Verbraucherschutz:"Lücken im Rechtsschutz"

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Justizminister Heiko Maas (SPD) wollte, dass sich Verbraucher gemeinsam mit nur einer Klage gegen Unternehmen wehren können. Doch dieser Ankündigung folgten keine Taten.

Von Markus Balser, Klaus Ott und Katja Riedel, Berlin/München

300 000 Kunden sind angeblich betroffen, aber nur 194 bekommen ihr Geld zurück. So soll es beim Berliner Energieunternehmen Gasag nach einer Preiserhöhung der Fall gewesen sein. Mit Beispielen dieser Art kämpft die deutsche Verbraucherzentrale seit Jahren für eine Art Sammelklage, mit der sich Kunden großer Unternehmen gemeinsam und besser gegen Missstände wehren könnten. Bei der Gasag in Berlin ging es um eine Preisklausel aus den Jahren 2005 und 2006, die der Bundesgerichtshof Jahre später für unwirksam erklärt habe. Die Verbraucherzentrale in der Hauptstadt wollte für möglichst viele Kunden Geld zurückfordern, konnte nach eigenen Angaben aber nur 194 Betroffene vor Gericht vertreten. Der "bürokratische Aufwand", sich von jedem einzelnen Gasag-Kunden dessen Forderungen juristisch abtreten zu lassen, sei immens gewesen.

Mit einer Sammelklage, so die Verbraucherschützer, wäre das viel einfacher gewesen. Der Berliner Streit um die Gaspreise endete mit einem Vergleich. Man habe sich im "Interesse der Kunden außergerichtlich geeinigt", teilte die Gasag dazu jetzt auf Anfrage mit. Der Berliner Energieversorger wehrt sich gegen den Vorwurf, 300000 Gas-Abnehmer über den Tisch gezogen zu haben. Einige Angaben der Verbraucherzentrale seien "nicht richtig". Welche Aussagen das seien, sagt die Gasag nicht. Über die Details des Vergleichs habe man Stillschweigen vereinbart.

"Wir sind enttäuscht worden", sagt die Verbraucherzentrale. Das sei natürlich jetzt bitter

In einem Papier mit dem Titel "Lücken im Rechtsschutz" nennt die deutsche Verbraucherzentrale elf Beispiele, wie Millionen Kunden von Mobilfunk-Konzernen, Versandhäusern, TV-Sendern, Versicherern und Energieversorgern insgesamt um Milliardenbeträge geprellt worden seien. Weil es in Deutschland nicht möglich sei, gemeinsam auf Rückzahlung oder Schadenersatz zu klagen. Manche Kritik in diesen elf Fällen mag überzogen sein. Der Assekuranz-Konzern Allianz etwa bezeichnet Vorwürfe, er habe bei einem Streit um den Rückkaufwert von Policen mutmaßlich mehreren Millionen Kunden insgesamt mehrere Milliarden Euro vorenthalten, als "abenteuerlich". 1,6 Millionen Versicherer hätten 140 Millionen Euro erhalten, damit sei alles beglichen gewesen, so die Allianz.

Man muss also nicht gleich jede Anschuldigung von Verbraucherverbänden für bare Münze nehmen. Im Kern trifft die Kritik aber zu. Solange Kunden auf sich alleine gestellt sind, haben sie schlechte Chancen, sich vor Gericht durchzusetzen. Prozesse können lange und teuer sein. Das zeigt auch die Affäre um die manipulierten Abgasmessungen bei elf Millionen Dieselfahrzeugen von Volkswagen. Und das weiß kaum jemand besser als Gerd Billen, Staatssekretär im Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz. Billen war bei Umweltorganisationen und den Grünen aktiv und gehörte jahrelang dem Vorstand der deutschen Verbraucherzentrale an, bevor er in die Regierung wechselte.

Kaum hatte im September 2015 die Abgasaffäre von VW begonnen, da setzte sich Billen öffentlich bereits für bessere Verbraucherrechte ein. Die Regierung wolle zwar keine Sammelklagen wie in den USA, wo Konzerne horrende Summen zahlen müssen, wenn sie ihre Kunden täuschen. Die Abgasbetrügereien kosten VW in Übersee mehr als 15 Milliarden Dollar. Das ist nicht im Sinne des früheren Verbraucherschützers und heutigen Staatssekretärs Billen. Er kündigte aber vor Jahresfrist an, man arbeite an einer deutschen Lösung. Verbraucherorganisationen müssten die Möglichkeit haben, Kundenrechte wirksam und "auf Augenhöhe" vor Gericht durchzusetzen. Nämlich dann, wenn Verbraucher massenhaft unlauteren Geschäftspraktiken oder überhöhten Preisen zum Opfer gefallen seien. Billens Konzept sah eine "Musterfeststellungsklage" vor. Verbraucherverbände könnten dann Massenfälle mit nur einer Klage vor Gericht bringen. Die betroffenen Kunden könnten sich, um ihre Rechte geltend zu machen, in ein "Klageregister" eintragen lassen. So ließe sich alles in einem Verfahren vor Gericht klären. Das würde, sagte Billen vor einem Jahr, den Verbrauchern helfen und die Kapazitäten der Justiz schonen.

Es schont nur nicht die von solchen Fällen betroffenen Unternehmen, bei denen es sich in der Regel um einflussreiche Konzerne mit bestem Lobbying handelt. Aus dem gewissermaßen rot-grünen Vorhaben von Billen und seinem Minister Heiko Maas (SPD), den Kunden von VW und anderen Unternehmen zu helfen, ist bis heute nichts geworden. Das erzürnt manche Bundesländer, die bereits im April 2016 das Ministerium von Maas gerügt hatten. Es sei für den einzelnen VW-Kunden nicht zumutbar, seine Ansprüche "gegenüber einem Weltkonzern wie Volkswagen" im Wege einer "Individualklage" geltend zu machen. Und es erzürnt Oliver Krischer, Vizechef der Grünen im Bundestag. "Vollmundigen Ankündigungen" von Maas sei nichts gefolgt. Maas lasse sich zum "Verbraucher-Pappkameraden" degradieren, sagt Krischer.

Die deutsche Verbraucherzentrale erklärt, man habe gelaubt, dass die Musterklage jetzt komme. Man sei aber enttäuscht worden. "Das ist natürlich jetzt für uns bitter."

© SZ vom 17.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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