Tesla:Weltretter-Wahnsinn

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Tesla-Chef Elon Musk stellt ein Elektroauto für den Massenmarkt vor. Schon vorher kampieren die Menschen weltweit vor den Filialen.

Von Jürgen Schmieder und Angelika Slavik

Die Strategie von Tesla-Gründer Elon Musk hat funktioniert. Mal wieder. Menschen in Hamburg, Tokio und vielen anderen Städten weltweit standen vor den Filialen des Unternehmens, viele übernachteten dort gar, um sich für 1000 Dollar ein Model 3 zu reservieren. Diese Menschen wollten unbedingt ein Auto haben, das es noch gar nicht gibt - sie wollten ein Fahrzeug, von dem sie keine Ahnung hatten, wie es überhaupt aussieht, was genau es kann und wie viel es kostet. So etwas hat noch nicht mal Apple geschafft, da musste Steve Jobs schon Einzelheiten nennen, ehe die Fans auf dem Gehsteig kampierten.

Tesla hat mal wieder einen Hype um den Hype kreiert, das vierte Modell des Unternehmens wurde erst am Abend im Designstudio der Firma im Süden von Los Angeles vorgestellt. Musk stand auf der Bühne und sprach zu seinen beseelten Jüngern. Die trugen Tesla-Jacken und Tesla-Mützen, labten sich an Thunfisch-Tacos und Champagner und jubelten ihrem Propheten begeistert zu. Musk erklärte die Vision des Unternehmens (die Welt retten) und nannte die wichtigsten Details: 350 Kilometer Reichweite, Beschleunigung von null auf hundert Kilometer pro Stunde in weniger als sechs Sekunden. Genügend Platz für fünf Erwachsene. Fünf Sterne in jeder Sicherheitskategorie. Pilotiertes Fahren. Schnellladestationen als Standard. 35 000 Dollar Grundpreis. "Wollt ihr ihn sehen?", fragte er. Die Menge brüllte zurück: "Ja!" Dann kamen drei Fahrzeuge auf die Bühne. "Sie werden für diesen Preis kein besseres Auto bekommen", so Musk. Jubel.

Ein Fahrzeug für den Massenmarkt, das ist der Heilige Gral der Elektroauto-Industrie. Bei aller Begeisterung um eine mögliche Energiewende, um futuristische Fahrzeuge wie etwa das auf der Technikmesse CES vorgestellte Elektro-Batmobil von Faraday Future und Carsharing-Konzepte wie Skurt: In den USA wurden im vergangenen Jahr gerade einmal 113 588 Elektroautos verkauft, das ist ein Marktanteil von 1,4 Prozent. In Deutschland wurden 2015 insgesamt 12 363 Elektroautos und 33 630 Hybride angemeldet, das sind 1,7 Prozent aller Neuzulassungen.

Das neue Elektroauto Model 3 des Fahrzeugherstellers Tesla soll den Durchbruch für das kalifornische Unternehmen bringen. (Foto: REUTERS)

Tesla plant seit Jahren eine sogenannte "High End Disruption": Der Markt wird mit hochwertigen und hochpreisigen Produkten erschüttert und - wenn die Konkurrenten zu langsam reagieren - mit günstigeren Modellen erobert. Der iPod von Apple verdrängte den CD-Player, Starbucks verscheuchte die kleinen Eckcafés, Schnellrestaurants mit gesunden Menüs attackieren gerade McDonald's. "Danke, dass Sie einen S oder X gekauft haben - Sie haben das Model 3 finanziert", sagte Musk. Jubel.

35 000 Dollar also. Käufer in den USA können derzeit über Rabatte und Steuervergünstigungen bis zu 10 000 Dollar sparen, in Deutschland sollen es, darüber wird gerade verhandelt, bis zu 5000 Euro sein. Ein Weltretter-Auto für weniger als 30 000 Euro? Klingt großartig! Das ist die Botschaft von Musk: Die Revolution hat längst begonnen, bald wird sie für viele Menschen bezahlbar sein. Innerhalb der vergangenen 24 Stunden seien mehr als 180 000 Bestellungen für das Model 3 einggangen, schrieb er später am Abend in einem Tweet.

Wer Musk schon einmal live erlebt hat, der weiß, dass er bei solchen Präsentationen daherkommt wie eine Mischung aus genialem Professor und charismatischem Wanderprediger. Er ist kein begnadeter Rhetoriker, ganz im Gegenteil, das macht ihn authentisch. Er spricht mit der Selbstverständlichkeit eines Menschen, der den Heil bringenden Weg kennt und ihn Gläubigen offenbart. Die raunen zustimmend, sie rufen andauernd "Jawohl" oder "Genau", hin und wieder johlt einer: "Du bist der Beste, Elon!" Es fehlte nur ein gemeinsames "Halleluja" am Ende bedeutsamer Sätze wie etwa diesem: "Es ist für die Zukunft dieses Planeten wichtig, endlich auf nachhaltigen Verkehr umzusteigen."

Musk präsentiert sich als das Mensch gewordene Mantra aus der Think-Different-Kampagne von Apple, wonach nur jene die Welt verändern werden, die verrückt genug sind, daran zu glauben. Er will der Visionär sein, der verrückt genug war, an eine weltweite Energiewende zu glauben - und diesen Weltretter-Wahnsinn angestoßen hat, der nun plötzlich verdammt vernünftig klingt.

