Talente: Hanns-Ferdinand Müller (22):Der Barpianist von RWE

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Hanns-Ferdinand Müller motiviert das Vertriebsteam einer Tochter des Energiekonzerns und nebenbei die Handballer von Trainer Heiner Brand.

Hans-Willy Bein

Annähernd 30 Jahre mussten Deutschlands Handballherren warten, ehe sie im vergangenen Jahr wieder einmal einen Weltmeistertitel feiern konnten. Dass es im eigenen Land überhaupt dazu kam, ist ein Stück auch das Verdienst von Hanns-Ferdinand Müller, einem ehemaligen Fußballer und bekennenden Fan des Bundesligisten 1. FC. Köln. Dem Hobbymusiker ist der Song zu verdanken, mit dem sich die Sportler um Trainer Heiner Brand in der Kabine für die schweren Spiele aufputschten. "Heiner für alle, alle für Heiner". Klingt nach einem biederen Stimmungsmacher. Ist es aber nicht. Fetziger Rock trieb die Truppe um Kapitän Markus Baur zum Sieg über Polen.

RWE-Manager Hanns-Ferdinand Müller motiviert die Deutsche Handball-Nationalmannschaft. (Foto: Foto: oh)

Für den 43-jährigen Müller, im Hauptberuf Vertriebsvorstand der Regionalgesellschaft RWE Westfalen-Weser-Ems (WWE) des Essener Energiekonzerns, war klar, dass hierfür keine Musikkonserve in Frage kam. "Menschen lassen sich nur motivieren, wenn sie direkt angesprochen werden", redete Müller dem Motivationstrainer der Handballer den "Griff in die große Plattenkiste" aus. Der Song sollte auf den speziellen Bedarf zugeschnitten sein. Sagte es, setzte sich mit seinem Musikerfreund Wolf Codera, mit dem er schon so manche CD eingespielt hatte, zusammen und komponierte "Heiner für alle".

Im Sport sei es mit der Motivation nicht anders als im Vertriebsgeschäft. "Ich muss ein Gefühl, dafür entwickeln, wie meine Botschaft ankommt", sagt Müller. Um dies bei den RWE-Kunden zu testen, ist sich der promovierte Betriebswirtschaftler, der Wirtschaftswissenschaften und Musik parallel studierte und zeitweise seinen Lebensunterhalt als Pianist in Bars verdiente, fürs Klinkenputzen nicht zu schade.

Großer Handlungsdruck

Immer mal wieder geht er von Haus zu Haus, um selbst mit den Kunden zu sprechen. "Ich will ungefilterte Informationen und genau wissen, was die Leute stört". Die Aktionen scheinen bitter nötig. Mehr als 500.000 Kunden hat der RWE-Konzern in den letzten anderthalb Jahren verloren. Bei der Regionalgesellschaft WWE mit ihrem ländlichen Versorgungsgebiet in Nordrhein-Westfalen und angrenzenden nördlichen Regionen waren es 130.000 Haushalte seit Öffnung des Wettbewerbs vor annähernd zehn Jahren.

Ein Ergebnis von Müllers Recherche ist die von WWE und anderen Regionalgesellschaften angebotene Preisgarantie für Gas. Für Strom gab es diese Festpreise im Konzern bereits. Auf Initiative von Müller wurden sie am 1. September für Gas eingeführt. Hier hat WWE großen Handlungsdruck. 400.000 der 600.000 Gaskunden des Konzerns wohnen im Versorgungsgebiet der Regionalgesellschaft, das vom Emsland im Norden bis zum Sauerland und Siegerland im Süden reicht.

Während RWE sich bis zum Ende der Vertragslaufzeit an den vereinbarten Preis bindet, können die Haushalte bereits nach zwei Jahren kündigen. Zum 1. Oktober erhöhen einige Versorger wieder den Gaspreis. RWE hatte zum September aufgeschlagen. Das Festpreisangebot wird den Kunden damit zum Hochpreisniveau gemacht. Trotzdem profitierten die Abnehmer nach Darstellung von Müller von dem Angebot. "Ich verschaukele keine Kunden", sagt er. "Das rächt sich immer".

Neue Kunden

Um feste Preise garantieren zu können, müsse RWE sich entsprechende Gasmengen für die Vertragslaufzeit jetzt schon im Einkauf sichern. Diese Absicherung koste Geld und gehe zulasten der Vertriebsmarge. Die Spannen seien ohnehin nicht üppig. Jedenfalls verdienten die Energiekonzerne nicht im Vertrieb das große Geld. Die Margen seien vielmehr bescheiden, wie ansonsten im Lebensmittelhandel, wo die Unternehmer mit ein bis zwei Prozent Verdienstspanne auskommen müssten.

Über 20 Prozent der Haushalte haben sich bei WWE in wenigen Tagen für Verträge mit Preisgarantie entschieden. Angepeilt werden 100.000 Verträge und damit ein Viertel der Kunden. Müller sieht das Festpreismodell als Instrument, die Haushalte an RWE als Lieferanten zu binden. Das sei einfacher und billiger, als einmal abgewanderte Kunden zurück zu gewinnen. Erst in zweiter Linie ist daran gedacht, über die Festpreise neue Kunden zu akquirieren.

Unabhängig von dem neuen Gebot ist es Müllers Vertriebsmannschaft gleichwohl gelungen, neue Kunden an Land zu ziehen. Gewonnen wurden die Stadtwerke Bremen und Braunschweig sowie der Süßwarenkonzern Mars. Bei der Akquise hat Müller den Vorteil, dass sein Einzugsgebiet bis zur dänischen Grenze reicht. Andere Regionalgesellschaften haben es schwerer, weil ihre Versorgungsgebiete an die anderer RWE-Gesellschaften grenzen und man sich innerhalb des Konzerns nicht selbst Konkurrenz machen kann.

"Modell Flatrate Haus"

Müller, der seit 2001 für den RWE-Konzern arbeitet, hat neben den Festpreisen noch ganz andere Ideen zur Kundenbindung. Er sieht die Zukunft in einem "Modell Flatrate Haus", das wichtige Versorgungsleistungen eines Haushalts wie Strom, Gas, Wasser, Entsorgung und die Telekom umfasst. Wann könnte es ein solches Modell geben? "Ich bastele daran", sagt der selbstbewusste Vertriebsmanager zunächst nur. Dann lässt er sich aber doch eine Prognose entlocken: "Vielleicht in fünf Jahren".

Nach dem Studium an der Bundeswehrhochschule in Hamburg beginnt Müller 1988 den Einstieg in den Beruf als Leiter Materialwirtschaft am Flughafen Köln/Bonn. Über die WestLB und die Unternehmensberatung Kienbaum kommt er zu RWE. Die ersten Jahre beim zweitgrößten deutschen Energiekonzern nennt Müller "schwierig". "Bei RWE herrschte schon eine ganz spezielle Firmenkultur", sagt er. Das habe sehr stark an alte Monopolzeiten erinnert.

Auch viele Führungskräfte hätten noch nicht kapiert, dass der Wettbewerb das Verhältnis zu den Kunden verändert habe. Mit dem früheren WWE-Vorstandschef und jetzigem Vertriebsvorstand der Zwischenholding RWE Energie, dem unkonventionellen Knut Zschiederich, kommt Müller gut klar. Beeindruckt ist er von Konzernchef Jürgen Großmann. Vor allem, wie dieser Leute herausfordert. Das sei manchmal eine Provokation, aber "das rüttelt RWE wach".

© SZ vom 29.09.2008/tob - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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