Volkswagen:Der Betriebsrat und die Kanzlerin

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VWs oberster Arbeitnehmervertreter Bernd Osterloh ist in Wolfsburg als knallharter Verhandlungspartner gefürchtet. Wenn es aber sein muss, zieht der IG-Metaller als Lobbyist gleich bis nach Berlin.

Von Thomas Fromm und Klaus Ott

Der Volkswagen-Betriebsratschef muss schwer beeindruckt gewesen sein vom Auftritt der Kanzlerin. Es ist ja nicht so, dass Angela Merkel selten im Fernsehen zu sehen wäre, aber an diesem Septemberabend 2011 geht es ums große Ganze: Die Rettung des Euro und die Zukunft Europas. Also in gewisser Weise auch um die Zukunft von Europas größtem Autohersteller.

Und so beschließt Bernd Osterloh, der Kanzlerin einen Brief zu schreiben. "Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin, liebe Frau Dr. Merkel", wendet er sich am 27. September direkt an die Regierungschefin, "ich habe gestern Abend - wie Millionen andere Deutsche - Günther Jauch gesehen und wollte Ihnen zu Ihrem gelungenen Auftritt gratulieren".

Der mächtige und wortgewaltige Arbeiterführer aus Wolfsburg als charmanter Primetime-Talk-Rezensent? Das wäre eine ganz neue Rolle für den Betriebsratsboss. Aber die Geschichte geht anders: Die Jauch-Besprechung gibt hier nur das Intro für die eigentliche Botschaft. Osterloh möchte, dass der damalige EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso an einer VW-Betriebsversammlung teilnimmt und zum "Europäischen Gedanken" spricht. Dumm nur, dass ein Termin bislang "leider nicht zustande gekommen" ist, klagt er der Kanzlerin sein Problem.

Der Betriebsrat und die große Politik - Dokumente aus dem Kanzleramt, die der Süddeutschen Zeitung vorliegen, zeigen den VW-Betriebsratschef in einer bisher eher unbekannten Rolle: der des politischen Lobbyisten, der an Angela Merkel schreibt und den EU-Kommissionspräsidenten treffen möchte.

Warum der Portugiese Barroso nach Wolfsburg kommen soll? Die Antwort findet sich bereits in einem Brief vom Februar 2011, geschrieben an: Frau Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel. Auch hier zunächst ein vertraulicher Einstieg ("Leider hatten wir längere Zeit nicht die Möglichkeit uns auszutauschen. Ich hoffe aber, es geht Ihnen trotz der hohen Belastung gut"), dann kommt der Betriebsrat zur Sache. Man habe "aktuell Signale erhalten", wonach "Teile der EU-Kommission das Verfahren um das VW-Gesetz erneut aufnehmen wollen". Das VW-Gesetz, das ist jene Regelung, die dem Land Niedersachsen als VW-Großaktionär eine Sperrminorität bei wichtigen Konzernentscheidungen sichert. Was für die Arbeitnehmervertretung eine politische Arbeitsplatz- und Standortgarantie ist, bedeutete nach Meinung der Brüsseler Behörde eine Einschränkung des freien Marktes.

Da kann Osterloh nicht länger warten.

Also wird er bei der Kanzlerin sehr konkret: "Da Sie für uns eine der verlässlichsten Partnerinnen für den Erhalt unseres VW-Gesetzes sind, möchte ich Sie bitten, den anstehenden Gipfel auch dafür zu nutzen, Herrn Kommissionspräsidenten Barroso erneut deutlich zu machen, dass jedwede Fortsetzung des Verfahrens ebenso wie angebliche Kompromissvorschläge auf den Widerstand der Arbeitnehmer des Volkswagen Konzerns stoßen werden. (. . .) Wir würden uns freuen, wenn es Ihnen gelingen würde, diese aufkeimende Diskussion im Keim zu ersticken."

Zwei, die sich gut kennen: VW-Betriebsratschef Bernd Osterloh und Bundeskanzlerin Angela Merkel im September 2008 in Wolfsburg. (Foto: Christian Charisius/Reuters)

Ein Betriebsratschef als Chefdiplomat und Lobbyist in großen Konzernangelegenheiten: Das dürfte es so eher selten geben. Ein IG-Metall- und SPD-Mann, der die Nähe der Kanzlerin sucht und von dem es heißt, er schätze Angela Merkel sehr - ebenfalls wohl eher die Ausnahme. "Wir pflegen unsere politischen Kontakte nach außen kontinuierlich", sagt ein Sprecher des Betriebsrates dazu. "Auf lokaler, nationaler und auf europäischer Ebene. Wir schauen dabei nicht nach Rot, Schwarz, Grün oder Gelb, sondern danach, wer die Interessen unserer Kollegen im Blick hat."

