Volkswagen:Warum die USA fünf VW-Manager fassen wollen

Volkswagen: Anfang Juni haben die USA bei Interpol einen internationalen Haftbefehl gegen fünf frühere Manager und Entwickler von Volkswagen erwirkt.

Anfang Juni haben die USA bei Interpol einen internationalen Haftbefehl gegen fünf frühere Manager und Entwickler von Volkswagen erwirkt.

(Foto: AFP)
  • VW zahlt in den USA eine Milliarden-Strafe. Doch juristisch ist der Dieselskandal nicht vorbei: Fünf VW-Manager werden nun mit internationalem Haftbefehl gesucht.
  • Sie sollen verantwortlich sein für die Abgasaffäre; für den Betrug an mehr als einer halben Million VW-Kunden in Amerika.

Von Georg Mascolo und Klaus Ott

Das Farbenspektrum bei Interpol, der größten Polizeiorganisation der Welt mit Sitz im französischen Lyon, reicht bis hin zu Purpur, Blau und Rot. Suchaufträge und Informationen sind in sieben Kategorien eingeteilt. Gelb steht für vermisste Personen, Schwarz für nicht identifizierte Leichen. Am meisten gefürchtet bei mutmaßlichen Verbrechern ist Rot. "Red Notice" bedeutet: Der Verdächtige ist international zur Fahndung ausgeschrieben.

Wird er erwischt, kommt er in Gewahrsam. Ihm droht die Auslieferung in das Land, das ihn per Haftbefehl sucht. Dort folgt oft Gefängnis. Die Weltpolizei kümmert sich um viele Kriminelle. Anfang Juni haben die USA bei Interpol eine "Red Notice" gegen fünf frühere Manager und Entwickler von Volkswagen erwirkt.

Sie sollen verantwortlich sein für die Abgasaffäre; für den Betrug an mehr als einer halben Million VW-Kunden in Amerika. Die hatten angeblich umweltfreundliche Diesel-Fahrzeuge gekauft, die sich später als Dreckschleudern erwiesen. Nun will die US-Justiz etliche Verantwortliche von Volkswagen bestrafen, wegen Verschwörung zum Betrug und Verstoß gegen US-Umweltvorschriften. Einer von ihnen, Oliver Schmidt, der ehedem das US-Büro von VW für Umweltbelange leitete, sitzt schon.

Die nächsten fünf sollen nun folgen. Unter ihnen Heinz-Jakob Neußer, bis September 2015 Vorstand der Marke VW im weltgrößten Autokonzern, der von Audi über Seat und viele andere Sparten bis Porsche reicht. Und Bernd Gottweis, ebenso wie Neußer Vertrauter des langjährigen Vorstandschefs Martin Winterkorn. Er leitete den Ausschuss für Produkt-Sicherheit (APS), eines der wichtigsten Gremien bei Volkswagen. Gottweis hatte die Aufgabe, als eine Art Feuerwehrmann Probleme aller Art zu lösen. Was ihm auch meist gelang. Bis zur Abgasaffäre.

In Deutschland haben die Gesuchten nichts zu befürchten

Gottweis, Neußer sowie die drei Entwickler und Techniker, hinter denen die US-Justiz her ist, werden von den deutschen Behörden bestimmt nicht ausgeliefert. Dem steht das Grundgesetz im Wege. Dort heißt es in Artikel 16: "Kein Deutscher darf an das Ausland ausgeliefert werden."

Ausnahmen seien nur in der EU und bei einem internationalen Gerichtshof möglich. Gleichwohl: Dass die USA die seit Monaten bestehenden Haftbefehle jetzt bei Interpol haben eintragen lassen, dokumentiert ihre Härte im Umgang mit VW. "Ach, du Scheiße", sagt ein Anwalt eines prominenten Beschuldigten in Deutschland zu der weltweiten Fahndung, die seinen Mandanten nicht betrifft. Bislang nicht. Man weiß nie, was noch so alles kommt.

Die Diesel-Fahrzeuge von Volkswagen haben in den USA bis zu 30- oder 40-mal mehr gesundheitsgefährdende Stickoxide ausgestoßen als gesetzlich erlaubt. Die Grenzwerte wurden nur bei offiziellen Messungen auf dem Prüfstand eingehalten; ansonsten war die Abgasreinigung abgeschaltet.

