Samstagsessay:Ohne Worte

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Die deutsche Volkswirtschaft ist in blendender Verfassung. Aber einige ihrer ehemaligen Aushängeschilder sind völlig von der Rolle. Wie passt das zusammen? Die Kommunikation funktioniert nicht.

Von Marc Beise

Zu Beginn eine Geschichte vom Fußball. In der Münchner Allianz-Arena laufen bei Spielbetrieb 22 Männer und ein Ball um die Wette, beobachtet von vier Schiedsrichtern, zwei Trainern, einigem Service-Personal und 70 000 Zuschauern. Wer wichtig ist an diesen Tagen, befindet sich unten auf dem weißumrandeten Platz oder ganz in dessen Nähe. Ein besonders wichtiger Mann aber ist weit weg. Er sitzt ganz oben über der Haupttribüne, kurz unter dem Stadiondach. Dort, wo die Tracker sitzen, die Computerspezialisten, die das Spiel aufzeichnen, damit später die Analysten in den Vereinen und unter den 80 Millionen Fußballtrainern, die das Land bekanntlich hat, alle Statistiken zur Verfügung gestellt bekommen darüber, wer wie viel gelaufen ist, wer wann wohin gespielt hat oder eben gerade nicht.

Der Mann, der hier oben sitzt und sehr aufmerksam aus der Ferne auf das kleine grüne Rechteck da unten guckt, ist Carles Planchart, der Video-Analyst des Bayern-Trainers Pep Guardiola. Kurz vor der Halbzeitpause verschwindet er nach unten, mutmaßlich, um dem Chef seine Erkenntnisse weiterzugeben, und zum Wiederanpfiff sitzt er dann wieder da droben und guckt und analysiert.

Was sagt uns das?

Dass man den besten Überblick hat, wenn man das Geschehen aus der Ferne betrachtet, wenn man nicht mittendrin steckt. Dass selbst ein so großer Analytiker wie Pep Guardiola jemanden braucht, der von ganz weit weg die großen Linien beobachtet. Manchmal wünschte man sich angesichts der aktuellen wirtschaftlichen Geschehnisse in Deutschland, man wäre auch ganz weit weg. Dann würde man vielleicht besser verstehen, was in diesem merkwürdigen Land gerade eigentlich so geschieht.

Einerseits ist die deutsche Volkswirtschaft in einer angesichts der turbulenten Weltläufe beinahe beängstigend guten Verfassung. Auf ohnehin hohem Niveau legt die Wirtschaft immer weiter zu. Die Zahl der Beschäftigten befindet sich auf einem Rekordniveau und wird weiter steigen, die Zahl der Arbeitslosen ist so niedrig wie seit 1991 nicht mehr. Der deutsche Mittelstand ist in ziemlich guter Verfassung, die Konzerne schlagen sich international passabel. Sogar die Start-up-Szene, die man eher im Silicon Valley verortet, hat zuletzt einige Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Das ist die eine Seite.

VW hat Kunden und Regierung in großem Stil nach Strich und Faden betrogen

Die andere Seite heißt: Volkswagen. Deutsche Bank. Lufthansa. Und wenn man so will, auch Deutscher Fußballbund und sogar deutsche Bundesregierung. Es sind Leuchttürme, die da schwächeln. Oder die sogar - wie insbesondere VW und DFB - so sehr von der Rolle sind, dass sie nur noch Hohn und Spott bekommen.

Himmelhoch jauchzend, zu Tode betrübt - wie passt das zusammen?

Illustration: Lisa Bucher (Foto: Lisa Bucher)

Auf den ersten Blick gar nicht. Der VW-Konzern hat Regierungen und Kunden in großem Stil und nach Strich und Faden belogen, was die Umweltverträglichkeit seiner Motoren angeht. Die Deutsche Bank hat vor allem vor der Finanzkrise kriminelle oder mindestens anrüchige Geschäfte an den Finanzmärkten getätigt. Die Lufthansa kämpft seit Jahren mit ihren Mitarbeitern um deren Arbeitsbedingungen und bekommt das Problem nicht gelöst. Beim DFB gab es undurchsichtige Geldflüsse rund um das "Sommermärchen" der WM 2006 in Deutschland. Die Bundesregierung verhakt sich bei der Bekämpfung der Flüchtlingskrise über das normale Maß des politischen Wettstreits hinaus und macht auch vor persönlichen Verunglimpfungen unter Parteifreunden nicht mehr halt, die Nerven liegen blank.

