USA:Big Sugar ist Geschichte

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Amerika im Wandel: Florida verdrängt die Zuckerindustrie, um die Natur der Everglades zu retten. Doch viele Menschen verlieren ihren Arbeitsplatz und die Heimat.

Moritz Koch, New York

Amerikas süßeste Stadt verspricht das Schild am Straßenrand. Doch Clewiston, das Zentrum der amerikanischen Zuckerindustrie, ist ein Ort der Bitterkeit. Der Weg führt vorbei an Fast-Food-Restaurants und verlassenen Motels. Nur in Brenda's Place ist etwas Leben. Ein paar Gäste spielen Billard, andere vertreiben sich die Abendstunden vor dem Fernseher und kippen Wodka hinunter, verdünnt mit Diet Coke. Leuchtreklamen tauchen die Bar in fahles Blau. Die Wand hinter dem Tresen ziert ein gerahmter Spruch: "Alle Gäste machen uns froh. Die einen, wenn sie kommen. Die anderen, wenn sie gehen."

Die Everglades, ein einzigartiges Feuchtgebiet, das Land und Leben in Florida jahrtausendelang geprägt hatte, schrumpfen. (Foto: Foto: Florida Touristic)

Clewiston - "es ist längst tot"

George und Elaine scheinen willkommen zu sein. Missy, die wuchtige Barfrau, ist gerade damit beschäftigt, den beiden Drinks zu mixen. Jahrelang haben George und Elaine in der Landwirtschaft Clewistons gearbeitet. Sie als Lkw-Fahrerin, er auf den riesigen Feldern, die sich im Süden der Stadt ausbreiten. Doch das ist lange her. Sie haben ihre Jobs verloren und sind fortgezogen. Nur noch in den Ferien kommen sie zurück in die Heimat. Elaine wickelt sich eine Haarsträhne um den Zeigefinger und sagt: "Die Leute sagen, dass Clewiston stirbt. So ein Quatsch. Es ist längst tot."

Dass man überhaupt noch spricht von Clewiston in diesen Tagen, hat nur einen Grund. Floridas Gouverneur Charlie Crist will die US Sugar Corporation verstaatlichen, den größten Arbeitgeber der Stadt. Nicht um das Unternehmen zu retten, sondern um es zu schließen. Die Felder sollen dem Umweltschutz geopfert werden, mitsamt den 1700 Arbeitsplätzen. Wer auch immer in Clewiston gehofft hatte, dass die Krise der Zuckerindustrie vorbeigeht, dass das Geschäft wieder anspringt, dass die Investitionen in moderne Erntemaschinen den Kostenvorteil der mexikanischen Konkurrenten ausgleichen werden, hat jetzt Gewissheit: Big Sugar ist Geschichte.

Verraten und verkauft

"Die Stadt und der Konzern, früher war das eins", sagt Butch Wilson. Seine Haut ist fast so grau ist wie sein Hemd. Auch Wilson hat für US Sugar gearbeitet, 32 Jahre lang. "Doch sie haben mich fallen lassen, so wie sie die ganze Stadt fallen gelassen haben", sagt er. Dass die Konzernführung dem Verkauf zugestimmt hat, empfindet Wilson als Verrat. "Das Unternehmen ist eine Legende. Es überlebte Hurrikane, die Hetze von Umweltschützern, selbst die Große Depression. Und jetzt machen sich die Eigentümer aus dem Staub, einfach so."

Wilson hat als Direktor des kleinen Museums von Clewiston neue Arbeit gefunden. Hin und wieder führt der alte Mann Touristen vorbei an Erntemaschinen und Fotos, Dokumente einer Zeit, als in Clewiston noch Zuversicht herrschte. In den 50er Jahren fingen Weltkriegsveteranen und schwarze Landarbeiter auf den Zuckerplantagen Floridas ein neues Leben an. US Sugar versprach ihnen Arbeit, gutes Geld und ein eigenes Haus. Das Geschäft lief prächtig, und als die USA 1962 ein Embargo gegen Kuba verhängten, begann ein Boom. Washington stellte fest, dass es eigene Zuckerbarone brauchte und so hatte US Sugar leichtes Spiel, dem Kongress Subventionen abzufordern. Die Kleinstadt Clewiston erlebte goldene Jahre. Wilson schwärmt von jener Zeit. "Das Unternehmen war so unwahrscheinlich nobel damals. Jeder Arbeiter, der in den Ruhestand ging, durfte in den firmeneigenen Siedlungen wohnen bleiben, kostenlos."

