Flüchtlingsunterkünfte:Turnhallenbetten sind teurer als Wohnungen

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Notunterkunft in einer Turnhalle in Greifswald (Mecklenburg-Vorpommern). (Foto: dpa)

Der Ökonom Herbert Brücker plädiert dafür, für Flüchtlinge Häuser zu renovieren. Sie könnten später auch von Studenten genutzt werden.

Interview von Lea Hampel

SZ: Herr Brücker, derzeit werden die Kosten pro Flüchtling auf etwa 1000 Euro beziffert. Ist der Betrag realistisch?

Herbert Brücker: Ja, er wird vermutlich auch künftig nicht darüber liegen. Das klingt nach viel. Aber wenig davon kommt bei den Flüchtlingen direkt an. Vieles fließt in Leistungen, die mit der Aufnahme verbunden sind - Sozialarbeiter, Hilfseinrichtungen.

Derzeit boomen bestimmte Bereiche, finanziert über die Kommunen: Lebensmittellieferungen, Hilfsgüterhersteller.

Ein richtiges Konjunkturprogramm kann man darin aber nicht sehen. Es gibt kurzfristige Multiplikatoreffekte für einzelne Wirtschaftszweige. Aber der Effekt ist überschaubar.

Steigen die Kosten für solche Leistungen, wenn sie kurzfristig organisiert werden?

Die Kosten für Gesundheit und Betreuung sind relativ stabil. Der größte Kostenfaktor ist die Unterkunft. Derzeit zeigt sich, dass Provisorien wie Turnhallen extrem teuer sind. Es kostet weniger Geld, vorhandene Häuser zu diesem Zweck herzurichten.

Aber das dauert. Und große Einrichtungen gab es in den 1990er-Jahren. Sie wurden aufgegeben, weil die Zahlen sanken.

Es ist auch aus anderen Gründen sinnvoll, so zu investieren. Einrichtungen können langfristig genutzt werden. Wenn Flüchtlinge aus solch einer Unterkunft ausziehen, könnten hinterher beispielsweise Studenten dort wohnen. Das wäre der ökonomisch vernünftige Weg.

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Von Lea Hampel und Pia Ratzesberger

Sie plädieren für langfristige Lösungen?

Wir müssen davon ausgehen, dass diese Migration dauerhaft ist. Niemand kann die Entwicklung voraussehen, aber selbst wenn sich die Migration vom Westbalkan verringert: 90 Prozent der Flüchtenden derzeit stammen aus Kriegs- und Bürgerkriegsgebieten. Die Konflikte gehen weiter und die Versorgung in den Nachbarstaaten wird schlechter. Da sind die Anreize, woanders hinzugehen, ziemlich hoch.

Wäre es nicht auch ökonomisch sinnvoll, die Bedingungen dort zu verbessern ?

Pflaster wie ein paar Millionen Dollar mehr für die UN helfen nicht. Wenn jetzt die Unterstützung pro Flüchtling von 15 auf 30 Dollar angehoben wird, ändert das nicht viel. Man müsste in andere Strukturen investieren. Klar, Verelendung dort ist günstiger als Verelendung hier. Aber das ist zynisch. Die Frage ist, was wir wollen. Ökonomisch ist es sinnvoll, wenn Migranten dahin gehen, wo die Produktivität am höchsten ist. Aber Arbeitsmarktintegration verursacht Kosten.

Die schultern derzeit vor allem Kommunen und Länder. Ist mehr Unterstützung vom Bund der richtige Weg?

Ja, ich finde vor allem die Pauschale pro Person wichtig. Sie hält Kommunen an, günstig unterzubringen. Wichtig ist natürlich, dass das tatsächlich in den Kommunen ankommt.

Langfristig profitieren vor allem Städte, ist das Ihre These?

Nicht ganz. Dort gelingt die Arbeitsmarktintegration schneller. Die Unterbringung ist allerdings in städtischen Regionen teurer. Dafür sind die volkswirtschaftlichen Kosten unter Umständen langfristig geringer. Es ist ein Konflikt zwischen Kurz- und Langfristigkeit.

© SZ vom 08.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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