Telekom: Personalvorstand Sattelberger:"Ziemlich seelenlos"

Lesezeit: 5 min

Telekom-Personalvorstand Thomas Sattelberger über die Kaderschmiede Business School, die Pflicht zur Moral und fehlende Grundwerte in der Managerausbildung.

Caspar Dohmen

Business Schools gelten als die Kaderschmieden für Manager. An der Art der Ausbildung hat sich seit Jahrzehnten wenig geändert, kritisiert Thomas Sattelberger, seit zwei Jahren Personalvorstand der Deutschen Telekom. Nach Ansicht des 59-Jährigen ist es höchste Zeit, dass die Business Schools nun endlich Gewissensforschung betreiben. Sie sollten sich angesichts der Krise fragen, ob sie die Manager richtig ausgebildet haben.

"Wir müssen uns mehr in die Seele der Menschen versetzen": Telekom-Personalvorstand Thomas Sattelberger plädiert für das Vermitteln moralischer Grundwerte in der Managerausbildung. (Foto: Foto: AFP)

SZ: Herr Sattelberger, haben Manager blinde Flecken, wenn es um ihre Verantwortung für die Wirtschaftskrise geht?

Thomas Sattelberger: Etliche ja! Und es gibt ein ungelöstes Kernproblem, welches uns in den Augen vieler Menschen unverantwortlich erscheinen lässt: Oft finden wir Manager auf moralische und soziale Fragen der Menschen nur ökonomische Antworten. So ist kein Dialog möglich.

SZ: Was bedeutet dies konkret?

Sattelberger: Wenn ich als Manager beispielsweise Arbeitsplätze in Niedriglohnländer verlagere, kann ich dies nicht nur damit begründen, dass dort bei gleicher Qualität die Kosten niedriger sind. Wir müssen uns mehr in die Seele der Menschen versetzen und dies auch öffentlich zum Ausdruck bringen. So kann ich auch ein Stück tiefschürfender an das Thema herangehen, mich beispielsweise klipp und klar zum Heimatstandort bekennen und diesem besondere Aufmerksamkeit widmen. Dabei hilft keine rein ökonomische Argumentation, sondern man muss zumindest mittelfristig Perspektiven für Sicherheit und Stabilität aufzeigen. Damit reagiere ich auf die Ängste der Menschen, in der Globalisierung heimatlos und entwurzelt zu werden.

SZ: Eine solche Haltung haben viele mittelständische Unternehmer, Konzernmanager dagegen selten?

Sattelberger: Klar können Eigentümerunternehmer einer anderen Logik folgen. Aktiengesellschaften sind dagegen sowohl Opfer und Täter, als auch Spieler und Spielball. Als privater Unternehmer kann ich durchaus ein Jahr mit Verlust operieren. Im gleichen Fall würden Anleger ein börsengelistetes Unternehmen gnadenlos bestrafen.

SZ: Schaut man als Manager auf die Börse wie ein Kaninchen auf die Schlange?

Sattelberger: Sicher gibt es Manager, die so paralysiert sind. Es gibt aber auch mutigere, die einen längeren Horizont im Blick haben und dafür die eine oder andere Kritik oder vorübergehende Kursdelle in Kauf nehmen. Wir sind eben nicht nur ein Spielball des anonymen Kapitalmarkts, wir können auch aktiv gestalten.

SZ: Was halten Sie von der heutigen Ausbildung der Manager an den Kaderschmieden, den sogenannten Business Schools, deren MBA-Abschluss eine Karriere in Unternehmen oder Banken bislang garantierte?

Sattelberger: Ich halte diese Ausbildung, insbesondere in den USA und in England, für ziemlich seelenlos. Der angelsächsische Maßstab für Erfolg ist einseitig auf Umsatz und Rendite ausgerichtet. Ausgeblendet werden Kriterien wie die Reputation eines Unternehmens oder die Zufriedenheit von Mitarbeitern und Kunden. Diese Managerausbildung - übrigens auch teilweise die deutsche Betriebswirtschaftslehre - ist einseitig auf ökonomische Aspekte fokussiert.

SZ: Welche Dimension fehlt?

Sattelberger: Die psychologische und die philosophische Dimension von Leben, Arbeiten und Führung. Heute produzieren die Business Schools auf eine lemminghafte Art und Weise jährlich Hunderttausende Absolventen. Wenn Sie die Lehrpläne anschauen, steht dort immer das Gleiche - von Strategie über Finanzen und Marketing bis hin zum technokratischen Veränderungsmanagement der Kultur von oben nach unten.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, wie die Business Schools auf die Krise reagieren und was Thomas Sattelberger davon hält.

SZ: Wie reagieren die Business Schools auf die Krise?

Sattelberger: Mir ist es unerklärlich, warum sie nicht endlich auch mit der Gewissensforschung beginnen. Schließlich gibt es ja auch so etwas wie eine Produzentenhaftung. Sie sollten sich fragen, ob ihre Absolventen und alle Mitglieder der Fakultät wirklich das nötige Rüst- und Charakterzeug mitbringen, um Unternehmen auf einen langfristigen und nachhaltigen Erfolgskurs zu führen.

SZ: Geht es anders?

Sattelberger: Ich durfte in den 90er Jahren als Personaldirektor bei der Lufthansa ein alternatives, für viele Business Schools unbequemes Master-Programm mitentwickeln. Er war ein ideelles Fanal, aber am Markt kein Durchbruch. Wir wollten zeigen, es geht auch anders, wohl wissend, dass die Kraft zu gering war, diesen Massenmarkt wirklich zu verändern. Aber es war zumindest ein Signal.

