Essay:Die Zerstörer

Die digitale Revolution erreicht die nächste Stufe: Wie wir leben, arbeiten und denken: Alles ändert sich. In Deutschland haben das viele noch nicht begriffen.

Von Marc Beise und Ulrich Schäfer

Ein Lächeln zieht über sein Gesicht, good to see you again. Vor ein paar Wochen war Travis Kalanick in München und hat erklärt, wie er die Welt verbessern will, weniger Autos, mehr Mobilität, weniger Abgase, mehr Arbeit - was halt so geht, wenn man die Menschen dazu bringt, sich über das Internet zu verbinden und Fahrdienste zu verabreden, statt selbst zu fahren. Nun steht er im Foyer der Davies Symphony Hall von San Francisco, gerade hat er einen "Tech Crunch Award" erhalten, einen der jährlich verliehenen Oscars der Digital-Community. Die Branche hat ihn zum Vorstandschef des Jahres gewählt. Ausgerechnet ihn, den radikalen Zerstörer. Das Großmaul. Den Mann von Uber, den Gesetze nicht wirklich interessieren. Das sagt viel aus über die Tech-Industrie, ihr Denken, ihren momentanen Zustand.

Kompromisslose Unternehmer wie den Uber-Gründer gibt es viele im Großraum San Francisco, sowohl in der Stadt selbst, die vor neuem Wohlstand fast platzt, als auch nach Süden raus in dieser dicht besiedelten Ebene, die als Silicon Valley weltberühmt geworden ist. Kalanick, der Junge aus Kalifornien, noch nicht 40 Jahre alt, mit einem geschätzten Vermögen von fünf Milliarden Dollar oder mehr, womit er auf der Liste der Top 100 der reichsten US-Amerikaner wäre, steht für das Valley - in all seiner Faszination, aber auch seinen Widersprüchen. Er hat weltweit Taxifahrer und Kommunen das Fürchten gelehrt und ist vor allem in ordnungsliebenden Gesellschaften wie Deutschland hoch umstritten, weil man über die Uber-App schnell ein Taxi bestellen kann, das aber kein Taxi ist, sondern ein Privatmensch mit Privatauto.

Uber ist der derzeit öffentlichkeitswirksamste Teil einer neuen Ökonomie, in der alles, wirklich alles miteinander vernetzt wird: das Smartphone mit dem Auto, mit dem Haus oder mit dem Kühlschrank, die Maschine mit der Maschine, die eine Fabrik mit der anderen - und der Mensch mit allem: mit seiner digitalen Uhr, dem Fitnessarmband, mit all seinen Freunden, die ständig wissen können, wo man sich gerade aufhält und was man macht. Im Silicon Valley nennen sie diese Welt des überall verfügbaren Netzes, in dem Geräte und Maschinen ständig miteinander kommunizieren und Daten austauschen, kurz und prägnant: Internet der Dinge. Oder auch: "Internet of everything" - das Internet für alles. In Deutschland hat man einen eigenen Begriff erfunden, man redet von der Industrie 4.0, was aber nicht treffend ist, weil es ja nicht bloß darum geht, Maschinen und Fabriken zu vernetzen - sondern unser ganzes Leben, unser ganzes Sein.

Mitmachen im Internet der Dinge sollen alle, das ist die Bedingung, denn dadurch potenzieren sich die Potenziale - aber jemand muss die Basis schaffen, die "Plattformen" bauen, auf denen die User sich tummeln. Je mehr mitmachen, desto erfolgreicher ist der, der die Plattform administriert. Google ist so groß geworden, Facebook, viele andere. Ökonomen alter Schule sprechen von Skaleneffekten: selber Einsatz, immer mehr Nutzer, dann ist das eine Lizenz zum Gelddrucken.

