VW:Wolfsburger Wagenburg

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Die Staatsanwaltschaft ermittelt nun auch gegen Aufsichtsratschef Pötsch. Das neue Verfahren zeigt, wie sehr die Eigentümerfamilien Porsche und Piëch die Abgas-Affäre unterschätzen.

Von Klaus Ott, München

Porsche, Piëch und Pötsch, das war ein jahrelang bewährter Dreiklang bei Volkswagen in Wolfsburg. Die Familien Porsche und Piëch, die Haupteigner des weltweit agierenden Autounternehmens, bauten ihren Einfluss zielstrebig aus. Auch mit Unterstützung ihres Vertrauten Hans Dieter Pötsch. Der sorgte als Finanzvorstand von VW dafür, dass die Konzernkasse stimmte. Nebenbei kümmerte sich der Geldstratege Pötsch sogar um die Familienkasse; als Vorstand jener Holding namens Porsche SE, in der die beiden Clans ihre Anteile an Volkswagen gebündelt haben. Und als vor gut einem Jahr die Abgas-Affäre bei Volkswagen begann, machten die Porsches und Piëchs ihren Vertrauten Pötsch sogar zum Aufsichtsratschef von Volkswagen. Allen Warnungen zum Trotz, dass eigentlich aufgeräumt werden müsse.

Jetzt kommt der öffentlich und manchmal auch intern kritisierte Dreiklang noch mehr ins Gerede. Die Staatsanwaltschaft Braunschweig hat ihre Ermittlungen bei Volkswagen wegen der Abgas-Affäre ausgeweitet. Der neueste Beschuldigte ist: Hans Dieter Pötsch. Er soll die Aktionäre zu spät über drohende finanzielle Folgen der Abgas-Manipulationen bei Dieselfahrzeugen informiert haben. Volkswagen gab das am Sonntagvormittag gleich selbst bekannt, statt abzuwarten, bis es irgendwo durchsickert. Der Konzern betonte umgehend, in- und externe Juristen hätten bestätigt, es sei alles in Ordnung gewesen. Im Jahr 2015 habe der damalige Vorstand inklusive Finanzchef Pötsch die Börse korrekt informiert.

Am Sonntagnachmittag beteuerte Wolfgang Porsche, Oberhaupt seines Clans und einflussreicher Aufsichtsrat bei VW: "Die Familien Porsche und Piëch stehen uneingeschränkt hinter Herrn Pötsch." Das war nicht anders zu erwarten. Der aus Österreich stammende Pötsch, 65, ist eine Schlüsselfigur bei Volkswagen. Der Mann mit dem Talent für Zahlen war 2003 in den Konzern gekommen und später maßgeblich an der Übernahme von Porsche und am Kauf des Lkw-Herstellers MAN beteiligt gewesen. Keiner kannte die Finanzen des Unternehmens wie er, nicht einmal der langjährige Vorstandschef Martin Winterkorn. Als studierter Wirtschaftsingenieur vermag Pötsch nicht nur Bilanzen zu lesen, er ist auch in technischen Fragen versiert.

Noch stärker macht ihn seine Rolle in der Porsche SE, der Familienholding der Porsches und Piëchs, die 52,2 Prozent der stimmberechtigten VW-Aktien hält. Dort war Pötsch Finanzvorstand, ehe er im Oktober 2015 sogar zum Holding-Chef aufrückte, parallel zu seiner Berufung zum Aufsichtsratschef von Volkswagen. Wenn die Holding einer der zentralen Finanztresore der Porsches und Piëchs ist, dann ist Pötsch so etwas wie deren oberster Wächter: Kassenwart und Familienbanker in einem. Macht das die beiden Clans etwa blind für die Gefahren, die in der Affäre noch lauern?

Mehr als 16 Milliarden Dollar muss VW in den USA bereits an Schadenersatz und Strafen für die gefälschten Abgas-Messungen bei Dieselfahrzeugen zahlen. Und in Deutschland verklagen Aktionäre, weil sie von VW zu spät gewarnt worden seien, den Konzern auf mehr als acht Milliarden Euro Schadenersatz. Pötsch hatte bereits von den Manipulationen in der USA erfahren, als die dortigen Behörden am 18. September 2015 die Vergehen enthüllten. Doch der damalige Finanzvorstand und einige andere an der Spitze von VW wollten das geheim halten. In der Hoffnung, einen günstigen, billigen Deal mit den US-Behörden aushandeln zu können. Das hat VW selbst so beschrieben, in einer Erwiderung auf die Klagen der Aktionäre. Pötsch wusste damals, im Spätsommer 2015, nach Darstellung von VW noch nicht lange von den Manipulationen in den USA. Zum Problem für ihn könnte das dennoch werden, wie das Ermittlungsverfahren zeigt.

Noch mehr Vorwürfe: Audi soll auch beim CO₂ manipuliert haben

Aber die Wagenburg in und um Wolfsburg, sie funktioniert weiterhin. Das gilt auch für einen anderen Spitzenmann in Konzern, für Audi-Vorstandschef Rupert Stadler. Er ist ebenfalls ein enger Vertrauter der Familien Porsche und Piëch. Und auch er will offenbar alles aussitzen, trotz immer neuer Vorwürfe gegen die Ingolstädter VW-Tochter. Die Marke mit den vier Ringen als Firmensymbol soll nicht nur die Emissionswerte von gesundheitsschädlichen Stickoxiden manipuliert haben, was längst bekannt ist. Auch beim klimaschädlichen Kohlendioxid (CO₂), so der neue Verdacht, habe Audi betrogen. Das berichtet die Bild am Sonntag.

Dem Blatt zufolge hat die kalifornische Umweltbehörde CARB im Sommer dieses Jahres eine unzulässige Softwarefunktion dieser Art bei einem Audi mit V6-Motor entdeckt. Die VW-Tochter habe diese Software auch für die Manipulation von CO₂-Werten bei Dieselfahrzeugen und Benzinern in Europa verwendet. Träfe das zu, dann hätte die Abgas-Affäre bei Audi und insofern auch bei Volkswagen eine noch größere Dimension als bisher.

Audi äußert sich nicht dazu. Dass die Volkswagen-Tochter sich in Schweigen hüllt, ist kein Schuldeingeständnis. Aber es zeigt, wie schwer sich Vorstandschef Stadler im Umgang mit der Affäre tut. Er umkurvt solche Vorwürfe lieber, statt Stellung zu beziehen. Persönlich sei Stadler in der Affäre durch die internen Ermittlungen bisher nicht belastet worden, sagt ein Insider. Gegen den Audi-Chef liege nichts vor. Gleichwohl gehe es um die unternehmenspolitische Verantwortung als Vorstandsvorsitzender. Ein Chef müsse doch wissen, was in seinem Betrieb los sei. Diese Diskussion aber, sagt der Insider, scheue man bei Audi wie der Teufel das Weihwasser. Das gelte auch für die Porsches und Piëchs.

Laut österreichischem Handelsregister ist Stadler nach wie vor Vorstandsmitglied in drei Privatstiftungen der Piëchs. Als an dieser Verquickung Kritik aufkam, ließ Audi das juristisch prüfen. Das Ergebnis: alles in Ordnung. So wie auch bei Volkswagen und Pötsch alles in Ordnung ist. Der Konzern und Pötsch wollen die Staatsanwaltschaft Braunschweig bei deren Untersuchungen weiterhin "in vollem Umfang unterstützen", versicherte VW am Sonntag.

© SZ vom 07.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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