Telekom: Callcenter dichtgemacht:"Sie treffen die Schwächsten"

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Telekom-Chef René Obermann und Seelsorger Erwin Helmer im Streitgespräch über die Schließung von Callcentern, soziales Handeln, unzureichende Renditen und notwendige Härten.

Caspar Dohmen

Erstmals sind sich Telekom-Chef René Obermann, 45, und der katholische Betriebsseelsorger Erwin Helmer, 55, in der Talksendung bei Maybrit Illner begegnet. Einige Monate später diskutierte Obermann mit je drei Betriebsseelsorgern, Betriebsräten und Mitarbeitern über die Auslagerung von 50.000 Servicemitarbeitern bei der Telekom im Sommer 2007. "Ich dachte, jetzt fährt die Telekom einen anderen Kurs", sagt Helmer. Dann kam am 21. August die Nachricht von der Schließung von bundesweit 59 Callcentern. Helmer protestierte schriftlich bei Obermann. Auf Einladung der Süddeutschen Zeitung trafen sie sich in einem Konferenzraum am Frankfurter Flughafen.

Telekom-Chef René Obermann will bundesweit 59 Callcenter schließen. (Foto: Foto: dpa)

SZ: Herr Obermann, Herr Helmer: Was ist die Aufgabe eines Unternehmens?

Obermann: Es muss wirtschaftlich und sozial verantwortlich handeln. Aber Wirtschaftlichkeit ist die Voraussetzung für die Fähigkeit eines Unternehmens, sozial handeln zu können, darüber darf kein Zweifel bestehen.

Helmer: Wenn ich mit Leuten an der Basis rede, berichten die mir, was an massiven Einschnitten passiert ist. Die Frage ist, wie weit muss das Niveau runter. Dies ist der Punkt, wo ich sage: Stopp, was muss wirklich sein?

Obermann: Ich bin hierher gekommen, weil mir der Dialog am Herzen liegt. Mein primäres Ziel ist, dass möglichst viele Menschen langfristig bei uns gute Arbeit haben. Wir wollen die neuen vergrößerten Callcenter schließlich nicht an Billigwettbewerber oder ins Ausland verlagern. Wir bieten überdurchschnittliche Bezahlung. Dazu kommen derzeit pro Arbeitsplatz über 22.000 Euro Sachkosten. Auch damit liegen wir bis zu 30 Prozent höher als Wettbewerber. Wir kommen aber nicht daran vorbei, uns marktwirtschaftlich zu orientieren.

SZ: Schaut man durch die Brille der Beschäftigten, sieht man steigende Gewinne der Aktionäre und sinkende Löhne der Mitarbeiter.

Obermann: Man kann uns doch beim besten Willen nicht vorwerfen, dass wir einseitig auf Gewinnmaximierung aus wären! Aber wer die Aktionäre nicht zufrieden stellt, der bekommt auch kein investives Kapital. Derzeit investieren wir jedes Jahr rund acht Milliarden Euro, einen Großteil davon in Deutschland. Und für moderne Netze wollen wir das weiter tun. Dafür brauchen wir die Zustimmung der Aktionäre, alles andere ist doch romantisch und schafft leider keine sicheren Arbeitsplätze.

Helmer: Ich bin so ein Romantiker.

Obermann: Ich auch, gelegentlich, aber ich muss die Realität sehen...

Helmer: Natürlich, aber ich würde mich freuen, wenn die Telekom damit werben würde, ein soziales Unternehmen zu sein. Die geplanten 70 Millionen Euro für die Callcenter könnten Sie ja in die bestehenden Callcenter investieren. Es wäre doch kein Problem, über das Ausgleichen von Auskunftsspitzen jedes Callcenter mit der entsprechenden Arbeit zu versorgen. Deswegen will ich, dass Sie das Gesamtkonzept überdenken.

Obermann: Das Konzept ist sorgfältig erarbeitet worden und steht, aber über die Härtefälle wollen wir reden.

Helmer: Sie wissen vermutlich, dass viele der Frauen da nicht mitmachen können. Sie können nicht im Schnitt weitere hundert Kilometer zusätzlich fahren.

Obermann: Lassen Sie uns die Fakten nennen. Von 18.000 Callcenter-Mitarbeitern sollen künftig 8000 an anderen Standorten arbeiten. Davon werden rund 1000 mehr als 90 Minuten und rund 600 mehr als zwei Stunden Fahrzeit benötigen. Diese Härten müssen wir sehen und in den individuellen Fällen mildern.

Lesen Sie im zweiten Teil, warum bei der Telekom die Renditeanforderungen gestiegen sind, die Löhne jedoch nicht.