Das ist der Stoff, den Verschwörungstheoretiker lieben. Wenn man für diese Art politischer Esoterik empfänglich ist, dann könnte man beispielsweise vermuten (und manche Menschen tun das ja tatsächlich), dass das Ausland gegen die seit Jahren auf so vielen Gebieten so erfolgreichen Deutschen mobilisiert. Dann hätten amerikanische Autokonzerne in Kumpanei mit den dortigen Umweltbehörden den hoffnungsvollen Versuch der Deutschen zunichtegemacht, mit der Diesel-Technologie den amerikanischen Markt zu erobern. Das ist jetzt in der Tat wohl vorbei - aber dass es das Ergebnis geheimer strategischer Planung des staatlich-industriellen amerikanischen Komplexes sein könnte, vermag man sich als durchschnittlich misstrauischer Mensch nicht so recht vorstellen.

Beim DFB fädelte eine Clique um Franz Beckenbauer fragwürdige Deals ein

Einleuchtender ist ein anderer Zusammenhang. Was alle genannten und viele andere Beispiele gemein haben, ist: mangelhafte Kommunikation im eigenen Haus. Bei VW herrschte ein auf das Duo Eigentümer Ferdinand Piëch und Vorstandschef Martin Winterkorn ausgerichtetes Herrschaftssystem, das keinen Widerspruch duldete; "Nordkorea ohne Arbeitslager" hieß das dann. Bei der Deutschen Bank waren die Händler in London und New York, die im Gegensatz zu den biederen Firmen- und Privatkundenbetreuern in Frankfurt für sich selbst und die Bank das richtig große Geld verdienten, ein Staat im Staate. Beim DFB fädelte eine Clique um die Lichtgestalt Franz Beckenbauer die Deals ein, die dem deutschen Fußball guttun sollten, und wenige nur wussten Bescheid oder wollten Bescheid wissen, nicht mal der "Kaiser" selbst in eigener Sache, der heute beteuert, er habe die ganzen Papiere gar nicht gelesen, die er da immer unterschrieben habe.

Und bei der Lufthansa, einem Unternehmen mit eigentlich sehr ordentlichen Führungsstrukturen, gelang es partout nicht, den ja nun wirklich seit vielen Jahren schwelenden Konflikt mit den Mitarbeitern um deren frühere und wohl nicht mehr künftige Privilegien zu einer Zeit zu entschärfen, als noch kein Druck auf dem Kessel war. Stattdessen eskalieren die Dinge mit schöner Regelmäßigkeit immer während der Tarifverhandlungen und werden dann auf dem Rücken der Kunden und zulasten des Images der Firma ausgetragen. Auch der aktuelle Streit mit den Flugbegleitern musste erst eskalieren, ehe Vorstandschef Carsten Spohr das Thema zur Chefsache machte und die Gegenseite zurück an den Verhandlungstisch brachte. Dafür wird er nun allseits gelobt, aber man darf doch fragen: Warum nicht früher?

In der Politik wiederum ist, man muss das leider so sagen, das gegenseitige Belauern, Tricksen und Übervorteilen an der Tagesordnung, sogar innerhalb des eigenen Lagers, wovon die Steigerung: "Freund, Feind, Parteifreund" ein beredtes Zeugnis ablegt. Das hohe "C" für "christlich" birgt nicht etwa die Gewähr für weniger Streit, sondern eher für mehr.

