, immer noch einer der größten Weinhändler in Deutschland, hat dann die Hochglanzfotos eingeführt. "Mit auf der Flasche abperlenden Tropfen, die Lust auf ein Produkt machen, weil sie signalisieren: kühl, schmeckt gut." Und heute, im Internet, da gehe es darum, "dem 35-jährigen Akademiker klarzumachen: Dieser Wein passt auch zu deinem Lifestyle."

Anfangs, erzählt Aktas, haben die traditionellen Winzer die Nase gerümpft. Auf einer Plattform, die für geile Weine warb, wollten sie nicht vertreten sein. Doch die Arroganz der Großen ist ein Glücksfall. Denn das Internet ermöglicht auch, Preise zu vergleichen. Etablierte Weinhändler klagen, dass Kunden noch im Laden das Smartphone aus der Tasche ziehen und nach dem eben empfohlenen Wein im Netz suchen. So sei das, was die Händler auf die Einkaufspreise draufschlagen konnten, stetig gesunken: Vor zehn Jahren noch konnten sie im Laden das Doppelte und mehr von dem verlangen, was sie dem Winzer zahlten, sagt Jansen. Heute sei nicht einmal mehr die Hälfte solcher Aufschläge drin. Der Ausweg? Weg von der vergleichbaren Massenware, hin zu Weinen, die es anderswo nicht gibt. Erst recht nicht: billiger. Auch Linden von Wine in Black sagt: "Wir kümmern uns um die Winzer, um die sich bislang keiner gekümmert hat."

Gewinn machen bislang die wenigsten der vielen Weinhändler im Netz: Geile Weine nähert sich zwei Jahre nach dem Start immerhin der schwarzen Null. Linden beteuert zumindest, dass Wine in Black keine Geldverbrennungsmaschine sei - und hat damit einige Investoren überzeugt. Allein im vergangenen Jahr hat das Start-up zehn Millionen Euro an Risikokapital eingesammelt. Ob die Rechnung aufgeht? Da wagt Jansen, der erfahrene Beobachter dieser Branche, keine Wette. Aber er ist sich sicher, dass das Internet wichtiger wird, um Wein zu verkaufen. "Hawesko ist zur Nummer eins unter den deutschen Weinhändlern aufgestiegen, weil sie nicht nur die Kenner, sondern die Masse angesprochen haben", sagt Jansen. "Aber das ist nun ausgeschöpft." Deshalb muss, wer wachsen will, die Jungen, die sich weniger mit Weinen auskennen, ins Visier nehmen. Kein Händler kann tatenlos zusehen, wie die Kundschaft älter und älter wird. Schon gar kein Weinhändler, denn mit 60 Jahren, sagt Jansen, wird's schwieriger mit dem Wein. Wegen des Zuckers und des Alkohols. Auch deshalb hat sich Hawesko bereits vor vier Jahren eines dieser Start-ups gesichert: den auf spanische Tropfen spezialisierten Online-Shop Wein und Vinos.

© SZ vom 24.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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