US-Ökonom Alfred Kahn:Der Mann, der den Flugverkehr revolutionierte

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Das Geschäft mit dem Fliegen war jahrzehntelang eine langweilige Sache - bis der US-Ökonom Alfred Kahn eingriff. Er war die treibende Kraft hinter der Deregulierung. Jetzt ist er gestorben.

Nikolaus Piper

Fliegen hatte schon immer etwas mit Abenteuer zu tun. Das Geschäft mit dem Fliegen jedoch war jahrzehntelang eine langweilige Sache. Fluggesellschaften wurden vom Staat reguliert, viele, darunter die Lufthansa, waren Staatseigentum. Und selbst dort, wo sie es nicht waren, in den Vereinigten Staaten, sorgte die Regierung dafür, dass sie mehr oder weniger garantierte Gewinne hatten. Konkurrenz fand einfach nicht statt.

Alfred Kahn löste mit seinem Vorstoß eine Welle der Liberalisierung aus, weltweit und in vielen Branchen. Er lehrte an der Cornell Universität in New York, wo ein Seminarraum nach ihm benannt wurde. (Foto: AP)

All das änderte sich vor 33 Jahren. Und der Mann, der die Revolution bewirkte, hieß Alfred Kahn. Der Ökonom von der Cornell-Universität in Ithaka (New York) wurde 1977 von Präsident Jimmy Carter an die Spitze der Luftfahrtbehörde Civil Aeronautics Board berufen. In dieser Funktion begann er, den Flugverkehr zu deregulieren. Plötzlich waren Rabatte und konkurrierende Verbindungen erlaubt. Bereits im Jahr darauf machte der Kongress die Liberalisierung mit dem "Airline Deregulation Act" zum Gesetz. Damit begann eine Welle der Deregulierung in der ganzen Welt. Sie erfasste nicht nur den Luftverkehr, sondern auch die Telekommunikation und schließlich auch die Stromindustrie.

Kahn wurde als Deregulierer vor allem von dem einflussreichen Senator Edward Kennedy aus Massachusetts gestützt, er hatte aber auch mächtige Gegner - in erster Linie das Management der etablierten Fluglinien und die zuständigen Gewerkschaften. Sie warfen ihm vor allem vor, vom Luftverkehr nichts zu verstehen. Kahn machte aus dieser Tatsache gar kein Hehl, er betrachtete die Branche als Ökonom, nicht als Ingenieur. "Flugzeuge sind für mich Grenzkosten mit Flügeln", sagte er einmal. Das war nicht nur ein Witz - in dem Begriff liegt der Schlüssel zu Verständnis von Kahns Vorgehen: Nach der gängigen ökonomischen Theorie wird ein Gut dann am effizientesten produziert, wenn sein Preis den Grenzkosten entspricht, also dem, was eine zusätzlich produzierte Einheit kostet. Im Massentransport lässt sich diese Regel nicht direkt anwenden: Die Grenzkosten eines zusätzlichen Passagiers in einem ICE oder einem Flugzeug sind praktisch null. Wettbewerb zwischen verschiedenen Anbietern hilft jedoch dabei, so Kahns Überzeugung, sich der Grenzkostenregel zu nähern. Er traf sich dabei Ende der siebziger Jahre mit einer wachsenden Zahl von Ökonomen, die radikale Deregulierung und Liberalisierung aus Prinzip verfolgten.

Die Auswirkungen von Kahns Gesetz waren gewaltig. Nach den bis dahin geltenden Vorschriften durfte eine Fluggesellschaft die Tarife so festsetzen, dass ein Flugzeug bei 55-prozentiger Auslastung zwölf Prozent Rendite erwirtschaftete. Ohne diesen Schutz brachen die Tarife förmlich ein. Der Preis für ein Ticket von Los Angeles nach Miami wurde 1978 auf einen Schlag um ein Drittel billiger. Unrentable Flüge wurden eingestellt, auch der von Kahns Universitätsstadt Ithaka nach New York. Außerdem wurden die Flugzeuge voller, was für viele Passagiere eine ungewohnte Erfahrung war. Ein Freund beklagte sich bei Kahn darüber, dass er auf einem Flug nach Denver direkt neben einem "Hippie" habe sitzen müssen, worauf der Ökonom antwortete: "Da sich der Hippie bei mir nicht gemeldet hat, nehme ich an, dass die Abneigung nicht gegenseitig war."

Miserabler Service

Die Deregulierung stellte die Branche auf den Kopf. Renommierte Gesellschaften wie Pan Am und TWA verschwanden von Markt, viele andere, darunter United Airlines und Delta, mussten im Laufe der Jahre Gläubigerschutz beantragen. Es kam zu vielen Fusionen; Billiganbieter drängen auf den Markt. Profitiert von der Deregulierung haben die Passagiere, zumindest was die Kosten betrifft. Kahn rechnete einmal vor, dass die Kunden wegen der Öffnung des Marktes jährlich 20 Milliarden Dollar sparen. Allerdings müssen sie auch einen Preis dafür entrichten: Der Service ist miserabel geworden. Und weil die öffentliche Infrastruktur mit dem Wachstum des Luftverkehrs nicht mithalten konnte, sind Verspätungen in den USA notorisch geworden.

Alfred Kahn wurde 1917 als Kind russischer Einwanderer in New Jersey geboren und wuchs in der Bronx auf. Er studierte Ökonomie an der New York University und in Yale. Während des Kriegs arbeitete er im Amt für Kriegsproduktion in Washington. Nicht alle seine Projekte als Ökonom waren von Erfolg gekrönt. Noch im Jahr 1978 ernannte ihn Präsident Carter zum "Inflation-Zaren". In dem Amt versuchte er, die damals zweistelligen Teuerungsraten durch freiwillige Vereinbarungen mit Unternehmern und Gewerkschaften zu dämpfen - vergeblich. Die Inflationsspirale wurde erst gestoppt, als Notenbank- Präsident Paul Volcker mit Rekordzinsen die Wirtschaft in eine Rezession zwang.

Legendär waren Kahns Humor, sein Sprachwitz und seine lockere Art. Einmal leitete er eine Konferenz mit 60 Rechtsanwälten, während er flach auf einem Tisch lag - er litt an dem Tag unter Rückenschmerzen. Als seine Maßnahmen zur Inflationsbekämpfung nicht wirkten, meinte er: "Ich verstehe nicht, warum der Präsident mich nicht feuert. Wahrscheinlich ist niemand so dumm, meinen Job zu übernehmen." Kahn versuchte, seinen Mitarbeitern Bürokratensprache (er nannte sie "Gobbledygook") auszutreiben. "Wenn Sie das, was Sie machen, nicht in einfachem Englisch erklären können, dann machen Sie vermutlich etwas falsch." Jetzt ist Alfred Kahn im Alter von 93 Jahren an Krebs gestorben.

© SZ vom 30.12.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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