Talente (25): Christian Lindner:Spitzname Bambi

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Der nordrhein-westfälische FDP-Generalsekretär Christian Lindner gehört mit 29 Jahren zu den liberalen Hoffnungsträgern. Nun geht er nach Berlin.

Dirk Graalmann

Christian Lindner war 15, als sein politisches Denken die entscheidende Prägung bekam. Im Herbst 1994 stand der Gymnasiast im Zentrum von Wermelskirchen, seiner Heimatstadt im Bergischen Land. Der Jungliberale war an jenem trüben Wochenende als Wahlkämpfer am FDP-Infostand eingeteilt. Auf ihren Plakaten stand: "FDP wählen, damit Kohl Kanzler bleibt." Es regnete, und irgendwann sah Lindner so bedröppelt aus, dass die CDU-Frau vom Stand gegenüber dem Burschen gönnerhaft einen Kaffee brachte. "Die hat gedacht: Was für ein armes Schwein?", sagt Lindner. "Das will ich nie wieder erleben. Nie mehr darf sich die FDP so an eine Partei ketten, so eine inhaltslose Hülle sein."

FDP-Mann Christian Lindner: Mit 29 Jahren schon ein alter Hase. (Foto: Foto: ddp)

Inzwischen ist Christian Lindner 29 Jahre alt, er sitzt seit acht Jahren für die FDP im Düsseldorfer Landtag - nach wie vor als dessen jüngster Abgeordneter -, ist stellvertretender Fraktionsvorsitzender und zudem seit vier Jahren NRW-Generalsekretär seiner Partei. Seit 2005 regieren die Liberalen mit, als kleiner Koalitionspartner der CDU von Ministerpräsident Jürgen Rüttgers.

Doch als Mehrheitsbeschaffer hat sich die FDP nie begriffen - und Lindner gehört zu den eifrigsten Trommlern, zu jenen, die gern verbal keilen gegen die CDU und insbesondere den Ministerpräsidenten. Als Rüttgers jüngst angesichts des konjunkturellen Abschwungs ein Anti-Rezessionsprogramm forderte, spottete Lindner über den "niedlichen" Ansatz. Für den gleichsam smarten wie selbstbewussten FDP-Mann gehört das zur Profilierung - der Partei und seiner Person.

Profiteur der Nach-Weserwelle-Zeit

Im kommenden Jahr sucht er die große Bühne. Lindner wird bei der Bundestagswahl 2009 kandidieren, abgesichert über die Landesliste. Nach neun Jahren im "Raumschiff Düsseldorf" (Lindner) zieht es ihn in die nächste Umlaufbahn, auch wenn er ahnt, dass in Berlin "Kärrnerarbeit wartet, um mir wieder Gehör zu verschaffen". Lindners großer Vorteil: Er ist 29 und hat Zeit; viel Zeit. Zudem gehört er zu den Vertrauten von FDP-Landeschef Andreas Pinkwart, der seit 2003 auch stellvertretender FDP-Bundesvorsitzender ist.

Pinkwart gilt als aussichtsreicher Kandidaten für die Nach-Westerwelle-Zeit - und Lindner könnte in diesem Fall einer der ersten Profiteure sein. Da kann es nicht schaden, dass er nicht nur Düsseldorf gegen Berlin tauscht, sondern auch seine Themen. Im Landtag hat er sich um den Bereich Kinder, Jugend und Familie gekümmert, auf Geheiß seines damaligen Fraktionschefs Jürgen W. Möllemann, der eines Morgens anrief und sagte: "Diese Themen sind Ihnen doch altersmäßig am nächsten, Bambi."

Firmengründer mit 17

Möllemann ist seit fünf Jahren tot, Lindners Spitzname hat überlebt. Das Bambi aber ist gewissermaßen flügge geworden, im Bundestag will er für die FDP nun im Arbeitskreis Wirtschaft und Finanzen oder alternativ Außen- und Sicherheitspolitik wirken. Eben jene Bereiche, die dem begabten Selbstvermarkter öffentliche Aufmerksamkeit garantieren und somit die Chance auf innerparteilichen Aufstieg.

Lindner kann in beiden Feldern zumindest praktische Erfahrung vorweisen. Mit 17 gründete er seine erste Firma. Es folgten weiter Ausflüge in die Privatwirtschaft in Zeiten der New Economy. "Das eine war erfolgreich, das andere lehrreich", sagt Lindner. Eine hübsche Formulierung für den Umstand, dass eines der Unternehmen trotz öffentlicher Förderung strandete. Zudem ist der frühere Zivildienstleistende, inzwischen "militärisch resozialisiert", zum Oberleutnant der Reserve aufgestiegen.

Mittelfristig könnte er auch zur Führungsreserve der Partei gehören. Schon jetzt zählt er zu den Wortführern junger Liberaler um Philipp Rösler und Daniel Bahr, die etwa ein neues Grundsatzprogramm fordern. Wir brauchen "die Wiesbadener Grundsätze 2.0", sagt Lindner. Das derzeitige Wiesbadener Programm ist elf Jahre alt, entstanden weit vor 9/11, Klimawandel und eben vor dem öffentlichen Kotau der "entfesselten Globalisierung", wie Lindner es nennt.

"Argumentative Materialermüdung"

Die Zeiten verlangen nach neuen Antworten, insbesondere von der FDP; die aktuelle Finanzkrise hat die Liberalen in die Defensive gedrängt. "Die Konkurrenz schafft es, uns unterzuschieben, dass wir die Verfechter des ungezügelten Casino-Kapitalismus seien", sagt der 29-Jährige. Was er nicht sagt: Das ist nicht besonders schwer, schließlich bedeutete Liberalismus für die FDP oft genug nur freies Spiel der Kräfte.

Lindner weiß, dass seine Partei zu lange wie ein Sprechautomat über den Segen von Deregulierung und Privatisierung redete, die stets gleichen, vorgestanzten Antworten gab. Es gäbe, sagt Lindner, in der FDP "eine argumentative Materialermüdung". Er blickt auf die Wand hinter seinem Schreibtisch, wo ein überlebensgroßes Porträt von Lord Ralf Dahrendorf hängt, dem Soziologieprofessor und liberalen Vordenker. Lindner sagt: "Wir waren oft genug unterphilosophiert." Er verwendet gern Begriffe wie Solidarität und Teilhabe oder "Gerechtigkeit, aber eben nicht im Ergebnis, sondern im Prozess, in der Frage nach gleichen Startchancen."

Der alerte Liberale selbst hat seine Chancen bisher eifrig genutzt und sein Weg soll noch weitergehen. "Haben Sie Bambi mal bis zum Ende geguckt?" fragt Lindner sein Gegenüber. Und schiebt, ohne eine Antwort abzuwarten, hinterher: "Bambi ist am Schluss der Herrscher des Waldes." Er strahlt. Ihm gefällt diese Pointe.

© SZ vom 27.10.2008/tob - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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