Volkswagen:Jetzt sind wir alle mal nett

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Es finde ein "schneller und harter Umbruch" statt, der "alle Autohersteller treffen" werde, sagt VW-Markenchef Herbert Diess. (Foto: Fabian Bimmer/Reuters)

VW-Markenchef Herbert Diess will 2025 Weltmarktführer bei Elektroautos sein. Vor allem aber will der Manager einen anderen Konzern, der sympathischer sein soll.

Von Thomas Fromm, München

Wenn ein Manager seine neue Strategie vorstellt und sagt, dass nun alles anders werde und besser, dann könnte das bedeuten, dass vorher einiges schief gelaufen sein muss. Herbert Diess, seit Sommer 2015 Chef der Volkswagen-Hausmarke VW, sagt, dass sich das Unternehmen "in den kommenden Jahren grundlegend verändern" werde, "nur die allerwenigsten Dinge werden so bleiben wie sie sind".

Vor Diess saß hier Martin Winterkorn als Konzern- und Markenchef. Dann kam im September 2015 der Dieselskandal und aus dem Konzern, der immer die Nummer eins in der Welt sein wollte und für den der Wettbewerb im Auto-Business immer so etwas war wie ein großer olympischer Wettkampf, wurde ein Krisenunternehmen. Die Software, mit der man die Abgasmessungen bei Dieselfahrzeugen manipulierte, war gewissermaßen das Doping, mit dem man gewinnen wollte - bis man entdeckt wurde. Die Sache mit der Nummer 1 hat der Konzern nun zwar noch immer nicht aufgegeben, aber dafür soll der Sport jetzt zumindest wieder sauber sein.

Bis 2030 will der Konzern, wegen der Dieselaffäre gerade ziemlich angeschlagen, dann wieder "Weltmarktführer in der Automobilität" werden. Die alte Käfer-, Golf- und Passat-Marke VW will wieder an die Spitze, aber nicht mit stinkigen Dieseln, sondern sauberen Elektroautos.

"Spätestens 2025 wollen wir Weltmarktführer bei der E-Mobilität sein", sagte Diess am Dienstag in Wolfsburg. Nur noch neun Jahre, dann soll VW eine Million Elektroautos im Jahr verkaufen. Dazu passt, was Konzernchef Matthias Müller vor einigen Tagen bekannt gegeben hatte: Dass sich der Konzern von 30 000 Stellen weltweit verabschieden will, um die Kosten bis 2020 um 3,7 Milliarden Euro jährlich zu senken. Im Gegenzug werden 9 000 neue Jobs geschaffen - für Menschen, die keine klassischen Motoren mehr bauen, sondern die neuen, digitalen Bestandteile eines Elektroautos entwickeln.

VW wird kleiner, aber vor allem anders.

Zunächst die Abrechnung mit der Vergangenheit. Es finde ein "schneller und harter Umbruch" statt, der "alle Autohersteller treffen" werde, so Diess. Bei VW sehe es gerade so aus: Der Ruf des Unternehmens? Das Image habe gelitten, Leute vertrauten VW nicht mehr wie früher. Die Fixkosten? "Stark gestiegen". Produktivität? "Nicht auf Augenhöhe" mit den anderen. USA und andere Märkte? Strategisch schwach und wichtige Entwicklungen "verschlafen", zum Beispiel die Geländewagen-Mode. Die Organisation des VW-Konzerns? "Insgesamt noch sehr hierarchisch und teilweise auch bürokratisch". Rendite? Zu gering, um wichtige Zukunftsinvestitionen stemmen zu können.

Diess will das nun alles verändern. Neun Elektro- und Hybridmodellvarianten plant er in den nächsten vier Jahren. Ein Plan, der vor allem auf zwei Hoffnungen basiert. Erstens: Dass sich die Reichweiten der Elektroautobatterien in den kommenden Jahren stark verlängern werden. Zweitens: Dass in den kommenden Jahren ein flächendeckendes Schnellladenetz auf deutschen Autobahnen steht. Hinter den Kulissen sprechen die Vertreter der Autoindustrie schon längst mit dem Raststättenbetreiber Tank & Rast sowie Vertretern aus der Politik, wie ein solches Mammutprojekt zu organisieren und finanzieren ist. Die Zeit drängt - ohne moderne Ladenetze nützen der Industrie die besten Elektroautos nichts.

Ausgerechnet in den USA, wo die Dieselaffäre begannt, plant VW nun eine "Comeback-Story"

Während der Konzern in den kommenden Jahren eine Offensive mit neuen, sportlichen Geländewagen (SUV) plant, soll bei den Varianten der Konzernmodelle kräftig gespart werden. Dutzende von Außenspiegeln und kleinen und großen Extras - die Zeiten sind vorbei. Tausende von Bauteilvarianten haben die Manager bereits aus dem Programm gestrichen. Die Mischung aus neuen SUV und Elektroautos soll VW vor allem in Amerika wieder helfen; hier wolle man nach dem Dieselskandal eine "Comeback-Story schreiben".

Allerdings werde dies an die zehn Jahre dauern. Diess ist VW-Markenchef, aber was er sagt und wie er es sagt, lässt sich wohl so auch auf den gesamten Konzern übertragen. Diess kennt sich mit Stimmungen und Schwingungen aus, und deshalb will er nicht nur Werke, Motoren und Autos verändern, sondern auch den Stil seines Hauses. "Die Marke", so der Manager, solle "zugänglicher und sympathischer werden, Arroganz gehört der Vergangenheit an".

Dass Diess von Arroganz spricht, lässt aufhorchen. Erst in diesen Tagen hatte sich VW-Konzernchef Matthias Müller in einem Interview im Dieselskandal gegen Entschädigungen für europäische Kunden ausgesprochen, da ihnen keine Nachteile entstünden. Nachdem er Kunden indirekt schwer kritisiert hatte, geriet er selbst wegen seiner Aussagen ins Kreuzfeuer - in sozialen Netzwerken war daraufhin von "schwer erträglicher Arroganz" die Rede; die Sache sei "rotzfrech" gewesen. Der Fall erinnert an eine Episode von Anfang des Jahres, als Müller in einem Interview mit dem US-Radio von einem "technischen Problem" sprach. Dass die Abgasmanipulationen in den USA als ethisches Thema gesehen wurden, wollte Müller seinerzeit nicht gelten lassen.

Fast ein Jahr später nun steht der Markenchef in Wolfsburg und sagt, dass es für VW besser sei, zugänglich und sympathisch zu sein als arrogant - das ist zumindest: interessant.

© SZ vom 23.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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