SZ: Welche anderen Inhalte lehrten Sie?

Sattelberger: Vieles. Wir haben die Teilnehmer nach Indien geschickt, damit sie sich mit den soziologischen Ursachen der Armut oder der Kastengesellschaft auseinandersetzen. Die Teilnehmer durchliefen und erlebten sehr persönliche Feedbackprozesse. Bei uns lehrten Professoren auch die großen philosophischen Schulen, die uns Kontinentaleuropäer über viele Jahrhunderte geprägt haben.

SZ: Sollte man dann nicht lieber Philosophie studieren?

Sattelberger: Ich halte es für sehr wichtig, dass sich ein Manager auch mit unserer Geistes- und Kulturgeschichte auseinandersetzt und weiß, warum Sokrates alles hinterfragt hat. Solche Themen tauchen in den klassischen MBA-Programmen nicht auf.

SZ: Zuletzt gab es vermehrt Kritik an Business Schools, da war beispielsweise von gierigen Absolventen ohne moralischen Kompass die Rede . . .

Sattelberger: Ich finde es gut, dass nun mehr kritische Stimmen zu hören sind. Ich fürchte nur, dass dies nur das Nachspiel ist, bevor man in die alten Muster zurückfällt. Moral wird immer dann interessant, wenn der Sündenfall passiert ist. Diese Post-Crash-Moral halte ich für ein Problem.

SZ: Warum?

Sattelberger: Es darf keine Beichtstuhlmentalität einkehren, durch die man sich erst reinigt, um sich dann zu neuen Sünden aufzuschwingen. Eine ähnliche Diskussion wie heute über die Moral von Unternehmen und Business Schools hatten wir schließlich schon beim Platzen der Internetblase in den Jahren 2000/ 2001.

SZ: Aber diesmal ist die Krise einschneidender.

Sattelberger: Stimmt. Je nachhaltiger der Schmerz, umso wahrscheinlicher ist es, dass man sich mit grundsätzlichen Fragen beschäftigt. Das geht ja nicht nur an die Substanz des Managerberufes, sondern auch an die der Institution Business School: Wie ist die geistige Ausrichtung der Lehre? Wie viele Professoren verdienen hier wie viel Geld außerhalb von Lehre und Forschung mit freiberuflicher Beratung? Wie interessengeleitet ist diese Drittarbeit? Wie sind die Auswahlprozesse für Professoren, spielen dabei Aspekte wie persönliche Reife oder Charakter eine Rolle?

Lesen Sie auf der nächsten Seite, nach welchen Kriterien Thomas Sattelberger Manager für Spitzenpositionen auswählt.

SZ: Worauf schauen Sie, wenn Sie Manager für Spitzenpositionen auswählen?

Sattelberger: Mich interessiert beispielsweise, ob er oder sie sich mit sich selbst auseinandersetzt. Mich interessiert, ob jemand in der Sache groß und als Person bescheiden ist. Für mich hat Führung viel mit Demut zu tun. Je höher man kommt, umso mehr läuft man Gefahr, sich zu überschätzen. Ist jemand demütig, in dem Sinne: Letztlich bin ich ein Menschenwicht, vergänglich wie jeder? Eine wichtige Frage ist auch: Weiß ich, dass Macht korrumpiert, und wie gehe ich damit um? Also die Integritätsfrage.

SZ: Motiviert Sie Geld?

Sattelberger: Für mich ist Geld - erst recht als Motivator - weniger wichtig. Aber Geld eröffnet natürlich Freiräume.

SZ: War es früher anders?

Sattelberger: Ja, als jüngerer Mensch hatte ich noch viele Bedürfnisse, die ich mir mit Geld erfüllen wollte: ein schnelles Auto, eine größere Wohnung oder einen ordentlichen Anzug. Aber heute treibt mich das Thema Geld nicht mehr an.

SZ: Das kann man leicht sagen, wenn man genug hat.

Sattelberger: Statussymbole sind mir heute fremd. Mich treibt mehr eine innere Verpflichtung, wie schon vor 40 Jahren: Seinerzeit habe ich mich für Schüler-, Auszubildenden- und Menschenrechte politisch engagiert. Und später für Persönlichkeits- und Personalentwicklung.

SZ: Wie wichtig ist die erfolgsabhängige Bezahlung von Mitarbeitern?

Sattelberger: Sie ist ein wichtiges Symbol dafür, dass die persönliche und die kollektive Leistung der Gemeinschaft wertgeschätzt werden. Ich bezweifele jedoch, dass sie zufrieden macht. Eher andersherum: Erfolgsabhängige Vergütung verringert die Unzufriedenheit der Leistungsträger im ansonsten gleichmacherischen System.

SZ: Wie wichtig sind Ihre wilden Jahre für Ihre heutige Sicht? Haben Sie jetzt noch einmal an Karl Marx gedacht?

Sattelberger: Die Kritik der politischen Ökonomie war so schwierig, dass ich sie damals zwar gekauft, aber in weiten Teilen nicht verstanden habe. Die Zerklüftung in Gesellschaft und Arbeitsmarkt habe ich immer mit Sorge gesehen. Ich halte es zudem für ein großes Problem, dass sich die Managerriege fast ausschließlich aus dem Bildungsbürgertum rekrutiert. So kennt sie die Welt nur aus einer Perspektive. Die Frage ist, wie man verhindern kann, dass die Verwerfungen in unserer Gesellschaft nicht zu groß werden.

© SZ vom 06.05.2009/kaf/tob - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: