Russland:Frühlingsgefühle

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Der Verfall des Rubels treibt die einen in die Pleite, für andere bedeutet er die Rettung.

Von Julian Hans, Moskau

Die ersten Opfer waren die Reiseveranstalter. Kaum hatte der Rubel im Herbst seinen Sinkflug begonnen, meldete einer nach dem anderen Insolvenz an. Durch den Kursverlust gegenüber Dollar und Euro waren Reisen ins Ausland teilweise doppelt so teuer geworden. Dafür sind jetzt im Frühling die Baumärkte voll. Statt nach Ägypten oder in die Türkei, reisen einige Russen auf die Krim, die meisten aber bleiben zu Hause und investieren das gesparte Geld in den Ausbau ihrer Datscha.

Die Halbierung des Ölpreises, der Verfall des Rubel und der Ausschluss russischer Banken von den internationalen Finanzmärkten setzen Russland zu. Zu Jahresbeginn brach die Konjunktur ein. In den ersten drei Monaten fiel das Bruttoinlandsprodukt um 1,9 Prozent, teilte das Statistikamt mit. Noch Ende 2014 hatte das BIP um 0,4 Prozent zugelegt. Um die Wirtschaft zu stützen, hat Zentralbankchefin Elwira Nabiullina Ende April zum dritten Mal in diesem Jahr den Leitzins gesenkt auf nun 12,5 Prozent. Gerade hatte das Wirtschaftsministerium die Jahresprognose für die Entwicklung des BIP von minus drei auf 2,8 Prozent korrigiert, da musste man eingestehen, dass der Rückgang im März stärker ausfiel als angenommen - um 3,4 Prozent im Vergleich zum Vorjahresmonat und um ein Prozent im Vergleich zum Februar.

Auch wenn manche in Moskau schon behaupten, die Krise sei überwunden - eindeutig ist die Tendenz keineswegs. Dass Politiker, Experten und Unternehmen jetzt ihre Prognosen korrigieren, bedeutet indes nicht, dass sie optimistischer ausfallen. Die Krise sei weniger tief, aber vermutlich dauerhafter, so der Tenor. Dass der Rubel seit seinem Tiefstand Ende Januar mehr als ein Drittel zulegen konnte, beruhigt zwar die Verbraucher. Aber den Unternehmen machen die Kurssprünge mehr zu schaffen als ein dauerhaft billiger Rubel.

Für die etwa 6000 deutschen Unternehmen, die auf dem russischen Markt aktiv sind, bedeutet die Krise zwar einen Dämpfer. Einer Umfrage der deutsch-russischen Außenhandelskammer (AHK) in Moskau zufolge denken aber nur fünf Prozent über einen Rückzug aus Russland nach. Die befürchtete Wende nach Asien hat nicht stattgefunden.

Der russisch-chinesische Handel ist sogar zurückgegangen. Russland bleibt der ewige Hoffnungsträger. In den kommenden fünf Jahren werde die russische Wirtschaft wohl stagnieren, prognostiziert der ehemalige Finanzminister Alexej Kudrin. Und German Gref, Chef der Sberbank und damit einer der wenigen Liberalen an der Spitze eines großen Staatsunternehmens, ergänzte: "Wenn wir nicht bald umfassende Strukturreformen durchführen, sehe ich keinen Anlass für Wirtschaftswachstum und Konkurrenzfähigkeit unseres Landes." Nicht nur den Staatshaushalt hat der schwache Rubel gerettet. Während große Staatskonzerne und Banken unter den Folgen von Sanktionen und Währungsverfall unter Druck geraten, geht es einigen kleineren und mittleren Unternehmen besser als zuvor. Davon profitieren auch westliche Zulieferer.

Zum Beispiel die Firma Lanxess, die Spezialchemie an die russische Industrie verkauft. Vor zwei Jahren ging es seinen Kunden schlecht, der Absatz stagnierte, sagt Georges Barbey, Generaldirektor von Lanxess in Moskau. Heute geht es beiden besser: "Die Rubelabwertung war für manche unserer Kunden die Rettung." Das sind zum Beispiel Firmen, die Erdöl zu Folien, Verpackungen und Kunststoffflaschen verarbeiten. Im Vergleich zu Herstellern in Südkorea, China und der Türkei seien die vorher nicht konkurrenzfähig gewesen. "Jetzt geben sie hinter vorgehaltener Hand zu, dass es ihnen gut geht", sagt Barbey. Auf die Dauer könne das sogar zu einer "Renaissance der russischen Industrie" führen, glaubt er. Doch die wird bisher von Problemen mit den Krediten gebremst.

Die meisten westlichen Manager in Russland sind sich einig, dass die politische Situation die Krise der russischen Wirtschaft zwar verschärft, dass die Ursachen aber strukturell sind - und viel älter als der Ukraine-Konflikt. Neben der Schlagseite durch den Export von Öl und Gas - sie machen zwei Drittel der russischen Ausfuhren aus - sind das hohe staatliche Kontrolle, Bürokratie und Korruption. Die Krise könnte dabei helfen, diese alten Probleme anzupacken, hofft Barbey: "In Russland ändert man nur was, wenn man dazu gezwungen ist."

Das Baugewerbe hat im März zwar einen überdurchschnittlichen Rückgang von 6,7 Prozent verzeichnet. Gleichwohl geben sich die Firmen optimistisch. Die Nachfrage bleibe hoch, sagt Karsten Richter, Finanzdirektor bei Strabag in Moskau. Zu den Aktionären des Baukonzerns gehört mit 25 Prozent plus einer Aktie die Beteiligungsgesellschaft Rasperia Trading des Oligarchen Oleg Deripaska. Der Rubelverfall habe dazu geführt, dass viele ihr Geld in Immobilien anlegten: "Wir bekommen derzeit sehr viele Anfragen von Projektentwicklern." Allerdings könnten derzeit nicht alle Pläne umgesetzt werden. Das Problem ist die Finanzierung: Seitdem die USA und die EU im vergangenen August Finanzsanktionen gegen wichtige russische Banken verhängt haben, können sich diese auf den internationalen Finanzmärkten kein Geld besorgen und stecken daher in einer Kreditklemme.

Dennoch stimme das Volumen der bevorstehenden Projektentwicklungen optimistisch, sagt Richter: "Wir erwarten einen Boom, wenn das Vertrauen zurückkommt." Dann komme auch das Geld zurück, das jetzt ins Ausland gebracht werde. "Immobilien in Europa bieten zwar Sicherheit, aber die Renditen sind in Moskau wesentlich höher."

© SZ vom 18.05.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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