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SZ: Herr Obermann, können Sie Ihre Anteilseigner wie den Finanzinvestor Blackstone davon überzeugen, dass Sozialverantwortung gegenüber Mitarbeitern wichtig ist?

Obermann: Selbstverständlich, zu einer ausgewogenen Geschäftspolitik gibt es keine Alternative.

SZ: Die Renditeanforderungen sind in den vergangenen Jahren gestiegen, bei stagnierenden Löhnen.

Obermann: Wir hatten über die letzten Jahre eine Reallohnstagnation, nicht zuletzt, weil billigere Konkurrenz aus dem Ausland drückt. Aber die Spreizung der Einkommen war in Deutschland wesentlich geringer als in anderen Wirtschaftsregionen. Ich will dies nicht schönreden, mir ist die Situation der Menschen bewusst. Im Übrigen bezieht sich das weniger auf die Telekom - wir haben überdurchschnittliche Rahmenbedingungen und verteidigen diese, so gut wie es geht.

SZ: Sind vielleicht die Renditeerwartungen der Aktionäre zu hoch?

Obermann: Nein, sicher nicht. Wir haben in den vergangenen Jahren unsere Vorgabe für die Kapitalverzinsung von acht Prozent nicht erreicht. Im Moment sind wir auf der Sozialseite stark, aber auf der wirtschaftlichen Seite noch nicht stark genug.

Helmer: Ich habe täglich mit denen zu tun, die die Folgen dieser Unternehmenspolitik tragen. Und ich finde es deprimierend, wenn heuer 60 Jahre Soziale Marktwirtschaft gefeiert werden und 73 Prozent der Deutschen dieses System für ungerecht halten. Da müssten die Alarmglocken läuten. Globalisierung hin oder her, wir müssen es schaffen, dass die Globalisierung mit menschlichem Antlitz funktioniert. Dafür braucht es Regeln. Wir müssen das Eigentum der Unternehmen sozial binden. Dafür setze ich mich als Kirchenvertreter ein.

Obermann: Herr Helmer, in der Zielsetzung sind wir uns einig, in der Vorgehensweise nicht. Meine Zielsetzung und Ihre sind langfristig gute Beschäftigungsmöglichkeiten in einem stabilen Unternehmen, das am Markt bestehen kann. Wenn wir in den nächsten Jahren unserem Auftrag gerecht werden wollen, dann müssen wir an bestimmten Stellen Einschnitte in Kauf nehmen. Ich prüfe jeden Schritt mit meinen Leuten. Diese Schritte fallen niemandem leicht, mir schon gar nicht.

SZ: Gibt es Jobalternativen vor Ort, Herr Helmer?

Helmer: Die Telefonistinnnen und Telefonisten haben meist keine breite Ausbildung, sie finden nicht so leicht eine andere Arbeit. Deswegen werden viele wohl den weiten Weg in Kauf nehmen müssen. Da geht viel Zeit verloren. Dies ist ein wichtiger Punkt. Wir diskutieren zunehmend die Vereinbarkeit von Arbeit und Leben, die Bedeutung der Kindererziehung - und dann bringen wir die Menschen immer mehr in Zeitnot.

Obermann: Oberste Priorität für unser Unternehmen sind sichere Arbeitsplätze und moderne Rahmenbedingungen. In kleinen Standorten kann man beispielsweise keine Kinderbetreuung anbieten.

Helmer: Den Menschen, die demnächst hundert Kilometer fahren müssen, nutzt keine Kinderbetreuung am neuen Standort. Denen wäre es tausendmal lieber, wenn sie weiter an ihrem Ort, wo sie sind, ihre fünf oder acht Stunden arbeiten können und dann wieder für ihre Kinder oder für pflegebedürftige Angehörige da sind. Und jeder Zehnte ist schwerbehindert. Ich glaube Ihnen, Herr Obermann, dass Sie für soziale Fragen eine Ader haben. Trotzdem treffen Sie mit der Callcenter-Reform die Schwächsten in der Beschäftigtenkette der Telekom.

Obermann: Das stimmt - deswegen müssen wir uns die Fälle anschauen und sozialverträgliche Lösungen finden. Aber vergessen Sie nicht: Unsere Löhne sind viel höher als bei der Konkurrenz, und der Kündigungsschutz reicht bis mindestens 2012.

Lesen Sie im dritten Teil, welchen finanziellen Spielraum René Obermann für soziale Fragen hat.

Helmer: Wir Kirchen und Sozialverbände haben nicht die wirtschaftliche Macht, die haben andere. Wir haben nicht das Sagen. Sie haben sich in einer Diskussion mit Kardinal Lehmann zu Werten bekannt ...