Man muss freilich die eine, die zündende Idee haben. Kalanick hatte sie, als er sich mal wieder über Taxifahrer ärgerte. Er beschloss, sie aus dem Markt zu fegen. Heute würde er das so nicht mehr bestätigen, er weiß um sein Image als Rambo des Silicon Valley, aber er ist auch noch nicht so glattgeschliffen wie andere hier. Mit Kalanick ist es wie mit einer Urlaubsregion, die man noch fast unberührt kennenlernt, ehe sie dem Massentourismus anheimfällt. Man muss sie früh erkunden, um sie "echt" zu erleben. Kalanick ist noch echt, gerade noch so. Man spürt diesen unbändigen Willen, der Beste zu sein, ein Geschäftsmodell zu erfinden, das ein anderes zerstört.

Essay: Illustration: Stefan Dimitrov

Illustration: Stefan Dimitrov

Im Valley haben sie dafür ein Wort; kein Gespräch, wirklich keines, in dem es nicht fällt: Disruption. Den Gedanken dahinter, dass in der Wirtschaft Altes durch Neues verdrängt wird, kennt man von Joseph Schumpeters "schöpferischer Zerstörung". Aber der Wandel, den der Ökonom vor gut hundert Jahren beschrieben hat, war noch allmählich, da wuchsen und zerfielen Firmen über Jahrzehnte, jetzt geht alles ganz schnell, manchmal innerhalb von ein paar Monaten. Disruption bedeutet: Alles, wirklich alles ändert sich, und zwar rasend schnell. Disruption bedeutet: Der bisherige Faden reißt und es wird ein anderer, besserer gesponnen. Das alte Geschäftsmodell verschwindet in einer Branche nach der anderen und wird durch ein neues ersetzt. Das Hotel durch die Ferienwohnung bei AirBnB, der Mittelständler durch die App, die Bank durch das Fintech-Unternehmen.

Früher galt: Ich will mitspielen. Heute gilt: Ich spiele - und kicke den anderen raus

Bei Schumpeter war das Ganze eine Beobachtung, die Akteure selbst machten sich über "Zerstörung" keine Gedanken, sie wollten "schöpfen". Sie waren ins Gelingen verliebt, waren Erfinder, Schumpeter schrieb von der "Freude am Gestalten". Bei Kalanick und den Seinen ist die Stoßrichtung schärfer. Es geht nicht nur darum, besser zu sein als andere, eine Idee zu haben, ins Gelingen verliebt zu sein, sondern es geht darum, eben disruptiv zu sein, etwas anderes zu zerstören. Nicht: Ich will mitspielen. Sondern: Ich spiele und kicke den anderen raus. Beim Wollen bleibt es nicht: Für den Zweiten und Dritten ist am Markt oft kein Platz mehr.

Kalanick hatte das noch drauf, als er schon groß und bekannt war und das ist sein Fehler, er sprach von dem Arschloch namens Taxi, das er fertigmachen werde - eine Attitüde, die seinen Ruf prägt und den Geschäften schadet. Heute hat er einen ehemaligen Obama-Pressemann als Berater, der spült ihn weich. Wenn man aber reinfährt ins Valley, trifft man noch viele, die disruptiv sein wollen und das auch sagen.

Ortstermin im Computermuseum in Mountain View, Google ist gleich um die Ecke, aber auch das Forschungslabor von BMW. Beim D-Day, dem Demo-Day, werben Gründer, deren Geschäft schon läuft, um die nächsten Finanziers, die nicht nur das erste große Geld geben, das hatten sie schon, sondern die nächste Dimension, damit man das Geschäft ganz groß aufziehen kann. Sie präsentieren sich auf der Bühne und stellen ihr Produkt vor. Aber eigentlich sagen sie: Ich bin der Gründer, der CEO, das sind meine Zahlen, und ich bin besser als alle anderen - folgt mir.

Anything goes. Es ist manchmal ein Allmachtsdenken zu spüren hier, das einen frösteln lassen kann. Das Silicon Valley muss man erlebt haben. Die Zerstörer aus dem Internet der Dinge leben, um zu arbeiten, verschreiben sich ganz ihren Firmen, die Finanziers sitzen gleich nebenan, alles geht Hand in Hand. Was in Palo Alto, dem Städtchen, wo Hewlett und Packard den ersten Automaten bauten und wo Steve Jobs bis zu seinem Tod lebte, begonnen hat, geht jetzt hoch bis San Francisco. Und es ist kein Zufall, dass es einige hier gibt, die ihren eigenen Staat gründen wollen vor der Küste, um außerhalb der bestehenden Gesetze arbeiten zu können.

