Schweiz:Wenn das Eis schmilzt

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Am Morteratsch in der Schweiz zeigt sich das Elend vieler Gletscher.

Von Marco Völklein

Hätte die Rhätische Bahn schon in den 1850er Jahren die Strecke zum Berninapass befahren, die Fahrgäste hätten an der Station Morteratsch aussteigen und den Gletscher nach nur etwa 100 Meter Fußmarsch erreichen können. Heute müssen Besucher deutlich weiter gehen: Seit Beginn der systematischen Beobachtungen 1878 hat der Gletscher gut zwei Kilometer an Länge eingebüßt. Ein Wanderpfad führt die Besucher zum Gletschertor; unterwegs zeigen Schilder und alte Fotos, wie mächtig die Eismassen einst waren. Heute ragen dort nur schroffe Felswände empor. Eis ist weit und breit nicht mehr zu sehen. Und die Eismasse schrumpft weiter: Setzt sich die Erderwärmung in gleichem Maße fort, könnte laut Studien bis 2050 etwa 60 Prozent des Gletschers verloren sein.

Auch anderswo schrumpfen die Eismassen, etwa im Himalaya, in den Anden oder in den Rocky Mountains. Allein Nepal verliere jedes Jahr etwa 38 Quadratkilometer Gletscherfläche, warnen Wissenschaftler. Das Schmelzwasser fülle Gletscherseen, deren natürliche Dämme aus Felsen und Geröll plötzlichen brechen könnten. Ähnliches melden Forscher aus den Anden. Dort ist der Pastoruri-Gletscher in Peru von 1995 bis 2005 um fast 40 Prozent geschrumpft. Aus einem großen sind mittlerweile drei kleine Eisfelder geworden. Manch ein Wissenschaftler geht sogar davon aus, dass der Pastoruri bis zum Jahr 2025 komplett verschwunden sein könnte.

In den Alpen hätten vor allem viele kleinere Gletscher ihre schützende Altschneeschicht bereits verloren, ergänzen Forscher der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) in Zürich. Sie seien damit der Sonneneinstrahlung ungeschützt ausgesetzt. Hinzu kommt, dass sich Felsen, einmal freigelegt, stärker aufheizen - und so das Auftauen noch verstärken. Zudem taut auch Dauerfrostboden auf, der das Gestein in Felsklüften zusammenhält. In der Folge häufen sich Murenabgänge und Bergstürze; erst im August waren bei einem heftigen Erdrutsch in Graubünden acht Menschen ums Leben gekommen.

Fast schon verzweifelt versuchen Forscher, das Schmelzen der Gletscher zu stoppen, beispielsweise, indem sie die Eisriesen mit Folien oder Sägemehl abdecken. Oder indem sie den blanken Fels, der vielerorts zwischen dem Eis auftaucht und den Auftauvorgang noch verstärkt, weiß anmalen. Am Morteratsch wird sogar überlegt, den Gletscher künstlich zu beschneien und so das Eis zu konservieren. Doch wie beschneit man eine 650 000 Quadratmeter große Gletscherfläche in einem Gebiet zwischen 2300 und 2500 Meter über dem Meer, wo es keine Infrastruktur wie in Skigebieten gibt?

© SZ vom 02.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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