Obermann: Gerade weil ich mich zu Werten bekenne, ist es mir sehr wichtig, auf Dauer möglichst vielen Menschen zu guten Bedingungen eine Beschäftigung zu bieten. Wenn wir alles so lassen wie es ist, dann fährt dieses Unternehmen vor die Wand. Das wäre sozial unverantwortlich und wäre für mich ein großer Verstoß gegen mein Wertesystem. Wenn ich das so weiterlaufen lasse, dann mag das für die kommenden zwölf bis 24 Monate Ihnen entsprechen, aber viele Jahre kann ich damit nicht absichern. Dazu muss ich leider die massive Kritik in Kauf nehmen, die keinem gut tut, auch mir nicht.

Helmer: Und unsere Priorität sind die Menschen.

Obermann: Meine auch, ich wehre mich dagegen, immer in die Ecke gestellt zu werden, als ob meine Priorität nicht auch die Menschen wären...

Helmer: Da kritisiere ich Sie gar nicht. Aber es ist unsere Aufgabe als Kirche, den Menschen, die besondere Schwierigkeiten haben, eine Stimme zu geben. Ich kenne eine ganze Reihe, die halten still, die sind stumm geworden. Deren Not hören und transportieren wir. Wir sind Lautsprecher für diese Menschen...

Obermann: Was würden Sie an meiner Stelle tun?

Helmer: Ja gut, Sie sind in der anderen Welt.

Obermann: Nein ich bin in der gleichen Welt wie Sie. Nur ich gucke aus einer anderen Perspektive darauf.

Helmer: Sie haben letztes Jahr gesagt, der Spielraum, den Sie für soziale Fragen haben, sei nicht allzu groß...

Obermann: Bei allem Effizienzbedarf habe ich nie den Spielraum für Sozialverträglichkeit in Frage gestellt, insbesondere für Kompensation und Auffangregeln bei sozialen Härtefällen - dafür haben wir eine eiserne Reserve.

Helmer: Trotzdem entsprechen die geplanten Maßnahmen nicht meinen sozialen Vorstellungen. Viele Familien leiden unter der rigorosen Maßnahme. Ist diese Umstrukturierung mit ihren sozialen Schäden tatsächlich wert, was an Produktivitätssteigerung mittelfristig rauskommt?

Obermann: Ich will Arbeit im Unternehmen halten. Derzeit bieten wir Bedingungen, die teils 50 Prozent über denen der Billiganbieter liegen. Dass man dabei Einschnitte in Kauf nehmen muss, ist schmerzhaft. Es bleibt aber niemand im Regen stehen; diese Botschaft können Sie mitnehmen.

Helmer: Was sagen Sie denn einer 40-jährigen Frau, die ein vierjähriges Kind hat und die jetzt hundert Kilometer weiter fahren muss?

Obermann: Dass sie die Möglichkeiten der Mehrkostenerstattung in Anspruch nehmen kann. Wenn das nicht ausreicht, sollte sie überprüfen, ob sie nicht doch für eine langfristig abgesicherte Arbeit einen Umzug machen kann. Wenn dies keine Alternativen sind, sollte sie mit uns überlegen, ob es in der Region eine alternative Tätigkeit innerhalb oder außerhalb der Telekom gibt.

SZ: Gibt es insgesamt eine einseitige gesellschaftliche Ausrichtung an den Wirtschaftsinteressen?

Helmer: Wir haben einige Indikatoren, die zeigen, dass wir eine zunehmende Spaltung in der Gesellschaft haben. Die Armutsrisikoquote ist in zehn Jahren um 50 Prozent gestiegen. Das ist ein Erdrutsch. Die Mittelschicht bröckelt. Dies, der Aufschwung der Linken, die Diskussion über Mindestlöhne und prekäre Arbeit zeigt, wir haben eine zunehmende Spaltung - wir merken auch, die Radikalisierung nimmt zu. Das ist alles kein Zufall. Es tut sich was in der Gesellschaft, hier droht etwas auseinanderzufallen. Und wir sind ja erst mitten in dieser Entwicklung. Politik muss da handeln.

Obermann: Ich bin in vielen Punkten Ihrer Meinung, soziale Verarmung, insbesondere Kinderarmut und Nichtteilhabe an einer vernünftigen Ausbildung sind nicht akzeptabel. Darum müssen wir uns alle kümmern - als Bürger und auch als Unternehmen. Trotzdem bleibt die Feststellung richtig, dass wir vor einigen Jahren noch fast doppelt so viele arbeitslose Menschen hatten. Wenn wir jetzt bei der Bildung Anstrengungen unternehmen, dann sehe ich nicht schwarz für die Zukunft.

© SZ vom 01.10.2008/tob - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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