Volkswagen:Wagenburg Wolfsburg

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VW gerät vor allem in den USA immer tiefer in die Krise. Das Machtkartell zu Hause bleibt lieber unter sich, anstatt den Konzern zu erneuern.

Von Thomas Fromm und Klaus Ott

Christine Hohmann-Dennhardt, ehemalige Verfassungsrichterin, kam mit vielen guten Vorsätzen und einer spannenden Biografie zu Volkswagen nach Wolfsburg. Die Spitzenjuristin hatte zuvor schon bei einem anderen Autokonzern, bei Daimler in Stuttgart, im Vorstand geholfen, nach einer Affäre aufzuräumen. Daimler war von US-Behörden bei weltweiten Schmiergeldzahlungen ertappt worden, doch die Sache ging glimpflich aus. Auch deshalb, weil Daimler einen früheren Chef der US-Bundespolizei FBI, Louis Freeh, erst als Berater und dann als Aufpasser engagiert hatte. Freeh überzeugte seine Landsleute davon, dass die Stuttgarter nun sauber sein wollten.

So hätte das auch in der Abgasaffäre bei VW funktionieren können.

Anfang des Jahres fing Hohmann-Dennhardt als Vorstandsmitglied für Integrität und Recht in Wolfsburg an und sie glaubte, es wäre eine gute Idee, Freeh hier ebenfalls zu engagieren. Bereits Mitte Januar befasste sich der Aufsichtsrat mit dieser Personalie, sah aber noch Diskussionsbedarf. Ende Januar war klar: Das mit Freeh wird nichts. Inzwischen sieht die Konzernspitze um den Autoindustriellen Wolfgang Porsche und Vorstandschef Matthias Müller sogar überhaupt keinen Bedarf mehr an einem Sonderbeauftragten für die USA. An einer Art Außenminister, der dort, wo die Affäre begann und das meiste Geld kosten dürfte, die Türen öffnet. Der den deutschen Konzern in Übersee glaubwürdig repräsentiert und hilft, die zu erwartenden Strafen in Milliardenhöhe halbwegs erträglich ausfallen zu lassen.

In Wolfsburg bleibt man lieber unter sich. Die Industriellenfamilien Porsche und Piëch sowie das Land Niedersachsen als Hauptaktionäre bilden zusammen mit Betriebsrat und IG Metall seit Jahrzehnten ein Machtkartell. Neue Köpfe von außen sind im Prinzip unerwünscht. Es sei denn, sie werden von den Porsches und Piëchs und deren Vertrauten bei VW ausgesucht und für gut befunden. Die Idee mit dem US-Sonderbeauftragten habe sich erst einmal erledigt, heißt es aus den Chefetagen bei VW. Man habe genug Experten, die sich um die Probleme in den USA kümmerten. Ein VW-Sprecher sagt, bisher gebe es "keine Entscheidung" über einen US-Sonderbeauftragten.

Wolfgang Porsche der weißhaarige, freundliche Mann, ist Diplomat. (Foto: Uli Deck/dpa)

In den USA waren die Manipulationen bei den Abgasmessungen und der weit überhöhte Schadstoffausstoß bei Diesel-Fahrzeugen zuerst aufgeflogen. Und nie waren die Sorgen und Nöte von VW jenseits des Atlantiks größer als jetzt. Die US-Behörden haben neue Verfahren eingeleitet, es drohen immer höhere Milliardenstrafen, und die VW-Händler sind sauer, weil der dortige Volkswagen-Chef Michael Horn aufgegeben hat. Die Krise schlägt nun erstmals direkt auf die Beschäftigten durch. Bis Ende 2017 sollen in der Verwaltung 3000 Arbeitsplätze gestrichen werden. Ein Kulturschock: Bisher war es in dem Konzern mit zwölf Automarken und mehr als 600 000 Beschäftigten fast immer nur aufwärts gegangen. Dass die Landesregierung sauer ist, weil sie von dem Jobverlust aus den Medien erfahren hat, ist ein Nebenschauplatz.

