Takata:Finanziell und moralisch am Ende

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Ein Airbag von Takata wird aus einem Honda entfernt. Mehr als 100 Millionen Stück wurden weltweit zurückgerufen. (Foto: Joe Skipper/Reuters)

Der Airbag-Skandal treibt Takata in den Abgrund. Die drohende Insolvenz wäre die größte in Japan seit Jahrzehnten. Der Niedergang hat auch gravierende Folgen für die deutschen Autohersteller.

Von Christoph Neidhart und Max Hägler, Tokio

Moralisch galt Airbag-Hersteller Takata in Japan längst als bankrott. Sein Management wusste seit zwölf Jahren, dass seine Airbags, die Leben retten sollten, Menschen töteten. Allein in den USA mindestens elf, fast 200 wurden verletzt. Die Airbags explodierten mit zu großer Wucht, wie Geschosse drangen Metallsplitter in die Körper der Auto-Insassen. Doch Firmenchef Shigehisa Takada, der Enkel des Unternehmensgründers, ignorierte alle Warnungen. Und jene seiner Ingenieure. Statt wie vorgeschrieben die Behörden zu alarmieren, baute Takata weiter fehlerhafte Zünder in seine Airbags ein. Die US-Justiz wirft dem Unternehmen vor, vorsätzlich Daten gefälscht und damit die Profite über die Sicherheit gestellt zu haben.

Auch wirtschaftlich gilt das 84 Jahre alte Unternehmen als bankrott. Seine Schulden werden auf neun Milliarden Dollar geschätzt. Es hat die größte Rückrufaktion der Automobilgeschichte zu verantworten. Bis zu 100 Millionen Airbags mussten und müssen noch ersetzt werden. Betroffen sind unter anderem Honda, Toyota, Nissan, Mazda, General Motors, BMW, VW. Böten Japans Insolvenzgesetze nicht Lücken, die es untergehenden Firmen erlauben, den Gang zum Insolvenzrichter zu vermeiden, Takata wäre längst pleite.

Japans Medien sagen Takatas Zahlungsunfähigkeit seit Monaten voraus, zuletzt fast täglich. Derweil suchte das Unternehmen verzweifelt nach Käufern oder Geldgebern. Doch Japans Autoindustrie, eigentlich bekannt für ihre Treue zu den Zulieferern, hat Takata aufgegeben, allen voran Honda, Takatas größter Kunde. Seit vorigem Freitag hat Takata-Aktie, deren Handel vorübergehend ausgesetzt wurde, 75 Prozent ihres Wertes eingebüßt, am Donnerstag allein 51 Prozent. Die Wirtschaftszeitung Nikkei meldete, der Insolvenzantrag sei für Montag geplant. Eine Tochterfirma in Michigan beantrage gleichzeitig Gläubigerschutz. Takata solle in eine neu zu gründende Firma im Besitz von "Key Safety Systems" aufgehen, einer Tochter des chinesischen Zulieferers Ningbo Joyson. Diese werde dafür 180 Milliarden Yen zahlen, etwa 1,45 Milliarden Euro. Damit hoffe Takata, dass die weltweit 55 Werke weiterproduzieren könnten.

Allerdings kämpften etwa die Takata-Werke in Döbeln und Freiberg in den vergangenen Monaten bereits mit erheblichen Umsatzrückgängen: "Restrukturierungsmaßnahmen" ließen sich nicht mehr vermeiden, hieß es im März. Dabei hatten sich die deutschen Hersteller nach den Unfällen nicht komplett von Takata abgewendet. Das liegt an dessen Marktmacht und auch daran, dass in Takata auch deutsche Wurzeln stecken. Vor einigen Jahren übernahmen die Japaner die Petri AG, die 1980 den weltweit ersten Airbag hergestellt hatte - für den Daimler-Konzern, der immer noch Auftraggeber ist. Auch mit BMW laufen die Geschäfte weiterhin, ein Drittel der Airbags kommen von Takata, obwohl der bayerische Hersteller bisher etwa 7,5 Millionen Autos zurückrufen musste. Das hat einen niedrigen dreistelligen Euro-Millionenbetrag gekostet, obwohl bei BMW nie etwas passiert ist. Das Geld werden die Münchner angesichts der Pleite nicht mehr sehen. Dennoch hofft BMW, wie auch die anderen deutschen Autokonzerne, auf ein Überleben von Takata: Würde dieser Zulieferer wegfallen, der übrigens auch Lenkräder, Sicherheitsgurtsysteme, Sitzteile und Kindersitze fertigt, dann würde auf dem Airbag-Markt ein Oligopol entstehen und die Preise womöglich steigen: Es gibt sonst quasi nur noch die schwedische Firma Autoliv, ZF-TRW und das japanische Unternehmen Daicel.

Der öffentlichkeitsscheue Shigehisa Takada hat schon mehrfach seinen Rücktritt angekündigt, aber nie ein Datum genannt: Zuerst will er die Sanierung auf den Weg bringen. Die Zeitung Nikkei wirft dem 51-Jährigen vor, er habe die fehlerhaften Airbag-Zünder auf die leichte Schulter genommen. Takatas Niedergang hätte vermieden werden können. Von den 11,7 Milliarden US-Dollar, die die Rückrufe bisher gekostet hätten, habe die Autoindustrie einen Großteil getragen. Doch Toyota, Honda, Nissan und Co. hätten das billiger haben können, wenn sie ihrerseits schneller reagiert und Druck auf Takata ausgeübt hätten, so der Nikkei. Die japanische Wirtschaft, deren Reputation sich auf Qualität und Sicherheit stütze, müsse aus dem Niedergang von Takata lernen.

© SZ vom 23.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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