Verkehr:In Geisterhand

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Die Ethik-Kommission der Bundesregierung schlägt für das automatisierte Fahren Regeln vor: Computern soll verboten werden, bei einem Unfall zwischen vermeintlich guten und schlechten Opfern zu unterscheiden.

Von Markus Balser, Berlin

Stadtverkehr in Berlin. Hier fährt und lenkt jeder noch eigenständig - mit automatisiertem Fahren wird bisher nur experimentiert. (Foto: Karl-Heinz Spremberg/mauritius images)

Wie es sich anfühlt, von Geisterhand gesteuert zu werden? Der ehemalige Verfassungsrichter Udo Di Fabio hat das am eigenen Leib erfahren. Vor einigen Monaten gab der Jurist das Steuer eines Testwagens auf der A 9 an den Bordcomputer ab. Lange aber ging das Experiment nicht gut. Denn bei Starkregen reichte der Computer die Entscheidungsgewalt schon nach ein paar Minuten zurück an Di Fabio.

Noch sind die Testfahrzeuge vorsichtig programmiert. In einer ersten Phase soll der Mensch ständig eingreifen können. Doch geht es nach den Autokonzernen, könnten Computer in einigen Jahren die Steuerung von Autos komplett übernehmen. Der Chef der Ethik-Kommission der Bundesregierung hat mit seinem 14-köpfigen Gremium aus Juristen, Philosophen, Theologen, Verbraucherschützern und Ingenieuren seit September 2016 einen Rechtsrahmen für den vollautomatischen Verkehr erarbeitet. Am Donnerstag stellte das Gremium seinen Abschlussbericht mit Forderungen für dieses autonome Fahren von Robotern vor.

Die SZ fasst die wichtigsten Ergebnisse zusammen:

Sollen in Deutschland künftig überhaupt vollautomatische Autos fahren dürfen?

Das automatisierte und vernetzte Fahren sei "ethisch geboten, wenn die Systeme weniger Unfälle verursachen als menschliche Fahrer", betonte der Vorsitzende der Ethik-Kommission, der ehemalige Bundesverfassungsrichter Udo Di Fabio. Schon mit den vorhandenen Fahrassistenzsystemen gebe es einen Sicherheitsgewinn. Er sei "überzeugt, dass wir keine 3000 Toten mehr" auf Deutschlands Straßen haben werden. "Das Ideal einer kollisionsfreien Verkehrsführung" sei aber "möglicherweise noch fern", warnte er. Mit dem Gesetz zum automatisierten und vernetzten Fahren, das bereits am Mittwoch in Kraft treten soll, regelt der Gesetzgeber den Einstieg in das teilautomatisierte Fahren auf Deutschlands Straßen. Demnach darf künftig der Computer teilweise die Fahrzeugsteuerung übernehmen. Die letzte Verantwortung bleibt aber beim Menschen. Er muss ständig in der Lage sein, einzugreifen.

Wie sollen Computer in gefährlichen Situationen reagieren?

Die Unfallfrage gilt als die ethisch schwierigste. Dürfen Systeme abwägen, ob sie bei unausweichlichen Unfallsituationen auf kleine oder große Gruppen, alte oder junge Menschen zusteuern? Die Ethik-Kommission setzt Programmierern nun enge Grenzen: Bei unausweichlichen Unfallsituationen müsse jede Qualifizierung nach persönlichen Merkmalen (Alter, Geschlecht, körperliche oder geistige Konstitution) strikt untersagt werden. Auch eine Aufrechnung von Opfern dürfe es nicht geben. Eine allgemeine Programmierung auf eine möglichst kleine Zahl von Personenschäden könne aber vertretbar sein. Sach- und Tierschäden müssten bei Unfällen immer Vorrang vor dem Personenschaden haben. Grundsätzlich müssten die Systeme aber so programmiert sein, dass es erst gar nicht zu Unfällen komme.

Wem gehören die Daten aus dem Auto?

Angesichts der zu erwartenden riesigen Datenmengen beim vollautomatischen Fahren fordern Experten mehr Schutz für Verbraucher von der Bundesregierung. Fahrzeughalter und -nutzer müssten "grundsätzlich über Weitergabe und Verwendung ihrer anfallenden Fahrzeugdaten" entscheiden dürfen. "Einer normativen Kraft des Faktischen, wie sie etwa beim Datenzugriff durch die Betreiber von Suchmaschinen oder sozialen Netzwerken vorherrscht, sollte frühzeitig entgegengewirkt werden", mahnt die Ethik-Kommission. Das gilt als klare Aufforderung an die Bundesregierung, beim Datenschutz mehr zu tun. Die Forderung hat Brisanz, denn die Regierung rückt gerade vom Prinzip der Datensparsamkeit ab, um neue Geschäftsmodelle zu ermöglichen. Im Kommissionsbericht heißt es dagegen: Eine vollständige Vernetzung und zentrale Steuerung aller Fahrzeuge sei ethisch bedenklich, wenn Risiken einer "totalen Überwachung der Verkehrsteilnehmer" und der Manipulation der Fahrzeugsteuerung nicht sicher auszuschließen seien.

Wie verändert sich der Verkehr auf den Straßen?

Uneins sind sich die Experten, ob frühestens in fünf oder zehn oder sogar 20 Jahren eine nennenswerte Zahl vollautomatischer Autos unterwegs sein wird. Klar ist, dass sich der Verkehr dann deutlich verändern wird. Die Kapazitäten auf den Straßen dürften sich um bis zu 40 Prozent erhöhen, sagen Mitglieder der Kommission voraus. Weniger Staus müsse das allerdings nicht bedeuten. Denn der Verkehr insgesamt könnte zunehmen. In Teilen der Kommission wurde auch diskutiert, ob neue Geschwindigkeitsregelungen nötig sind. Etwa Straßenkategorien, in denen 50 Stundenkilometer zwischen Orten erlaubt wären oder 30 Kilometer pro Stunde auf Straßen mit automatisiertem und nichtautomatisiertem Mischverkehr in Städten.

Reichen Haftungsregeln aus?

Nein. Der Bericht betont, dass sich die bislang dem Menschen übertragene Verantwortung bei automatisierten Fahrsystemen "auf die Hersteller und Betreiber der technischen Systeme" sowie "die politischen und rechtlichen Entscheidungsinstanzen" überträgt. "Wenn das Lenkrad eingezogen wird, übernimmt der Hersteller die Haftung", sagte Di Fabio und forderte dafür klare gesetzliche Regelungen.

© SZ vom 21.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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