Tourismus:Surfen bis ans Ende der Meere

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Was war zuerst da? Die Reiseindustrie oder die Apps für unterwegs? Die "Alten" sind nicht so verschlafen, wie die jungen wilden Gründer häufig behaupten. Sie modernisieren ihre Geschäftsmodelle.

Von Michael Kuntz, München

Da ist es, dieses grelle Licht über dem Meer, das die Sinne betäubt und die Erinnerung an Dinge gnädig verschwimmen lässt, die nicht länger her sind als ziemlich genau zwanzig Jahre. Damals war die Kölner Hotelvermittlung HRS bereits unterwegs von der realen in die virtuelle Welt. Vater Ragge hatte sein Geschäft mit der Zuteilung von Unterkünften begonnen, weil die in seiner Heimatstadt zu Messezeiten immer knapp waren. Früh entdeckte Robert Ragge das Internet, schaffte seine Karteikästen ab, und sein Sohn Tobias führt heute ein Hotelportal, über das sich weltweit buchen lässt. Vor allem aber: Das geht immer schneller und mobiler, immer mehr Reisende buchen kurz vor dem oder sogar erst am Tag der Ankunft im Hotel.

Die erfolgreiche Geschichte von HRS zeigt, wie sich ein Geschäftsmodell wandelte und auch, wie sehr das Internet einen Wirtschaftszweig verändert, der weltweit für etwa zehn Prozent der Wirtschaftsleistung steht: die Reiseindustrie. Menschen in Bewegung und die hohe Geschwindigkeit der Übermittlung von Daten, das passt zusammen. Und so ist es nicht überraschend, dass einige der spannendsten Geschichten von wirklich disruptiven Entwicklungen im Kosmos von Transporteuren und Hoteliers spielen. Airbed and Breakfast, besser bekannt als AirBnB, setzte das Übernachtungsgewerbe unter Druck. Uber, der Fahrdienst aus San Francisco, mit Investoren wie Google und Goldman Sachs im Hintergrund, rüttelt an den Grundfesten des etablierten Taxigewerbes. Während diese beiden Start-ups gerade gleich in mehreren Staaten durchleben, dass sich Gesetze nicht immer einfach ignorieren lassen, stoßen andere Unternehmen der Generation App an ganz andere Grenzen. Zwar ist es technisch möglich, verschiedene Leistungen wie einen Flug, einen Transfer und ein Hotel elektronisch zu einer Pauschalreise zu bündeln, doch es zeigt sich, dass etliche Menschen wieder mit anderen Menschen zu tun haben wollen, wenn es um so etwas Wichtiges im Leben geht wie den großen Urlaub: Die Familie soll zufrieden sein, und es geht dann auch für viele Menschen um den höchsten Geldbetrag, den sie im Laufe eines Jahres ausgeben. Genau so ist die Renaissance der Reisebüros zu erklären, gerade im Segment teurer Urlaube.

Die etablierten Reiseveranstalter lassen sich nicht kampflos im Netz besiegen

Einfache Buchungen für einen Flug oder ein Hotel oder einen Mietwagen finden inzwischen zu einem erheblichen Teil im Netz statt. Online-Oldtimer wie HRS haben es mit einer unüberschaubar großen Zahl von Konkurrenten zu tun und immer ausgefeilteren Ideen: So vermarktet Hotwire die restlichen Kapazitäten von Hotels und einigen Fluggesellschaften, die sonst leer bleiben würden, zu besonders günstigen Raten an wagemutige Menschen, die sich darauf einlassen, etwas blind zu buchen. Und erst hinterher zu erfahren, wo und bei wem. Die Fantasie ist schier grenzenlos, vieles gibt es längst im Netz und wird trotzdem als neu angeboten, manches funktioniert, anderes nicht.

Denn auch die etablierten Unternehmen der Reiseindustrie lassen sich nicht kampflos im Netz besiegen. Das Hotelzimmer zum Beispiel kann man ebenso bei den großen Veranstaltern buchen. Der Marktführer Tui, aber auch Konkurrenten wie Thomas Cook, DER, Alltours, FTI und Schauinsland bieten auf ihren Websites inzwischen ebenfalls das ganze Spektrum touristischer Leistungen an. Zum Tagespreis und in Echtzeit. Von paketierten Reisen reden die Fachleuchte, wenn ihre Computer in den Datenbanken von Airlines und Hotels Angebote suchen und zu Pauschalreisen zusammenfügen. Für die Kunden der klassischen Anbieter ist deren Größe und Erfahrung vor allem dann ein Vorteil, wenn unterwegs Probleme auftreten, bei denen es wenig nützt, wenn sie erst nach einer Reise geregelt werden können. Dann ist das Urlaubsglück dahin und es kann nur noch um eine finanzielle Entschädigung gehen. Die Reiseleiter vor Ort werden aber zunehmend mit Befugnissen ausgestattet, berechtigte Beschwerden umgehend zu erledigen.

Für Reiseunternehmen eröffnen sich zudem durch den über Apps möglichen Kontakt zum Kunden während des Urlaubs zusätzliche Möglichkeiten. Sie können sich besser um Gäste kümmern, aber auch mit ihnen zusätzliche Geschäfte machen. Ausflüge, Sportangebote, Wellness, Tischreservierungen - alles ist online möglich, spontaner als früher, je nach Lust und Laune oder Wetter.

Voraussetzung ist, dass Reisende am Zielort online gehen können, ohne unkalkulierbare Kosten befürchten zu müssen. Die Tui, mit der allein acht Millionen Menschen jährlich von Deutschland aus verreisen, eröffnete dafür sogar eine eigene Telefonfirma, die Flatrate-Pakete vorab verkauft. Alle Reiseveranstalter rüsten nach und nach auch die Ferienhotels mit drahtloser Datenübertragung im kompletten Gebäude aus und nicht nur in der Eingangshalle, wie das jahrelang üblich gewesen ist. Sie erfüllen damit einen der wesentlichen Wünsche ihrer Gäste, die auch im Urlaub immer online sein wollen.

Die klassischen Reiseveranstalter sind nicht so verschlafen, wie es die wilden jungen Gründer oft vollmundig behaupten. Die "Alten" transformieren in die schöne neue Welt ihre Geschäftsmodelle, ohne die deshalb gleich grundsätzlich infrage zu stellen. Disruptiv zu sein, bleibt das Privileg der Gründer.

© SZ vom 13.05.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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