Siemens: Folgen der Krise:Ein großes Mosaik

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Wie tief steckt Siemens im Krisen-Schlamassel? Fest steht nur, die Gewinnziele sind in Gefahr, die Kurzarbeit wird ausgeweitet - und in der Belegschaft herrscht Angst.

M. Balser und Th. Fromm

Schlechte Nachrichten gab es von Siemens in den vergangenen Wochen mindestens so viele wie Top-Manager, die sie überbrachten. Finanzchef Joe Kaeser zum Beispiel: Er sagte, dass die wirtschaftliche Schwächephase eher "noch zwei Jahre als zwei Quartale" andauern werde. Oder: "Die Krise hat Siemens erreicht, aber Siemens ist nicht in der Krise." Weniger plakativ, dafür umso alarmierender, waren die Aussagen der Einkaufschefin Barbara Kux. Sie teilte mit, dass der Konzern die Zahl seiner Zulieferer drastisch abbauen will, um die Beschaffungskosten zu senken.

Die Angst bei den Mitarbeitern sitzt tief: Die Belegschaft fragt sich, wie tief Siemens im Krisen-Schlamassel steckt. (Foto: Foto: ddp)

Den wichtigsten Part aber hatte Personalvorstand Siegfried Russwurm, zuständig in diesen Wochen für den aktuellen Wasserstand bei der Kurzarbeit. Als er jüngst eine Aufstockung von 12.000 auf 19.000 Kurzarbeiter ankündigte, fügte er einen kleinen, aber wichtigen Satz hinzu: "Wie es weitergeht, kann ich derzeit nicht voraussagen." Die Belegschaft ist ratlos. Noch mehr Kurzarbeit? Betriebsbedingte Kündigungen gar?

Angst bei den Mitarbeitern

Bei Siemens war es in den vergangenen Monaten wie beim Mosaiklegen. Nur die vielen Steinchen in ihrer Gesamtheit ergaben ein mehr oder weniger komplettes Bild. Wie das genau aussieht, muss Konzernchef Peter Löscher am Mittwoch in der Mosaikhalle der Siemens-Verwaltung in Berlin-Siemensstadt sagen. Dort stellt er sein Halbjahresergebnis vor.

Fest steht: Die Wirtschaftskrise trifft Siemens mit voller Wucht, stärker als Löscher das noch vor einigen Monaten wissen konnte. Zwar hat Europas größter Technologiekonzern viele Beschäftigte bereits in Kurzarbeit geschickt und damit Kosten gesenkt. Doch reicht dies aus? Nach Angaben aus Konzernkreisen könnte sich die Zahl der Kurzarbeiter bis Anfang 2010 verdoppeln. Betriebsräte sprechen schon von bis zu 40.000 möglichen Kurzarbeitern.

Die Angst der Mitarbeiter sitzt tief: Zurzeit bleiben vor allem in der Industriesparte die Aufträge weg. Mit Verzögerung könnte die Krise nun auch die langfristig angelegten Geschäfte in den beiden anderen Sparten Energie und Medizintechnik treffen. "Dann sähe es in den Werken düster aus", warnt ein Betriebsrat.

Der Konzern tut das, was er seit Monaten tut: Er wiegelt erst einmal ab, schließt einen Anstieg aber auch nicht aus. Wie auch? Löscher selbst ist von der Schärfe der Rezession überrascht worden. Für weitere Prognosen sei es zu früh, teilt der Konzern nun mit. Der Planungshorizont schließe nur die nächsten acht Wochen ein. Mehr ginge nicht. "Auf Sicht fahren", nennt man das heute in der Autoindustrie.

Gemischte Stimmung

Wahrscheinlich wird Löscher in Berlin sein Gewinnziel kassieren. Die Experten in der Münchner Zentrale am Wittelsbacher Platz prüfen nach Informationen der Süddeutschen Zeitung schon längst, ob es sinnvoll ist, an dem Ziel von acht Milliarden Euro Gewinn im laufenden Geschäftsjahr festzuhalten. Analysten glauben ohnehin nicht mehr, dass das noch funktionieren kann. Deutsche-Bank-Analyst Peter Reilly etwa erinnert daran, dass das Acht-Milliarden-Ziel auf Juli 2008 zurückdatiert. Seitdem sei viel passiert - der tatsächliche Gewinn könnte wohl eher rund eine Milliarde niedriger ausfallen.

Für Löscher selbst wäre das eine Niederlage - wenn auch keine selbstverschuldete. Endgültig aber müsste der Österreicher von seiner optimistischen Linie abweichen. Bei der Hauptversammlung Ende Januar hatte er noch erklärt, der Konzern gehe gestärkt in die Krise. "Wir gehen mit Selbstvertrauen, Kraft und Entschlossenheit durch das Jahr 2009", machte er Mut und erklärte: "Wir sehen keinen Grund in den Chor derer einzustimmen, die mit düsteren Äußerungen die Stimmung in den Keller ziehen."

In der Belegschaft ist die Stimmung gemischt. Führende Arbeitnehmervertreter sind zwar froh, dass sich der Konzern mit öffentlich geförderter Kurzarbeit in den nächsten Monaten wohl ohne harte Einschnitte über Wasser halten kann. "Kurzarbeit ist besser als Entlassungen", sagt Aufsichtsrat und IG-Metall-Funktionär Dieter Scheitor der SZ.

"Kreative Lösungen" gefordert

Längst aber fragen sich hochrangige Manager: Wie lange noch? Damit droht Löscher ein neuer Konflikt. Denn laut IG Metall sind in diesem und im kommenden Geschäftsjahr in Deutschland wegen eines Standort- und Beschäftigungspakts betriebsbedingte Kündigungen ausgeschlossen. Dies sei laut Vereinbarung auch in wirtschaftlichen Krisenzeiten nur mit Zustimmung der Arbeitnehmervertreter möglich.

Die aber winken ab. "Mit uns sind keine Kündigungen zu machen", stellt Gesamtbetriebsratschef Adler klar. Er fordert "andere kreative Lösungen". Mit 130.000 Jobs allein in Deutschland ist Siemens ein Schlüsselkonzern im Land - und damit ein Thema für die Politik.

Alarmiert von düsteren Konjunkturprognosen trafen sich am vergangenen Donnerstag die Betriebsratschefs deutscher Dax-Konzerne bei Arbeitsminister Olaf Scholz (SPD) in Berlin. Die Stimmung sei angespannt gewesen, heißt es, denn Kurzarbeit sei nur ein Übergangsinstrument. Löscher könnte am Mittwoch gefragt werden, was danach kommt. Ob er es schon weiß, ist eine andere Frage.

© SZ vom 28.04.2009/tob - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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