Hat Osterloh die Interessen einmal im Blick, vergisst er nicht. Ende 2013, in der Zwischenzeit hat der Europäische Gerichtshof die Klage der EU-Kommission gegen das VW-Gesetz zurückgewiesen und Niedersachsens Vetorecht und damit die mächtige Rolle des Landes bei VW bestätigt, meldet sich Osterloh noch einmal zur Sache. "Liebe Frau Dr. Merkel, ich möchte Ihnen im Namen der VW-Beschäftigten - aber auch ganz persönlich - noch einmal herzlich für Ihren erfolgreichen Einsatz für das VW-Gesetz danken."

Seit 1977 arbeitet Osterloh bei VW in Wolfsburg, seit 2005 leitet der 59-Jährige den Betriebsrat. Im Konzern gehört der Mann, der auch im mächtigen Aufsichtsratspräsidium sitzt, neben Vorstands- und Aufsichtsratschef zu den drei wichtigsten Spielern. Als es vor zwei Jahren bei VW ans Sparen ging und Unternehmensberater über die Flure in Wolfsburg marschieren sollten, überreichte Osterloh seinem Vorstand einen 400 Seiten schweren Ordner mit Verbesserungsvorschlägen aus der Arbeitnehmerschaft. Wenn schon gespart werden müsse, dann solle man die Details nicht allein den Vorständen und schon gar nicht externen Konzernoptimierern überlassen - das könne man selbst am besten.

Die Rolle Osterlohs beschreiben Kollegen seit Langem schon als die eines "Co-Managers" - ein Titel, den Osterloh nicht stehen lassen will. Der SZ sagte er einmal: "Ich mag diesen Ausdruck nicht. Was wir bei VW machen, ist qualifizierte Mitbestimmung und kein Co-Management."

Wirklich nicht?

Als der Autobauer in den vergangenen Wochen Stress mit kleinen Zulieferfirmen hatte und an die 22 000 Fahrzeuge der Brot-und Butter-Modelle Golf und Passat nicht gebaut werden konnten, forderte Osterloh Konsequenzen - man müsse nun über "Minderheitsbeteiligungen" oder "Vorkaufsrechte" bei Zulieferern nachdenken, regte er an. "Ich will damit jetzt nicht sagen, dass sich VW an all seinen Zulieferern beteiligen soll. Aber an verwundbaren Schlüsselstellen wäre das vielleicht ein Weg", sagte er.

Lieferengpässe? Probleme mit aufmüpfigen Partnerfirmen? Ganz einfach: Wer Ärger macht, wird geschluckt.

Beim Ringen um die renditeschwache Kernmarke VW verhandeln Arbeitnehmer und Vorstand gerade über brisante Details. Der Betriebsrat will klare Aussagen zu Investitionen, Modellen und Stückzahlen.

"Wir müssen dabei zunächst die Frage des Henne-Ei-Prinzips klären", sagte Osterloh vor einigen Tagen der dpa. "Wir brauchen schon ein paar Aussagen des Unternehmens dazu, in welche Richtung das laufen kann. Sonst wird das schwierig mit einem Zukunftspakt."

Wenn aus dem Innenpolitiker Osterloh der Außenpolitiker wird, geht er gerne über Hans-Christian Maaß, den Leiter der Berliner Konzernrepräsentanz. So auch Ende Juli 2014, als Maaß im Kanzleramt um einen Termin bei Merkel für Osterloh bittet. "Den die Bundeskanzlerin gut kennt", versichert der Lobbyist. Anlass des Anliegens: Es gehe "neben der konkreten unternehmerischen Situation der Volkswagen AG auch um grundsätzliche Fragen der deutschen und europäischen Wirtschaftsentwicklung". Nach nur einer Woche hakt der Emissär nach: Die Termine "mit unserem Betriebsrat betreue ich immer mit besonderer Aufmerksamkeit. Bitte haben Sie daher Verständnis, wenn ich einmal nachfrage, ob der von Herrn Osterloh angefragte Termin mit der Bundeskanzlerin evtl. machbar wäre?" Berlin meldet sich innerhalb weniger Minuten zurück. Die "Gesprächsbitten" würden geprüft - "das sollten wir abwarten".

Es ist Juni 2014, als sich Osterloh in einer heiklen Frage an die Kanzlerin wendet: Er hadert mit dem Transatlantischen Freihandelsabkommen TTIP. Man sehe "insbesondere das geplante Investitionsschutzabkommen mit der darin vorgesehenen Schiedsgerichtsbarkeit sehr kritisch". Auch sei "noch ungeklärt, ob bestehende Standards und Gesetze wie bspw. das VW-Gesetz Bestandsschutz genießen". Der Lobbyist schließt seinen Brief: "Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin, wir möchten Sie bitten, unsere Bedenken entsprechend prüfen zu lassen."

Der VW-Betriebsrat und die TTIP-Debatte? Es sei "strategisch notwendig, bei Themen wie TTIP oder dem VW-Gesetz, oder bei Fragen, die unsere Kollegen direkt betreffen, selbst zu agieren", sagt ein Sprecher dazu. "Das Unternehmen hat da nicht immer zwangsweise den gleichen Blick."

© SZ vom 03.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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