Volkswagen:Die Hüterin der Ordnung

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Wenn es hart kommt, hält man zusammen in der Autoindustrie: Daimler lässt Christine Hohmann-Dennhardt zu VW gehen. Dort soll sie die Abgasaffäre aufklären - ein Job mit Widerständen.

Von Thomas Fromm, Max Hägler und klaus Ott, München/Stuttgart

Im Sommer waren Wolfsburg und Volkswagen weit weg. Eigentlich war vieles weit weg, als Christine Hohmann-Dennhardt im Juni diesen Jahres mit Journalisten in München zusammensaß. Sie sprach über ihr aktuelles Thema, den Datenschutz im Auto, über die Datensammler von Google und Apple. Und sie erzählte von den alten Korruptionsgeschichten bei Daimler, den langen Diskussionen mit US-Behörden. Aber so wie das die Frau erzählte, die 2011 zum Vorstand für "Integrität und Recht" ernannt wurde, war klar: Diese Probleme sind weitgehend überwunden. Zu genau diesem Zwecke, fürs Aufräumen, war sie geholt worden. Vier Jahre später hatte man das Gefühl: Sie ist jetzt eigentlich fertig damit. Eigentlich hätte es die erste Daimler-Vorstandsfrau deshalb ruhig weiterlaufen lassen können, bis ihr Vertrag endet - also bis Anfang 2017. Nun aber hat die 65-Jährige sich entschieden, es noch einmal zu machen. Noch einmal einen großen Fall anpacken. Christine Hohmann-Dennhardt wird zum Jahreswechsel zu Volkswagen gehen, wieder als Vorstandsmitglied für Recht, wieder ist sie der erste weibliche Vorstand. Diesmal soll sie den Dieselskandal aufarbeiten, einen der größten und härtesten Betrugsfälle der deutschen Wirtschaftsgeschichte.

Strafrecht also wieder, weniger Datenschutz. Die VW-Spitze hat sie gebeten, nach Wolfsburg zu kommen und VW in der Abgasaffäre nicht im Regen stehen zu lassen. Und bei Daimler sind die Signale angekommen - man lässt die Juristin ziehen. Nicht, weil man froh wäre, sie loszuwerden. Im Gegenteil. Aber diesmal geht es um das große Ganze: Nicht nur VW hat wegen der Affäre großen Schaden; eine ganze Branche droht wegen der Schummel-Software ihren Ruf zu verlieren. Für Daimler-Chef Dieter Zetsche ist daher klar: Nur wenn der Fall VW schnell aufgeklärt wird, kehrt wieder Ruhe ein, und zwar Ruhe für alle. Deshalb lässt Daimler die Ordnungshüterin vorzeitig aus ihrem Vertrag, zum Wohle "der deutschen Automobilindustrie", wie der Stuttgarter Konzern mitteilt. Konkurrenz hin oder her - in schweren Zeiten hält man zusammen.

Bürgerrechtlerin

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(Foto: N/A)

Die Juristin Christine Hohmann-Dennhardt, geboren in Leipzig, hat zu "Entscheidungsstrukturen im Unternehmen" promoviert, ihr Schwerpunkt aber waren stets Bürgerrechte. Als Bundesverfassungsrichterin war sie etwa an dem Urteil gegen die Benachteiligung lediger, alleinerziehender Mütter im Unterhaltsrecht beteiligt. 2004 kritisierte sie massiv den "Großen Lauschangriff".

Daimler, das ist so etwas wie die Blaupause für VW: Damals hatte der Konzern mit der Berufung von Hohmann-Dennhardt zeigen wollen, dass man es ernst meint mit dem Kampf gegen die Missstände. Ein Signal, das jetzt auch VW-Chef Matthias Müller setzen will. Er will eine neue Kultur in seinem Konzern, dafür braucht er Unterstützung. Am besten also von der Frau, die schon bei Daimler bewiesen hat, dass sie aufklären und aufräumen kann.