Doch die Blüte der Plantagen vergiftete die Natur. Die Everglades, ein einzigartiges Feuchtgebiet, das Land und Leben in Florida jahrtausendelang geprägt hatte, schrumpfen. Bevor die ersten Weißen in dieses mücken- und alligatorenverseuchte Gelände vordrangen, als nur einige Indianer in den Sümpfen wohnten, erstreckten sich die Everglades auf einer Fläche fast so groß wie Thüringen. Es gab unzählige Fischarten, Wasservögel und wilde Tiere - das Gebiet war ein Refugium des ursprünglichen Amerikas.

Riesiger, träger Fluss

Eigentlich sind die Everglades eher ein Fluss als ein Sumpf. Ein riesiger Fluss, 90 Kilometer breit. Das Wasser bahnt sich seinen Weg durch die Graswiesen hindurch nach Süden bis zum Meer, so langsam, dass die Bewegung für das menschliche Auge unsichtbar ist. Die Quelle, die diesen trägen Strom früher speiste, war der riesige See, an dessen südlichem Ufer Clewiston liegt. Okeechobee, "großes Wasser" nannten ihn die Indianer. Diesen Namen trägt der See noch immer. Ansonsten aber hat sich viel verändert. 1928 fegte ein Hurrikan über die Region, der Okeechobee quoll über und spülte die Deiche davon, die Clewiston schützen sollten. 2400 Menschen starben in den Fluten. Die Regierung schickte das Corps of Engineers der US-Armee, das den Okeechobee in ein Korsett aus neuen, höheren Deichen zwang. Der Hochwasserschutz war der Auftakt zur planmäßigen Zerstörung der Everglades.

Lange schon hatten die Menschen davon geträumt, die Sümpfe trockenzulegen. In ihrem ursprünglichen Zustand waren die Everglades nutzlos, fanden die Siedler. Das Land war zu nass, um es zu bewirtschaften, und zu trocken, um es schiffbar zu machen. Nun, da der Okeechobee gebändigt und der Strom von seiner Quelle abgeschnitten war, ging ihr Traum in Erfüllung. Die weiche, schwarze Erde erwies sich als ungeheuer fruchtbar. Nirgendwo sonst in Amerika gedeiht Zuckerrohr so gut wie hier.

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Doch der Sieg gegen die Natur endete als ökologischer Albtraum - mit ungeahnten Folgen für die Menschen. Die Everglades sind in einem erbärmlichen Zustand. Die Hälfte der Sümpfe liegt begraben unter Straßen, Vorstädten und Feldern. Ein Nationalpark, der den Rest des Ökosystems schützen sollte, konnte das Sterben nur verlangsamen. Im Norden trocknen die Everglades aus, im Süden drängen Meer und Mangroven in den durch Dünger verschmutzten Strom hinein. Und immer wieder entzünden sich Buschbrände, die bis in die Vorstädte von Miami und Fort Lauderdale ziehen.

Eine Karte von Florida und den Everglades. Durch Klicken erhalten Sie eine Zoom-Ansicht. (Foto: Karte: SZ)

Acht Milliarden Dollar gegen das Sterben

Ende der 90er Jahre beschloss die Regierung des damaligen Präsidenten Bill Clinton ein beispielloses Rettungsprogramm: den Comprehensive Everglades Restoration Plan - kurz Cerp genannt. Acht Milliarden Dollar sollten das Sterben der Sümpfe stoppen, je zur Hälfte bezahlt von Florida und Washington. Das Ziel war es, die natürliche Wasserversorgung der Everglades wiederherzustellen, ohne Farmen und Städte zu beeinträchtigen. Das Wasser aus dem Okeechobee sollte unter den Zuckerplantagen hindurch in die Everglades geleitet werden.

