VW-Skandal:Pflicht zur Demut

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Die US-Behörde EPA hat allen Grund dazu, argwöhnisch gegenüber VW zu sein. (Foto: dpa)

Volkswagen hat zumindest moralisch eine Bringschuld, alle Fakten im Diesel-Skandal zu offenbaren. Es ist verständlich, dass die USA dem Konzern misstrauen.

Kommentar von Claus Hulverscheidt

Es gibt nicht wenige Menschen in Deutschland, die ärgern sich mächtig über die vermeintliche Blauäugigkeit, mit der dieser Tage über den Volkswagen-Skandal diskutiert und berichtet wird. Mag sein, so sagen diese Menschen und erschauern ob der Naivität ihrer Mitbürger, dass es nicht richtig war, die Abgaswerte von Dieselmotoren mithilfe einer Software zu manipulieren. Die Unerbittlichkeit aber, mit der vor allem die US-Behörden gegen den Autobauer vorgingen, zeige, dass es in Wahrheit um etwas ganz anderes gehe: ein deutsches Vorzeigeunternehmen vom Markt zu fegen.

Es ist leicht, den Fall VW in einen Fall USA umzudeuten. Die Skrupellosigkeit, mit der die Amerikaner selbst engste Verbündete ausspionieren, die Lügen, mit denen sie Militärinvasionen rechtfertigten, die Unverfrorenheit, mit der sie ökonomische Interessen durchzusetzen versuchen - all das macht erklärlich, warum Menschen hinter dem Vorgehen der US-Regierung eine Intrige, gar einen heimlich geführten Wirtschaftskrieg vermuten. Das Misstrauen, das den Amerikanern an vielen Orten der Welt entgegenschlägt - es ist verdient.

Und doch: Wer behauptet, Washington habe einen Feldzug gegen VW angezettelt, um einen Rivalen der heimischen Autoindustrie auszuschalten, der verkennt Ursache und Wirkung. Gar nichts hat man in Washington angezettelt.

Der Verdacht, dass die USA die Gunst der Stunde nutzen

Es war vielmehr der Volkswagen-Konzern, der über Jahre weltweit die Behörden belogen, die Gesetze gebrochen und die Bürger der betroffenen Länder gesundheitlichen Gefahren ausgesetzt hat. Mag sein, dass man in Deutschland ein solch forsches Vorgehen, wie es die Amerikaner an den Tag legen, nicht gewohnt ist. Mag auch sein, dass in den USA genauso häufig übertrieben hohe Geldstrafen verhängt werden wie in Europa lächerlich niedrige. An den klaren Verantwortlichkeiten aber ändert das gar nichts.

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Auch der Verdacht, dass die USA zumindest die Gunst der Stunde nutzen, einem ausländischen Unternehmen durch überbordenden Ermittlungseifer zu schaden, lässt sich zumindest bisher nicht belegen. Vielmehr sind die Behörden in vergleichbaren Fällen ebenso rigoros gegen in- wie ausländische Konzerne vorgegangen - von Pannen, Kumpanei und Schlamperei, wie es sie selbstverständlich auch in Amerika gibt, einmal abgesehen. Und wer sich in Erinnerung ruft, mit welcher Kaltschnäuzigkeit während der Finanzkrise des Jahres 2008 eine damals konservative Regierung amerikanische Kreditinstitute verstaatlichte, zwangsfusionierte und schloss, während in Deutschland selbst unfähigste Banker oft weiterwurschteln durften, wird auch hier keine übertriebene Nachsicht gegenüber heimischen Unternehmen erkennen können.

Bleibt die konkrete Frage, ob die US-Umweltbehörde EPA mit ihrem jüngsten Vorwurf recht hat, dass Volkswagen außer bei Mittelklasse-Pkw auch bei Oberklasse-Modellen der Marken VW, Audi und Porsche die Abgaswerte von Dieselmotoren manipuliert hat. Der Konzern bestreitet das und behauptet, die beanstandete Software zur Emissionskontrolle sei legal und im Zulassungsantrag nur "nicht hinreichend beschrieben" worden.

Die EPA jedenfalls hat allen Grund, argwöhnisch zu sein

Das ist wahrhaftig ein starkes Stück, denn sollte wirklich nur ein Blatt Papier fehlen, dann hatte VW seit Bekanntwerden des Skandals jetzt sechs Wochen Zeit, dieses nachzureichen. Mag sein, dass die Beweislast rein juristisch gesehen bei den US-Behörden liegt. Moralisch betrachtet aber ist die Bringschuld nach allem, was vorgefallen ist, längst auf Volkswagen übergegangen. Die EPA jedenfalls hat mit Blick auf die vergangenen Jahre allen Grund, argwöhnisch zu sein: Nicht nur die US-Regierung, auch Volkswagen verdient mittlerweile jedes Misstrauen.

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Von Claus Hulverscheidt, New York

Zu den wenigen Dingen, die VW in dem Skandal bisher auf der Haben-Seite verbuchen konnte, gehören die klaren öffentlichen Schuldeingeständnisse, die führende Manager beinahe vom ersten Tag an ablegten. Es wäre klug gewesen, diesen Weg der Demut weiterzugehen. Denn selbst wenn es stimmen sollte, dass die jetzt beanstandete "Zusatzeinrichtung zur Emissionskontrolle" nicht dazu diente, Abgastests zu bestehen, die man eigentlich nicht bestehen würde, steht fest: Volkswagen hat bei der Anmeldung der Software einmal mehr Fehler begangen.

Und fest steht noch etwas: Die von der EPA untersuchten Motoren bliesen im Moment, da sie den Prüfstand verließen, urplötzlich ein Vielfaches dessen an Stickoxiden in die Luft wie noch Sekunden zuvor. Diesen erneuten Gesetzesverstoß hat VW bisher ebenso wenig erklären können wie eine Reihe weiterer Ungereimtheiten. Solange das so bleibt, lässt sich der Fall VW nicht in einen Fall USA umdeuten. Er ist und bleibt ein Fall VW.

© SZ vom 04.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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