Respektloser Umgang miteinander, mangelnde Kompetenz im Bereich der Kommunikation im Haus ist ein böser Fehler, der umso schwerer wiegt, als er fast immer mit mangelnder Kompetenz im Führungsverhalten korrespondiert. Man kann ziemlich zuverlässig darauf wetten, dass, wenn die Kommunikation nicht klappt, auch der Rest nicht funktioniert. Und umgekehrt.

Dieser Befund ist umso erstaunlicher, als kluge Wissenschaftler und populäre Managementbücher seit Jahren beinahe schon mit dem Holzhammer auf die Managerzunft einhämmern, wie wichtig Transparenz, Motivation, Durchlässigkeit und Eigenverantwortung für eine gute Unternehmensführung sind.

Dabei ist es eine Binse, dass gute Kommunikation in guten Zeiten beginnt. Wer damit erst in der Krise anfangen will, hat kaum noch eine Chance, sich Gehör zu verschaffen - wenn er es wenigstens dann versucht. In vielen Fällen, auch einigen der hier genannten, gehen Misskommunikation und vermutlich auch Missmanagement ja munter weiter. Es beginnt die Jagd auf Sündenböcke, schuld sind immer die anderen, die Ingenieure, der Vertrieb, Manager XY oder YZ, und wenn gar nichts mehr hilft: die Medien.

All das dient vor allem einem Ziel: Die führenden Personen, die noch die alten sind oder jedenfalls den alten Seilschaften entstammen, an der Macht zu halten. Dabei weiß man eigentlich schon seit Jahren, belegt durch entsprechende Untersuchungen, dass die Frage nach dem richtigen Spitzenmanagement sich sehr klar an der Frage entscheidet, ob ein Unternehmen gut im Markt liegt oder in der Krise ist.

Ein gesundes Haus wird am besten von Hausgewächsen geführt, die die Organisation kennen, den "Code" der Firma und die Mitarbeiter. Ein Unternehmen in der Krise dagegen fährt regelmäßig besser mit externen Kandidaten. Die kennen zwar nicht alle Stärken und eben auch nicht alle Schwächen und schon gar nicht die Fallstricke, aber sie sind unbelastet und haben den anderen Blick.

Vorbildlich hat das seinerzeit der korruptionsaffärengeschädigte Siemens-Konzern durchlebt. Erst holte man mit Peter Löscher einen neuen Vorstandsvorsitzenden von außen. Dann, als der Laden wieder lief, wurde die interne Lösung attraktiver, und der langjährige Siemensianer Joe Kaeser konnte sich gegen den externen Chef durchsetzen.

Oder, um es am Beispiel der Autoindustrie zu beschreiben: Ein Konzern wie BMW, der momentan, wie die Strategieberater sagen, "gut auf der Straße liegt", hat gut daran getan, immer wieder Toptalente aufzubauen und - wie zuletzt Harald Krüger - bis in die Spitzenposition zu befördern. Ein Krisenkonzern wie VW sollte seine Spitzenleute besser ganz woanders suchen; dort aber sind immer noch die alten Seilschaften vertreten: als Vorstandsvorsitzender der frühere Porsche-Chef Matthias Müller, als Aufsichtsratschef der frühere Finanzvorstand Hans Dieter Pötsch, als Betriebsratsvorsitzender Bernd Osterloh, und bei Audi Rupert Stadler, wie seit Jahren schon.

Die Deutsche-Bank dagegen hat die Kurve bekommen. Nach drei langen Jahren mit Anshu Jain und Jürgen Fitschen beginnt dort nun mit dem neuen Co-Chef John Cryan die Erneuerung von außen. Das allein wird die Bank nicht aus der Problemzone bringen, aber es ist ein vielversprechender Anfang. Ein Unternehmen, das auf den Chef von außen setzt und auf ein unbelastetes Management, das Wert legt auf reibungslose Kommunikation über alle Ebenen - ein solches Unternehmen geht vor wie der FC Bayern München, dessen bekanntlich sehr selbstbewusster Trainer dennoch einen Ratgeber unters Dach der Allianz-Arena schickt. Weil man ganz weit weg halt doch den besten Blick hat.

© SZ vom 28.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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