Doch das Renaturierungsprojekt wurde zum Flop. Bis heute ist wenig geschehen. Gerade einmal 500 Millionen Dollar hat Washington ausgegeben. Clintons Nachfolger George W. Bush hatte kein Interesse an den Everglades und sein Bruder Jeb, bis 2007 Gouverneur im Sunshine State, wollte statt der Sümpfe lieber Vorstädte bewässern. Erst Charlie Crist, der Jeb Bush im Amt beerbte, gab dem Cerp neuen Schwung. Schnell erkannte der neue Gouverneur die Geburtsfehler des ursprünglichen Plans: Die Zuckerindustrie und die Sümpfe können nicht koexistieren. Der Versuch, das Wasser unter den Feldern hindurch zu leiten, war zu teuer und zu umständlich.

Daher machte Crist US Sugar ein Angebot: Eure Plantagen gegen 1,34 Milliarden Dollar. Im November stimmte das Unternehmen zu, der Vertrag wurde vor ein paar Wochen besiegelt. Der Staat erwirbt mehr als 750 Quadratkilometer Land. Nach einer siebenjährigen Übergangszeit sollen die Zuckerfelder Seen und Marschland weichen. Umweltschützer jubeln: "In 20 Jahren wird dieses Land wieder so sein, wie es war, bevor der weiße Mann kam", sagt David Guest vom Earthjustice Defense Fonds.

Neue Hürden

So schließt sich der Kreis. Es ist eine besondere Ironie der Geschichte: Die Zerstörung der Wildnis war Teil der öffentlichen Investitionsprogramme zu Zeiten der Großen Depression. Nun, inmitten einer Wirtschaftskrise, die von vielen schon die neue Große Depression genannt wird, soll die Wiederherstellung der Natur die Wirtschaft ankurbeln - zumindest hoffen Politiker in Florida, dass es so kommt. Sie wissen, dass sie im Weißen Haus einen Verbündeten haben. Barack Obama hat im Wahlkampf versprochen, den Everglades zu helfen. Die Arbeit könnte schnell beginnen. Machbarkeitsstudien sind abgeschlossen, Genehmigungen eingeholt. Ein paar Hürden gilt es noch aus dem Weg zu räumen. US Sugar ist zwar der größte, aber nicht der einzige Zuckerbetrieb in der Region. Crist schlägt den verbliebenen Farmern einen Tausch vor: Land, das er für die Everglades braucht, gegen Felder von US Sugar. Der Gouverneur hat gute Karten, die Plantagen des Konzerns aus Clewiston sind sehr fruchtbar.

Für US Sugar war der Verkauf der Felder keine schwere Entscheidung. Das Unternehmen befindet sich im Niedergang, seit durch die Freihandelsverträge mit Mexiko und Zentralamerika der US-Markt für Importe geöffnet ist. Im Konzern heißt es denn auch: "Der Verkauf war im besten Interesse unserer Eigentümer." So hat das Geschäft beide Seiten zufriedengestellt, das Unternehmen und den Staat. Verloren haben die, die nicht gefragt wurden: die Einwohner von Clewiston. Für ihre Stadt gibt es ohne den Zuckerkonzern keinen Existenzgrund mehr. Der Werkzeugladen, der Autohändler, das Maklerbüro - in sieben Jahren sind sie dicht. Zwar versucht Clewiston, sich als Anglerparadies neu zu erfinden, doch niemand glaubt, dass der Tourismus das Loch stopfen kann, das die Zuckerindustrie hinterlässt.

"Für mich war's das", sagt Elaine und klopft George auf die Schulter. Der starrt weiter auf den Fernseher. Sein Drink ist alle. Missy greift zur Wodkaflasche. "Ich habe den besten Job in Clewiston", sagt sie, während der klare Alkohol über die Eiswürfel strömt. "Ich verkaufe, was die Leute brauchen." Gerade jetzt, wo die Geschichte von Amerikas süßester Stadt ein bitteres Ende nimmt.

© SZ vom 31.01.2009/iko/tob - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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