Die Zeiten ändern sich, nicht aber die Zustände in Wolfsburg. Bosse, Betriebsräte und Politik halten zusammen, bilden eine Wagenburg, verteidigen sich gemeinsam gegen die böse Welt da draußen. Bei einer Betriebsversammlung am Dienstag bekannte sich Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil zum Aufsichtsratschef Hans Dieter Pötsch, einem engen Vertrauten der Familien Porsche und Piëch.

Dabei ist inzwischen dokumentiert, dass Pötsch spätestens Anfang September 2015, als er noch Finanzchef von VW gewesen war, von den Abgasmanipulationen in den USA erfahren hatte und diese zusammen mit dem Vorstand geheim halten wollte. In dem Glauben, still und leise eine Strafe um die 100 Millionen Dollar aushandeln zu können. Der Aufsichtsrat erfuhr nichts davon.

Als die US-Umweltbehörde die Betrügereien dann am 18. September publik machte, war Weil mächtig sauer, weil er erst aus den Medien davon erfuhr. Jetzt stützt der niedersächsische Ministerpräsident seinen Aufsichtsratschef Pötsch. Und auch Konzernchef Müller, obwohl der im September auch schon im Vorstand gesessen und die Geheimhaltung offenbar mitgetragen hatte. Andere Vorstandsmitglieder, VW-Markenchef Herbert Diess und der mächtige Einkaufschef Francisco Javier Garcia Sanz sollen bereits am 24. August 2015 von den Manipulationen in den USA erfahren haben, wie der Spiegel berichtet. Ausgerechnet Sanz, der sich im Unternehmen um die "Aufarbeitung der Diesel-Thematik" kümmern soll, wie VW im Dezember vergangenen Jahres gemeldet hat. "Diesel-Thematik", so nennt man die Affäre bei Volkswagen seit Monaten.

Wolfgang Porsche

Wolfgang Porsche, 72, Oberhaupt seiner weit- verzweigten Familie, die zusammen mit den Piëchs Hauptaktionär von VW ist. Der Autoindustrielle und Landwirt umgibt sich am liebsten mit langjährigen Vertrauten, zu denen er auch dann noch hält, wenn sie einen Konzern in Schieflage bringen. Selbst von Wendelin Wiedeking, der den Sportwagen-Hersteller Porsche mit der geplanten Übernahme von VW fast in die Pleite geführt hätte, trennte sich der Industrielle nur ungern. Wolfgang Porsche verteidigt unbeirrt von der Abgasaffäre das Prinzip, dass die Chefs von Vorstand und Aufsichtsrat bei Volkswagen nicht von außen kommen sollen. Man müsse "die Strukturen in Wolfsburg verstehen, sonst hat man keine Chance".

Bernd Osterloh

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(Foto: dpa)

Bernd Osterloh, 59, ist seit 2005 Betriebsratschef in Wolfsburg und damit der wohl mächtigste Arbeitnehmervertreter Deutschlands (Foto: dpa). Als die Affäre im September 2015 in den USA bekannt wurde, stellte sich Osterloh mit dem Satz "Ich stehe zu Herrn Dr. Winterkorn" demonstrativ hinter den damaligen Konzernchef. Der Gewerkschafter, den einige als "Co-Manager" bezeichnen, ist Pragmatiker: Er pflegt ein gutes Verhältnis zu den VW-Eigentümern und zu VW-Chef Matthias Müller. Als forscher Aufklärer in der Affäre ist er bislang aber nicht in Erscheinung getreten. Seine Rolle in der Wagenburg ist klar definiert: Er will verhindern, dass die Affäre auf Kosten der Arbeitnehmer geht.

Matthias Müller

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(Foto: Getty Images)

Matthias Müller, 62, begann seine Karriere im Konzern vor 40 Jahren als Werkzeugmacher- Lehrling und war fünf Jahre lang Porsche-Chef, als man ihn im September an die VW-Spitze holte (Foto: Getty). Müller, lange Jahre Teil der alten Garde rund um den mächtigen VW-Patriarchen Ferdinand Piëch und Ex-Chef Martin Winterkorn, versprach sogleich umfassende Aufklärung und einen Neuanfang. Seitdem fragen sich viele: Wie geht ein Neuanfang mit einem Manager, der seit Jahrzehnten im Konzern ist? Müller hat seine eigene Sicht der Dinge, für die er seit Monaten wirbt: Die Manipulationen bei Abgasmessungen waren das Werk einer Gruppe von Ingenieuren.

