Viehzucht:Gedopte Kuh

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Die Milchproduktion von Kühen kann mit Kexxtone erhöht werden. (Foto: Winfried Rothermel/imago)

Zehntausende gesunde deutsche Kühe bekommen umstrittene Antibiotika. Das soll Krankheiten vorbeugen. Und die Tiere geben dann auch mehr Milch.

Von Christian Baars und Christina Berndt, München

Viehhaltung möglichst ohne Antibiotika: So lautet ein erklärtes Ziel, dem sich auch die Bundesregierung verpflichtet fühlt. Doch bisher unveröffentlichte Zahlen zeigen nun, dass in Deutschland sogar gesunde Milchkühe zu Zehntausenden ein umstrittenes Antibiotikum erhalten. Mehr als 70 000 mal hat die Firma Elanco im Jahr 2014 das Medikament Kexxtone abgegeben. Das teilt die Firma auf Druck der Umweltschutzorganisation Greenpeace in einem Schreiben mit, das der SZ vorliegt. Demnach haben knapp zwei Prozent aller deutschen Kühe das Mittel mit dem Antibiotikum Monensin bekommen, obwohl sie gesund waren. Kexxtone soll der Krankheit "Ketose" vorbeugen, die Kühe nach dem Kalben erleiden können. Ein günstiger Nebeneffekt: Die Tiere geben dann mehr Milch. Deshalb wird Kexxtone auch als "Dopingmittel für Kühe" bezeichnet.

Die 70 000 Anwendungen von Kexxtone sind in den Augen des Greenpeace-Landwirtschaftsexperten Martin Hofstetter schlicht "70 000 zu viel". Das Mittel solle nur dazu dienen, eine Tierhaltung fortzuführen, "die die Tiere chronisch krank macht". Dem stimmt auch der Tierarzt Matthias Link aus Varrel zu, ein Dezernent der Bundestierärztekammer. Eine Ketose könne durch gute Haltung und Fütterung weitgehend vermieden werden, betont der Tierarzt. Zur Ketose kommt es, wenn die Kühe wegen ihrer hohen Milchgabe zu viel Fett abbauen. Das Medikament Kexxtone hilft dagegen, weil es dafür sorgt, dass die Tiere ihr Futter besser verwerten. Und das bedeutet: mehr Milch. Ein Ende dieses "Kuhdoping" forderte Nordrhein-Westfalens Landwirtschaftsminister Johannes Remmel (Grüne) daher im WDR. "Bei Kühen, die Stoffwechselprobleme haben, muss man eher darüber nachdenken, vielleicht etwas weniger Leistung zu fordern, anstatt mit Medikamenten die Leistung zu erhöhen."

Die Zahl der Kexxtone-Behandlungen war bisher ein gut gehütetes Geheimnis. Das für die Aufsicht über Antibiotika in der Tierzucht zuständige Landesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) verweigerte die Herausgabe unter Berufung auf das Betriebsgeheimnis des Herstellers. Dabei wird Kexxtone seit seiner Zulassung Anfang 2013 sehr kritisch beäugt. Auch die Bundesregierung betonte damals, die Anwendung "sollte intensiv überwacht werden". 2006 war das Mittel EU-weit im Rinderfutter verboten worden - weil es als Wachstums- und Leistungsförderer galt. Dann erfolgte plötzlich die Neuzulassung als prophylaktisch wirkendes Medikament.

Die nun bekannt gewordenen Zahlen bedeuten nach Ansicht des BVL keinen Grund zur Sorge: Die Abgabe von Kexxtone liege angesichts der großen Verbreitung der Ketose "in einem niedrigen Bereich", so das BVL. "Aus den Daten lässt sich kein Missbrauch ableiten."

Martin Hofstetter von Greenpeace befürchtet allerdings, dass die Anwendung stark zunehmen wird - denn seit April gibt es keine Milchquote mehr. "Die Landwirte können jetzt so viel Milch produzieren, wie sie wollen", sagt er. Und Kexxtone könnte dabei helfen.

© SZ vom 01.08.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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