Schuldenmacher:Einsperren bis zur Einigung

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Graffito in Athen. Griechenland steht nach Ansicht vieler Experten kurz vor der Staatspleite. Helfen könnte ein Schuldenschnitt. (Foto: Louisa Gouliamaki/AFP)

Die Europäer tun seit Jahren fast alles, um einen Bankrott von Griechenland zu vermeiden. Doch ist das der richtige Weg? Nein, meinen Experten.

Von Alexander Hagelüken

Wie lange noch? Wann ist Griechenland bankrott? Schon bald, warnte am Montag die Bundesbank in ihrem Monatsbericht. Lenke Athen im Schuldenstreit nicht ein, drohe die Staatspleite. Die Regierung von Ministerpräsident Alexis Tsipras müsse deshalb dringend handeln, sie habe die "Verantwortung, angemessene Vorschläge zu unterbreiten, getroffene Vereinbarungen umzusetzen und so das ihre beizutragen, eine Insolvenz des Staates mit starken Verwerfungen in Griechenland zu vermeiden", schreiben die deutschen Notenbanker.

Und falls Athen sich weiter verweigert nicht? Was passiert dann? Steht dann am Ende ein Ergebnis, das eigentlich niemand will: eine Art "Unfall", der zur Folge hat, dass Griechenland holterdipolter die Währungsunion verlässt und das Land ins Chaos stürzt? Gibt es keine bessere Lösung? Wer Christoph Paulus fragt, hört sofort: Ja! Seit der Berliner Juraprofessor vor 15 Jahren vom Weltwährungsfonds IWF geladen wurde, plädiert er dafür, überschuldeten Staaten durch eine geordnete Insolvenz zu helfen, wie es sie bei privaten Schuldnern gibt. Auch die UN-Vollversammlung machte sich bereits im vorigen Jahr dafür stark. Ökonomen wie Clemens Fuest vom Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung ZEW treiben die Debatte mit immer präziseren Modellen voran.

Paulus hat gerade Urlaub, er sitzt am Chiemsee auf einem Steg - und vergisst die Landschaft, als er atemlos sein Konzept ausbreitet: "Im Kern geht es um eine Lösung, mit der Schuldner auf die Beine kommen und Gläubiger leben können. Man muss sie einsperren, bis es eine Einigung gibt." Wie hätte das bei Griechenland funktioniert, das schon 2010/2011 überschuldet war? Grundlage wäre ein Vertrag, mit dem die beteiligten Länder vorab vereinbaren, dass so etwas wie eine staatliche Insolvenz überhaupt möglich ist. Dann könnte eine Regierung im Falle der Überschuldung beantragen, zum Beispiel 70 Prozent der Schulden erlassen zu bekommen - unter der Bedingung, dass sie Reformen zusagt. Paulus will ein politisches Dauergerangel wie im Fall von Griechenland vermeiden, bei dem der Schuldner wenig leistet und die Gläubiger sich an ihren Forderungen festklammern.

Statt des jahrelangen Hickhacks soll ein Schiedsgericht aus 20 weisen Managern, Politikern und Ex-Politikern beurteilen, wie viel ein Schuldner leisten kann. Nachdem sich Kreditgeber und Schuldner innerhalb einer bestimmten Frist auf die Höhe des Erlasses geeinigt haben, sollen die Schiedsrichter diese Vereinbarung überwachen: Setzt der Schuldner keine Reformen um, steht er auf einen Schlag wieder mit allen Verbindlichkeiten da. Das wäre eine mächtige Drohung für Reformverzögerer in Griechenland und anderswo.

Der Vorteil wäre ein geordnetes Verfahren - und eine verbindliche Lösung innerhalb einer bestimmten Zeit. Hätte man dieses Verfahren im Fall von Griechenland vor vier Jahren angewandt, könnte das Land längst auf eine bessere Zukunft hinarbeiten. "Bisher treibt die Krise die Politiker doch wie Hühner vor sich her", beklagt Paulus. Natürlich weiß er, dass sich sein Modell nur schwer umsetzen lässt. Schuldner wie Griechenland und Gläubiger wie die Euro-Staaten möchten bisher keinesfalls einen Teil der Kontrolle aufgeben, lieber feilschen sie endlos. Die Euro-Regierungen halten so die Illusion aufrecht, eine Staatspleite sei die absolute Ausnahme. Dabei gab es in den vergangenen zwei Jahrhunderten etwa 230 Länder-Bankrotte. Auch Deutschland profitierte davon; der Erlass von Verbindlichkeiten beim Londoner Abkommen 1953 war eine der Voraussetzungen für das Wirtschaftswunder.

Die Botschaft wäre: Ihr kriegt einen Schuldenschnitt, dann müsst ihr selber klar kommen

Im Grunde wird bei Griechenland längst eine Insolvenz praktiziert, aber auf denkbar schlechte Art, kritisiert Clemens Fuest, Präsident des Mannheimer ZEW-Instituts: Niedrigste Zinsen und die Verschiebung von Zinsen und Rückzahlungen nach hinten seien ein versteckter Schuldenerlass. "In der Euro-Zone haften gerade die Steuerzahler anderer Staaten für die Probleme Griechenlands, ohne die Wirtschaftspolitik mit zu kontrollieren", sagt Fuest. "Das ist, als ob man einem Freund die Kreditkarte gibt und ihn bittet: Aber gib nicht so viel aus."

Der Ökonom fordert ein anderes Modell als Paulus: Hoch verschuldete Euro-Staaten erhalten maximal drei Jahre Hilfen aus dem Rettungsfonds. Wenn sie danach nicht in der Lage sind, sich am Kapitalmarkt zu finanzieren, kommt es zum Insolvenzverfahren. "Die Botschaft an Griechenland wäre: Ihr kriegt einen Schuldenschnitt, danach müsst ihr ohne Hilfe selber klarkommen." Fuest schlägt vor, die Euro-Länder sollten so rasch wie möglich per Vertrag die Möglichkeit einer Insolvenz festschreiben - das Inkrafttreten aber verschieben, so dass das Projekt im Krisenstrudel eine echte politische Chance hat.

Der ZEW-Präsident will nicht nur Überschuldungen besser managen, sondern auch verhindern, dass es überhaupt dazu kommt. "Wenn es ein Insolvenzverfahren gibt, werden private Gläubiger einem Land wie Griechenland nicht so leicht Geld geben wie in der Vergangenheit." Anders als im nie so vorgesehenen, aber real existierenden Haftungsverbund Euro würde Gläubigern durch das Verfahren klargemacht: Das Geld kann weg sein. "Wir sollten zu einer Währungsunion kommen, in der klar ist: Staatsanleihen sind unsicher", so Fuest. "Weil die EZB gesagt hat, wir retten alle Länder, kann sich Italien zu niedrigeren Zinsen verschulden als die USA."

Ein Insolvenzverfahren könnte also helfen, Schuldenkrisen zu vermeiden - und sie besser zu lösen, wenn es dazu kommt. Noch fehlt es hierfür an der politischen Bereitschaft. Fuest will daher mit kleinen Schritten beginnen: Wenn eine Euro-Regierung mehr als die vorgeschriebenen drei Prozent der Wirtschaftsleistung Defizit machen will, soll sie Anleihen ausgeben, die im Krisenfall nur nachrangig zurückgezahlt werden. Entsprechend mehr Zinsen müsste sie zahlen, und entsprechend könnte der Appetit auf neue Schulden sinken.

© SZ vom 19.05.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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