Tesla hat den Markt erschüttert, keine Frage, und 180 000 Bestellungen innerhalb von 24 Stunden sind eine gewaltige Hausnummer. Es ist jedoch fraglich, welche Rolle das Unternehmen bei der Revolution wirklich spielen wird. Noch ist der von Musk angekündigte Börsenwert von 700 Milliarden Dollar in neun Jahren ebenso möglich wie ein grandioses Scheitern. Mark Spiegel von Stanphyl Capital Management etwa sagt: "Der Verkauf des Model S ist abgeflacht, Model X hat sich bislang als Enttäuschung herausgestellt. Model 3 wird dieses Unternehmen nicht retten, sondern sein Ende beschleunigen."

Das sind markige Worte, doch sind sie nicht unbegründet, wenn man das Unternehmen und den Markt für Elektroautos betrachtet. Zunächst einmal fährt Tesla noch immer gewaltige Verluste ein, im vierten Quartal 2015 waren es 320 Millionen Dollar. Musk versprach im Februar, die Kosten endlich in den Griff zu bekommen und in diesem Jahr womöglich gar Gewinn einzufahren. Natürlich pfeifen kalifornische Start-ups traditionell auf Quartalszahlen und Fünf-Jahres-Pläne, allerdings ist auch bekannt: Musk verspricht stets sehr viel und hält nicht immer alles. Im September vergangenen Jahres übergab er die Schlüssel der SUV-Variante Model X an die ersten Kunden - zwei Jahre später als ursprünglich geplant.

Tesla ist noch immer der coole Pionier, aber längst nicht mehr allein

Genau deshalb glaubte auf der Party in Los Angeles auch kaum jemand daran, dass Model 3 tatsächlich Ende kommenden Jahres auf den Markt kommen wird. Die gängige Prognose: Herbst 2018. In mehr als zwei Jahren. Bis dahin werden in den USA zahlreiche Rabatte und Vergünstigungen für Elektroautos ausgelaufen sein - und Konkurrenten werden eigene Modelle auf den Markt gebracht haben.

Tesla ist noch immer der coole Pionier, aber längst nicht mehr allein oder gar der einzige Disruptor. Technikfirmen wie Apple oder Google basteln an Elektrofahrzeugen, es gibt neue Konkurrenten wie Faraday Future, die überaus selbstbewusst daherkommen - und natürlich hat Musk die traditionellen Autobauer so lange beleidigt ("Benzinköpfe"), dass die nun auch an erschwinglichen Varianten arbeiten. General Motors etwa verkündete die Produktion des Chevy Bolt, eines 37 500-Dollar-Elektroautos mit einer Reichweite von 320 Kilometern, das bereits Anfang kommenden Jahres auf den Markt kommen soll.

Die deutschen Hersteller hinken im internationalen Vergleich hinterher. Die Liste der absatzstärksten Elektroauto-Hersteller führt der japanische Autobauer Nissan an, gefolgt vom chinesischen Konzern BYD, Tesla und dem japanischen Autobauer Mitsubishi. Erst dann folgen die deutschen Volkswagen und BMW. Daimler war bis vor zwei Jahren sogar an Tesla beteiligt, verkaufte die Anteile dann aber gewinnbringend. Auch die Zusammenarbeit mit den Amerikanern wurde später aufgelöst. War das einfach ein gutes Geschäft? Oder ein strategischer Fehler, weil Teslas große Zeit erst noch kommen wird?

Angesichts der zahlreichen Konkurrenten ist es jedenfalls sehr wahrscheinlich, dass das erste Elektroauto für den Massenmarkt nicht aus der Fabrik von Tesla auf die Straße rollt. Das macht Musk nichts aus, solange der Markt wächst, Tesla mit eigenen Fahrzeugen vertreten ist und möglicherweise für die Autos anderer Firmen die Batterien ausliefert. "In der Gigafactory werden bereits Batterien produziert, bei voller Kapazität werden dort mehr Batterien hergestellt als heute in allen Fabriken weltweit zusammen", sagte er. Jubel.

Natürlich will er weitere Fabriken bauen, gerne auch in Deutschland. Allerdings diskutieren die europäischen Autofirmen gerade über eine eigene gemeinsame Zellfertigung, um nicht zu reinen Karosseriebauern zu verkommen. Vor zehn Jahren noch galt so eine Zusammenarbeit als völlig undenkbar, im vergangenen Jahr jedoch haben Audi, BMW und Daimler gemeinsam für 2,8 Milliarden Euro den Karten- und Navigationsdienst "Here" von Nokia gekauft. Die Auto-Dinosaurier, sie bewegen sich gerade, um nicht vom Tesla-Meteoriten ausgelöscht zu werden.

Die Revolution hat begonnen. Elon Musk hat sie angeregt und selbst gestartet, das ist sein Verdienst. Ob seine Firma Tesla diese Revolution weiterhin anführt, das ist nicht abzusehen. Wenn Musk jedoch ehrlich war bei dem, was er über nachhaltigen Transport, die Energiewende und die Rettung der Welt gesagt hat, dann dürfte ihm das tatsächlich egal sein. Wenn diese Revolution funktioniert, und das tut sie gerade, dann darf er sich als Visionär feiern lassen. Er hat es geschafft, dass sich Menschen für Elektroautos begeistern - und auf der Straße kampieren, um ein Modell zu bestellen, von dem sie noch nicht mal wussten, was es kann.

© SZ vom 02.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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