Jörg Hofmann

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(Foto: picture alliance / dpa)

Jörg Hofmann, 60, Chef der IG Metall, seit vier Monaten Aufsichtsrat bei VW, gehört dem Präsidium an (Foto: dpa). Klammerte sich bisher daran, dass der Konzern ohne Verlust von Arbeitsplätzen durch die Krise komme. Hat seinen Aufsichtsratssitz von Berthold Huber übernommen, seinem Vorvorgänger als IG-Metall-Chef. Huber hatte darauf gedrängt, dass VW rasch auf die US-Behörden zugeht, um hohe Strafen zu vermeiden. So wie das Siemens nach dem Schmiergeldskandal getan hatte, mit Hubers Hilfe als Aufsichtsrat. Doch VW funktioniert anders, und Hofmann agiert zurückhaltender als zuletzt Huber. Der scheute keine Konflikte, hatte aber keinen großen Rückhalt mehr in seinem Lager.

Hans Dieter Pötsch

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(Foto: dpa)

Hans Dieter Pötsch, 64, war seit 2003 Finanzchef bei Volkswagen, als er im vergangenen Herbst an die Spitze des Aufsichtsrates berufen wurde (Foto: dpa). Dem Wirtschaftsingenieur werden enge Beziehungen zu den Eigentümerfamilien Porsche und Piëch nachgesagt. Dies erklärt, warum man sich in der Krise sehr schnell auf den Österreicher als neuen Chefkontrolleur einigte, statt einen Aufpasser von außen zu holen. Als Aufsichtsratschef muss Pötsch helfen, die Dinge aufzuklären, die in seiner Zeit als Finanzvorstand schiefgelaufen sind. Er muss zum Beispiel die Frage beantworten, ob Volkswagen seine Aktionäre im September 2015 zu spät über die Diesel-Manipulationen informiert hat.

Stephan Weil

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(Foto: REUTERS)

Stephan Weil, 57, ist Ministerpräsident von Niedersachsen, dem VW-Großaktionär (Foto: Reuters). Weil gehört zu den wichtigsten Aufsichtsräten. Zu Beginn der Affäre zeigte er Profil, ging den Vorstand hart an, inzwischen ist er blass geworden. Er hält zur alten VW-Garde und nimmt sie in Schutz. Von ihm gehen keine sichtbaren Initiativen aus, wie Volkswagen die Konflikte vor allem mit den US- Behörden entschärfen könnte. Der Ministerpräsident wartet erst einmal das Ergebnis der internen Ermittlungen bei VW ab, obwohl es schon jetzt deutliche Hinweise auf Fehler der Konzernspitze gibt. Wertvolle Zeit geht verloren. Weil schaut zu, wie der Konzern immer tiefer in die Krise gerät.

Hat Volkswagen mit Garcia Sanz den Bock zum Gärtner gemacht? Gilt das auch für Aufsichtsratschef Pötsch? Und was ist mit Vorstandschef Müller, der dem Konzern seit Jahrzehnten angehört? Vor diesen Fragen drücken sich alle: Die Porsches und Piëchs, Niedersachsen, Betriebsrat und IG Metall. Alle warten auf die Ergebnisse der internen Ermittlungen, die Ende April vorliegen sollen. Die Linie der Konzernspitze steht aber jetzt schon fest: Ein paar Ingenieure haben den eigenen Konzern und die Behörden betrogen. Der Vorstand, damals noch von Martin Winterkorn geleitet, aber schon mit Pötsch, Müller und Garcia Sanz besetzt, ist unschuldig; hat bis Ende August/Anfang September 2015 von nichts gewusst und nicht einmal fahrlässig gehandelt, weil die Strukturen alle gestimmt hätten.

Doch immer mehr Mitaktionäre glauben das nicht und wollen auf Schadenersatz klagen, zumindest wegen Organversagens des Vorstands. Es gibt immer mehr zu tun für die VW-Juristen, allen voran für Christine Hohmann-Dennhardt. Die Frage ist nur: Kann die Ex-Verfassungsrichterin das alles noch allein schaffen?

© SZ vom 12.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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