Allein in den USA ermitteln zahlreiche Behörden, klagen Kunden, Verbände, Kreise

Die Fälle und die Dimensionen sind sehr unterschiedlich, aber im Kern geht es um ähnliche Probleme. Der Dax-Konzern Daimler hatte sich 2010 schuldig bekannt, über zehn Jahre hinweg in mindestens 22 Ländern Regierungsbeamte für lukrative Aufträge bestochen zu haben. Schmiergeld floss unter anderem in China, Russland, Ägypten, Griechenland und der Türkei. Nachdem das aufgeflogen war, hatten vor allem die US-Behörden Daimler schwer zugesetzt. Der Stuttgarter Konzern musste schließlich 185 Millionen Euro Strafe in den USA zahlen.

Christine Hohmann-Dennhardt, früher Richterin am Bundesverfassungsgericht, kam als Vorständin zu Volkswagen. (Foto: imago stock&people)

Das dürfte ein Taschengeld sein im Vergleich zu dem, was jetzt auf VW zukommt. Allein in den USA ermitteln zahlreiche Behörden, klagen Kunden, Verbände und sogar Landkreise. Die Kosten könnten viele Milliarden Euro betragen. Mit Rechtsstreitigkeiten in den USA kennt sich Hohmann-Dennhardt aus: Sie hatte es mit Anwälten zu tun, die zu den besten des Landes gehören, und mit dem ehemaligen FBI-Chef Louis Freeh, der Daimler als unabhängiger Kontrolleur beim Aufbau eines neuen Anti-Korruptionssystems half.

Schwierige Jahre für die Rechtsexpertin.

Aber der richtig große Brocken kommt . . . -jetzt. Daimler und VW, das sind zwei Konzernwelten. Daimler gehört sehr vielen unterschiedlichen Aktionären. Anders als VW: Der Konzerngigant ist Eigentum in erster Linie von wenigen großen Spielern, namentlich den Familien Porsche und Piëch. Zwei schwerreiche Clans, die in ihrer eigenen Welt leben. Einer "heilen Welt", wie ein Aufsichtsrat berichtet. Milliardäre in schönen Villen, die bisher noch nicht so richtig verstanden hätten, was für sie und den Konzern eigentlich auf dem Spiel stehe. Zum Beispiel Ober-Patriarch Ferdinand Piëch; der einstige Konzern- und Aufsichtsratschef, ein stets misstrauischer Mann von 78 Jahren. Er hat zwar nach seinem selbst verschuldeten Sturz als Aufsichtsratschef keine offizielle Funktion mehr in Wolfsburg. Aber in den Familien diskutiert er immer noch mit, wenn es um VW geht. Und dann ist da natürlich Wolfgang Porsche, Oberhaupt des anderen Clans, Aufsichtsrat in Wolfsburg und seit vergangener Woche ausgerechnet Vorsitzender jenes VW-Ausschusses, der sich um die Aufklärung der Abgas-Manipulationen kümmern soll.

WoPo, wie er genannt wird, und Hohmann-Dennhardt werden gut miteinander auskommen müssen, wenn die Wolfsburg-Mission der Juristin gelingen soll. Die Frage ist nur: Können die beiden miteinander? Oder prallen da zwei Kulturen aufeinander? Hier zwei reiche, mächtige Familien, die sich nicht reinreden lassen wollen. Dort eine engagierte, selbstbewusste Juristin, die durchgreift.

Wolfgang Porsche hat den Vorsitz im Sonderausschuss des Aufsichtsrats für die Abgasaffäre von Berthold Huber übernommen, dem ehemaligen IG-Metall-Chef. Huber war so etwas wie eine Idealbesetzung für den Aufklärungsjob im Kontrollgremium: Er hatte bei Siemens aufgepasst, dass dort beim Schmiergeldskandal nichts unter den Teppich gekehrt wurde. Dass der Industriekonzern umfassend mit den Ermittlungsbehörden kooperierte und so in den USA glimpflich davonkam.

