Steuerhinterziehung:Mildernde Umstände

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Die Millionengrenze war ein Missverständnis: Warum Steuerhinterzieher wie Klaus Zumwinkel ohne Haftstrafe davonkommen.

Hans Leyendecker

Das Urteil der obersten Richter sorgte für Aufsehen. Bei Steuerhinterziehung in sechsstelliger Höhe sei in der Regel eine Freiheitsstrafe unerlässlich, urteilte der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) im Dezember. In Fällen von Hinterziehung in Millionenhöhe gar sei nur bei "besonders gewichtigen Milderungsgründen" von einer Haftstrafe abzusehen. Weil der BGH dieses Urteil als "Grundsatzentscheidung zur Strafhöhe bei Steuerhinterziehung" bezeichnete und sogar die Tarife für Steuerhinterzieher umriss, brannte sich in vielen Köpfen fest: Steuersünder würden künftig härter bestraft, die Million sei die magische Grenze. Wer mehr hinterzogen habe, müsse fast zwangsläufig einrücken.

Klaus Zumwinkel wurde am vergangenen Montag zu zwei Jahren auf Bewährung und einer Million Euro Geldstrafe verurteilt. (Foto: Foto: AP)

"Irritierende" Interpretationen

Was so grundsätzlich klang, hat in der Praxis, wie sich jetzt beispielsweise im Bochumer Steuerstrafprozess gegen Klaus Zumwinkel zeigte, nicht nur wenig Bedeutung, sondern löste auch unter den Praktikern ungewöhnlichen Widerspruch aus. Der Bochumer Oberstaatsanwalt Gerrit Gabriel sprach am zweiten Tag der Zumwinkel-Verhandlung von "irritierenden" Interpretationen des BGH-Urteils, das für "viel Wirbel" gesorgt habe. "Starre Mathematik" sei wenig hilfreich.

Zumwinkels Anwalt Hanns Feigen erklärte, für Strafzumessung sei nicht der BGH zuständig, sondern die Instanzengerichte, und an dieser Stelle nickte der Vorsitzende Richter Wolfgang Mittrup heftig. "Strafzumessung ist ureigene Aufgabe der erkennenden Gerichte und erfolgt nicht mit Hilfe eines Rechenschiebers", watschte dann der 56-Jährige im Urteil die Karlsruher Kollegen ab.

Strafmildernde Faktoren

Knapp zwei Monate nach dem in Medien als "bahnbrechend" gefeierten BGH-Urteil ist zumindest beim Fachpublikum Ernüchterung eingezogen. Dazu hat auch beigetragen, dass zwischen der am 2. Dezember veröffentlichten Pressemitteilung des Senats und der seit kurzem vorliegenden schriftlichen Urteilsbegründung "Welten liegen" (Feigen).

Zwar fanden sich auch in der zweiseitigen Pressemitteilung der Karlsruher Richter knappe Hinweise auf "gewichtige" und "besonders gewichtige" Milderungsgründe, aber das 27 Seiten lange Urteil liest sich nicht nur weit differenzierter, sondern eigentlich ein bisschen anders. Exzessiv werden die möglichen "Milderungsgründe" aufgeführt: Die "Lebensleistung" des Angeklagten sei zu beachten, das "Verhalten des Täters nach Aufdeckung der Tat" sei zu würdigen, "Schadenswiedergutmachung" sei natürlich auch strafmildernd, und "bedeutsam" sei "das Verhältnis der verkürzten zu den gezahlten Steuern".

Wenn also jemand wie Zumwinkel in vier Jahren acht Millionen Euro Steuern zahlt und im selben Zeitraum 967 000 Euro Steuern hinterzieht, betrifft folglich "die Tat nur einen verhältnismäßig geringen Teil seiner steuerlich relevanten Betätigungen" (BGH).

Die Millionengrenze war offenkundig in vielfacher Hinsicht ein Missverständnis. Der Karlsruher Urteilstext muss so interpretiert werden, dass in Fällen wie Zumwinkel die Einzeltat zählt. Also in seinem Fall die hinterzogene Steuer pro Jahr. Da lag er im Schnitt um 750 000 Euro pro Jahr unter der fiktiven Millionengrenze. Es sollen also weiterhin die Milderungsgründe gelten, die es immer schon bei Amts- und Landgerichten gab. Im Fall Zumwinkel gab es zudem die Besonderheit, dass ein Teil der Anklage verjährt war, was dazu führte, dass der hinterzogene Betrag knapp unter die Millionengrenze fiel. Die Streichung spielte bei der Strafzumessung keine Rolle, denn beim Strafmaß können auch Tatteile mitzählen, die schon verjährt sind.

© SZ vom 29.01.2009/iko/mel - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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