Stickoxide reizen Atemwege und Augen und machen vor allem, aber nicht nur Asthmatikern zu schaffen. Sie können Kopfschmerzen und Schwindel auslösen und tragen zur Entstehung von Feinstaub bei. Darunter leiden besonders die Bewohner von großen Städten. In München und anderswo wird deshalb über Fahrverbote für Diesel-Dreckschleudern diskutiert.

In Deutschland sitzt wegen der Abgasaffäre noch niemand im Gefängnis. Die US-Justiz will nun aber gleich fünf weiteren mutmaßlichen Betrügern den Prozess machen. Die "Red Notice" von Interpol liegt inzwischen dem Bundeskriminalamt in Wiesbaden vor. Da endet die weltweite Fahndung. Im eigenen Land sind die fünf VW-Verantwortlichen vor dem Zugriff der US-Behörden geschützt.

Im Ausland aber sähe das ganz anders aus. Eine Passkontrolle am Flughafen oder ein Autounfall, bei dem die Personalien aufgenommen werden - das genügt möglicherweise schon, um in Auslieferungshaft zu kommen. Selbst eine Wanderung über die Berge nach Österreich wäre ein Risiko.

Aus Winterkorns einstigem "Paladin" könnte ein Kronzeuge werden

In Kreisen der Anwälte der VW-Beschuldigten wird auf den polnisch-französischen Filmemacher Roman Polanski verwiesen, der 1977 nach einem Sexualverbrechen in den USA dort 42 Tage im Gefängnis war und dann vor der Urteilsverkündungen das Land verließ, weil er Zusagen über eine milde Strafe nicht vertraute. Seither fahnden die Vereinigten Staaten nach ihm.

Polanski wurde 2009 in der Schweiz verhaftet und stand acht Monate unter Hausarrest, bis das Land 2010 das Auslieferungsgesuch der USA ablehnte. Ende vergangenen Jahres entschied das Oberste Gericht in Warschau, dass auch Polen den Regisseur nicht ausliefert. Der Fall zeigt, wie hartnäckig die US-Behörden sind.

In Übersee hätten die fünf VW-Beschuldigte wohl kaum eine Chance, einer Gefängnisstrafe zu entgehen. Der Autokonzern hat bei den US-Behörden zugegeben, dass mehrere von ihnen von dem Diesel-Betrug gewusst oder sogar daran mitgewirkt hätten. Das war Bestandteil eines Deals über ein Ende der Verfahren gegen das Unternehmen.

Volkswagen hat Neußer, Gottweis & Co. also fallen gelassen; und dabei möglicherweise mehr zugegeben, als diese fünf verbrochen haben sollen. Das gilt vor allem für Gottweis. Er wird von ehemaligen Kollegen beschuldigt, bereits 2012 über die erst 2015 aufgeflogenen Manipulationen im Bilde gewesen zu sein.

Gottweis weist das zurück. Er soll bei den deutschen Ermittlern ausgesagt haben, er habe erst Mitte 2015 von dem Betrug erfahren. Zur selben Zeit wie der damalige VW-Vorstandschef Winterkorn. Das belastet Winterkorn. Der aber weist alle Schuld von sich. Winterkorn will erst spät mitbekommen haben, was da zehn Jahre lang in seinem Konzern gelaufen war. Im Spätsommer 2015, kurz bevor alles öffentlich ruchbar wurde.

Im Falle eines Gerichtsverfahrens in Braunschweig gegen Winterkorn und andere VW-Manager könnte Gottweis zu einem wichtigen Zeugen werden. Zu einem Kronzeugen, der sagt, was er weiß. Der auf diese Weise den Ermittlern hilft und sich selbst so eine Strafe erspart, sofern er nicht ohnehin unschuldig wäre. Gottweis wird von einem Kenner des Ermittlungsverfahrens als "Paladin" bezeichnet, als einer der treuesten Gefolgsleute von Winterkorn. Jemanden, der so wichtig ist, liefern die deutschen Behörden erst recht nicht aus.

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