Das Silicon Valley ist mit Konsumprodukten groß geworden, mit Handys, dem Internet, Suchmaschinen, Online-Shops, mit Dienstleistungen für Verbraucher. Das war spannend, in gewisser Hinsicht auch revolutionär. Aber: Es war nur ein Anfang. Nun aber basteln sie am nächsten großen Ding, dem Internet der Dinge, das unser ganzes Leben verknüpfen wird - und sich nicht bloß an den Konsumenten, sondern auch an alle Unternehmen richtet. Wenn künftig Maschinen und Geräte unentwegt miteinander kommunizieren, wenn sie riesige Datenmengen austauschen, abgleichen, überprüfen und daraus selbständig lernen, verändert dies alles: wie wir leben, arbeiten, wirtschaften und denken. Es hebt die Wirtschaft auf eine andere Stufe, sie wird schneller, produktiver, effizienter. Aber es bedeutet auch: Der arbeitende Mensch wird in vielen Fällen überflüssig.

Drei Thesen

Alles wird schneller: Die Digitalisierung verändert sämtliche Geschäftsmodelle

Alles wird brutaler: Die künstliche Intelligenz macht den Menschen oft überflüssig

Alles wird vernetzt: Die Maschinen reden ständig miteinander - und lernen dazu

In dieser neuen, von intelligenten Maschinen beherrschten Welt kommunizieren Smartphones und Sensoren, Server und winzige Chips, Bewegungsmelder und Ortungsdienste ständig miteinander. Da weiß der Hochleistungsrechner, wann in einem kilometerlangen Tunnel oder einem Hochhaus welches Bauteil der Belüftungsanlage bald defekt sein wird und deshalb ausgetauscht werden sollte. Und es lassen sich aus vielen Tausend Kilometern Entfernung ganze Fabriken warten und die Verkehrsströme steuern. In dieser voll vernetzten Welt springt die Heizung rechtzeitig an, wenn man sich mit dem Auto seinem Haus nähert; der leere Kühlschrank meldet, dass man unterwegs noch schnell eine Pizza oder ein Bier einkaufen sollte; die Freunde können auf der App verfolgen, dass man in exakt sieben Minuten da sein wird.

In dieser Welt der künstlichen Intelligenz kann man sich auch eine Baustelle vorstellen, wie sie die Software-Entwickler von Autodesk in San Francisco beschreiben: Der Bauplan ist komplett digitalisiert; alle Materialien werden von der Software voll automatisch und just-in-time bestellt - oder in einem riesigen 3-D-Drucker direkt auf der Baustelle gefertigt: pass- und minutengenau. Das übliche Baustellen-Chaos verschwindet, die Bauzeit verringert sich dramatisch und die Zahl der Bauarbeiter natürlich auch.

Die Zerstörer im Silicon Valley haben viele solcher Visionen. Auch das selbstfahrende Auto, gesteuert von Sensoren und riesigen Datenmengen, zählt dazu, am besten natürlich das Elektroauto, das sich an einer dezentralen Ladestation aus dem Smart-Grid, dem intelligenten Stromnetz, speist oder Strom abgibt, wenn anderswo der Verbrauch hoch ist.

Das selbstfahrende Auto bildet in unserer mobilen Gesellschaft vielleicht die höchste Stufe der digitalen Vernetzung, auch deshalb arbeiten sie bei Google, Apple und Tesla so verbissen daran. Was wird, wenn auch diese Vision Realität wird? Was, wenn künftig nicht mehr der Uber-Fahrer oder der Paketbote des Online-Lieferdienstes kommt? Sondern eine vollautomatisches, führerloses Gefährt? Dann hätten die Zerstörer auch einen Teil jener Jobs zerstört, die sie neu geschaffen haben. Und am Ende hätten viele Zerstörer sich selbst vielleicht überflüssig gemacht.

Und so bleibt als Erkenntnis vor allem eines: Die Welt, in der wir leben und arbeiten, wird künftig sehr anders sein. Faszinierend anders. Und beängstigend anders.

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