Man kann sagen: Huber wäre wohl ein sehr guter Partner für Hohmann-Dennhardt, nun aber ist es eben der 72-jährige Porsche, der als zögerliche Figur gilt, als wohlhabender Schöngeist, der es am liebsten mag, wenn die Dinge von alleine gut laufen und der Konflikten lieber aus dem Weg geht. Vielleicht wird er nun die Vorstandsfrau vorschicken, wenn es brenzlig wird? Gut möglich, das entspräche seinem Naturell. Hohmann-Dennhardt ist zwar auch von kontrolliertem Temperament, aber sie ist es gewohnt, anzupacken und sich durchzusetzen. Schon ihr Job in Stuttgart war nicht einfach: Eine Frau, eine Juristin, eine Sozialdemokratin, stets extrem schick gekleidet - unter Männern. Unter Ingenieuren. Unter "Car Guys". Anfangs hörte man oft, wie reserviert die Kollegen waren, als die Neue kam, und vor allem: wie vorsichtig sie waren in ihrer Anwesenheit. Bald aber, erzählte sie einmal mit Schmunzeln, seien die Männer doch ganz froh gewesen, dass da nun jemand war, der bei kniffligen Rechtsfragen mit am Tisch sitzt. Es ist allein schon die Vita, die Eindruck macht und coolen Jungs das Gefühl von Sicherheit gibt: Richterin am Bundesverfassungsgericht, Justizministerin in Hessen. Hohmann-Dennhardt kommt nicht aus dem Autobau, sie hat kein "Benzin im Blut" wie die anderen. Aber dafür weiß sie, wie Politik und Justiz funktionieren, und das ist in solchen Zeiten wichtiger. Auch mit dem allein der Funktion nach coolsten aller Jungs raufte sie sich zusammen, mit dem aus den USA als Daimler-Aufpasser angeheuerten Ex-FBI-Chef Louis Freeh, das erzählten die beiden im März 2013 bei einem langen Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung. "Viel Widerstand" habe es anfangs gegeben, erinnerte sich der Amerikaner. Unterhalb des Vorstandes habe es ein "Good-Old-Boys-Netzwerk" gegeben, Männer, die die Regeln brachen und sich gegenseitig deckten. So wie es vielleicht auch bei VW zuging, auch wenn die Boys dort nicht bestachen, sondern Motoren manipulierten.

Daimler jedenfalls sei sehr klug geworden, habe sich "in ein integres Unternehmen" gewandelt, das habe er auch der US-Regierung geschrieben, erzählte Freeh: "Eine der wichtigsten Entwicklungen war: Einen Vorstand für Recht und Integrität zu berufen und dafür Frau Hohmann-Dennhardt zu gewinnen, so etwas gibt es auch in den USA nicht." Bei Daimler hat sie einige "harte Einschnitte" vorgenommen, bei mitunter langjährigen und eigentlich erfolgreichen Mitarbeitern. Manchmal gehe das nicht anders, erinnerte sich Hohmann-Dennhardt in dem Interview: "Wenn Führungskräfte anscheinend nicht dazulernen, in alten, korrupten Verhaltensmustern verharren und sich weiterhin rechtfertigen mit dem vermeintlichen Wohl der Firma, ist man fassungslos." Aber sie habe nicht nur auf Härte und Zwang gesetzt, sagen Arbeitnehmer lobend. "Streng, aber doch dialogorientiert" sei sie aufgetreten: Anfangs ist sie in einem Truck zu den Daimler-Werken gefahren, hat bei Versammlungen mit Arbeitern und Managern diskutiert. Etwa über den Punkt, den wohl jeder kennt: Geschenke, die einem überreicht werden. Bei Daimler hat sie den Richtwert 50 Euro ausgegeben. "Da ist spätestens der Punkt", erklärte Hohmann-Dennhardt, "wo man sich fragen sollte: Kann ich mir noch in die Augen schauen?" Es sind also nicht nur ganz exakte Regeln, die sie vorgibt. Sondern Moral und eine Kultur des Mitdenkens, der Eigenverantwortung. Genau das fordert in diesen Tagen auch der neue VW-Chef Matthias Müller. Der nun bald eine Mitstreiterin hat.

© SZ vom 17.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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