Brüssel und die Bauern:Der Bauern Opfer

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"Neue Herausforderungen" heißt das neue EU-Programm für die Landwirtschaft. Es ist Zeit, dass sich die konservativen Teile des Bauernstandes dieser Herausforderung stellen.

Wolfgang Roth

Natürlich ist der Deutsche Bauernverband höchst unzufrieden mit dem Kompromiss, auf den sich die Landwirtschaftsminister der Europäischen Union in Brüssel geeinigt haben. Mit Sicherheit werden auch die französischen und spanischen, die italienischen und griechischen Landwirte über das maulen, was ihre jeweilige Regierung da erreicht hat.

Ohne konzertierte Agrarpolitik gäbe es im alten Europa noch viel weniger Betriebe (Foto: Foto: dpa)

Der Missmut über "die in Brüssel" begleitet das Projekt der europäischen Einigung von Anbeginn. Deshalb ist es angebracht, immer wieder auf eine sehr simple Tatsache hinzuweisen: Ohne diese konzertierte Agrarpolitik gäbe es im alten Europa noch viel weniger Betriebe, die mit Ackerbau, Viehzucht und Energiepflanzen ein Auskommen haben, denn mit den niedrigen Weltmarktpreisen können die Bauern hier nie und nimmer konkurrieren.

Zwang zur Einigung

Was nicht bedeutet, dass die letztlich sowieso von den nationalen Regierungen mitbestimmten Vorgaben aus Brüssel immer vernünftig waren.

Sie wären aber noch unvernünftiger ausgefallen, wenn es nicht diesen Zwang zur Einigung gegeben hätte, wenn sich die Lobby der jeweiligen Länder eins zu eins durchgesetzt hätte, wenn nicht Kommissare wie der Österreicher Franz Fischler und nun Mariann Fischer Boel aus Dänemark beharrlich auf eine Reform hingearbeitet hätten.

Die Agrarpolitik der EU ist auf dem richtigen Weg, wenn auch jeder Schritt auf dieser Wegstrecke durch die unvermeidlichen Kompromisse gehemmt wird.

Das Ziel ist, die Direktzahlungen allmählich abzubauen, die für die Produktionsmenge und allein für den in Hektar gemessenen Bedarf eines Betriebs geleistet werden.

Das Ziel muss sein, die Bauern stärker auch für jene Leistungen zu belohnen, die den Steuerzahlern etwas wert sein sollten: Erhalt der Kulturlandschaft, umweltschonendes Wirtschaften, Bewahrung der Artenvielfalt.

Je mehr den Mitgliedsländern freigestellt wird, dass sie einen wachsenden Anteil der Subventionen auf diese sogenannte zweite Säule umschichten können, umso besser. Sie sollen sich vor ihren Wählern dafür verantworten, welche Art von Landwirtschaft sie besonders fördern.

Wobei es keineswegs nur darum gehen kann, partout den Mächtigen etwas abzuzwacken. Auch die vorrangig im deutschen Osten angesiedelten Großbetriebe haben es in der Hand, die Kürzung ihrer pauschalen Zuwendungen auszugleichen, indem sie ökologischen Anforderungen genügen; damit haben sie Zugriff auf andere, wesentlich sinnvoller verwendete Subventionen.

Ausnahme Künast

Den Freiraum hierfür hat die EU eröffnet. Wenn das Höfesterben, die Existenznot der Kleinen trotzdem kein Ende hat, dann liegt das nicht nur an den Konsumenten, die die Kühe auf der Weide mit Wohlgefallen betrachten, aber im Regal zur billigsten Butter greifen.

Es hat auch seinen Grund darin, dass viele EU-Staaten diesen Freiraum nicht ausnützen. In Deutschland sind es die Bundesländer, die stärker als bisher die gesellschaftlichen Leistungen der Landwirtschaft honorieren könnten.

Die deutschen Landwirtschaftsminister zählen seit jeher nicht zu den treibenden Kräften für eine europäische Agrarpolitik, die den Bürgern auf Dauer plausibel macht, dass deren Steuermittel gut verwendet sind. Eine Ausnahme war Renate Künast, von der man sich nur gewünscht hätte, dass sie nicht bei jeder Gelegenheit "Klasse statt Masse" einfordert.

Die erste Ministerin, die den Umwelt- und Verbraucherschutz so wichtig nahm wie die Belange der Landwirtschaft, hatte aber gut verstanden, dass es so nicht weitergehen konnte.

Irgendwann lässt sich ein System nicht mehr rechtfertigen, das viel Geld in die Produktion von Gütern steckt, die zusätzlich mit Importbeschränkungen vor der Konkurrenz geschützt werden müssen, um am Ende mit Hilfe von Exportsubventionen in anderen Erdteilen zu landen. Künast mochten die meisten Bauern nicht; ihr folgte Horst Seehofer nach, und das war dann wieder einer der ihren.

Ein Weiter-so! ist aber nicht möglich, auch nicht für Ilse Aigner, die nun, kurz nach der Amtsübernahme, ihren ersten Verhandlungsmarathon in Brüssel absolvierte. Sie hält sich zugute, höhere Abstriche bei den Direktzahlungen verhindert zu haben. Fürs Erste, denn aufgeschoben ist nicht aufgehoben. Der nächste Schritt wird kommen nach der Logik dieser Reform.

Für die deutschen Milchbauern gibt es einen speziellen Fonds, der Härten abfedern soll. Dagegen ist weißgott nichts einzuwenden, zumal die Milchquoten nach und nach erhöht werden. So kommt wieder mehr Milch auf den Markt, und das drückt die Erzeugerpreise, die für viele Bauern schon so niedrig sind, dass sie kaum die Kosten decken.

Wenn das Geld denen zufließt, die unter schwierigen Bedingungen ihr Vieh auf die Weide treiben, ist es gut verwendet. Ansonsten werden die Milchbauern weiterhin gute Gründe dafür haben, möglichst große Kartelle zu bilden, um den Molkereien und Ladenketten etwas entgegensetzen zu können. Ihre Macht ist aber begrenzt in einem gemeinsamen Markt mit der Konkurrenz aus 26 Ländern.

"Neue Herausforderungen" nennt die EU ihr Umverteilungsprogramm. Es ist Zeit, dass sich die konservativen Teile des Bauernstandes dieser Herausforderung stellen.

© SZ vom 21.11.2008/hgn - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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