Richtig managen:Wie der Obstbauer

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Manager müssen Komplexität reduzieren, und wenn nötig auch mal den großen Schnitt wagen.

Von Caspar Busse

Genau zehn Jahre und 19 Tage arbeitet Ulrich Spiesshofer, 51, bereits für das Schweizer Technologieunternehmen ABB. Als er 2013 zum neuen Vorstandsvorsitzenden ernannt wurde, rief er seine Mutter an. Die gratulierte ihm natürlich, fragte aber dann, was das Unternehmen eigentlich genau mache. Die Antwort fiel lang aus, und Spiesshofer ließ deshalb gleich nach Amtsantritt eine Folie entwickeln, die heute intern nur das Mama-Spiesshofer-Chart heißt, und die den Kern von ABB in aller Kürze zusammenfassen soll - mit den Schlagworten Identität, Richtung, Momentum.

Unternehmen müssen sich immer wieder neu erfinden, die Komplexität reduzieren, um erfolgreich zu bleiben. Darin sind sich viele Experten einig. "Ein Unternehmensführer muss mit dem Unternehmen umgehen wie ein Obstbauer mit dem Apfelbaum", sagt dazu Spiesshofer, der in Aalen im Osten von Baden-Württemberg geboren wurde: "Er muss auch manchmal etwas abschneiden, um dann die größten Äpfel zu ernten." Ab und an also einen Schnitt machen, auch wenn der schmerzhaft sein sollte. Prozesse reduzieren, das hat er auch bei ABB gemacht, als er die Führung übernommen hat. Es gibt auch radikalere Beispiele: Siemens trennte sich vor zwei Jahren von der Lichtfirma Osram, und die verkauft jetzt ihr langjähriges Kerngeschäft. Oder die Deutsche Bank - auch sie baut gerade grundlegend um.

Unternehmen müssen sich stets neu erfinden: Roland Berger, Martina Koederitz, Thorsten Dirks und Ulrich Spiesshofer (von links). (Foto: Stephan Rumpf)

"Es gehört schon dazu, sich von Dingen zu trennen, die nicht mehr dazugehören", sagt auch Martina Koederitz, IBM-Deutschland-Chefin und seit 23 Jahren beim Unternehmen. Der US-Konzern ist ein gutes Beispiel, hat er sich in den vergangenen Jahren doch immer wieder grundlegend geändert. Die PC-Sparte ging schon vor Langem an eine chinesische Firma. Heute konzentriert sich Big-Blue, wie IBM genannt wird, mehr auf Soft- statt auf Hardware und ringt um die neue Strategie. Dass das nicht so leicht ist, räumt Koederitz ein: "Ein Tanker ist nicht über Nacht in ein Speedboot zu verwandeln."

Thorsten Dirks, der Chef des Mobilfunkunternehmens Telefónica Deutschland, sieht das genauso: "Ich muss Ballast abwerfen, sonst steigt der Ballon nicht." Krisen müssen dazu nicht immer notwendig sein. Dirks selbst hat gerade eine ganz besondere Aufgabe zu lösen, denn die beiden Mobilfunkunternehmen O2 und E-Plus werden derzeit unter der Leitung von Telefónica zusammengeführt. Nach der Zahl der Kunden gerechnet liegt das neue Unternehmen sogar vor den beiden bisherigen Marktführern Telekom und Vodafone. O2 und E-Plus - das waren viele Jahre harte Konkurrenten, die sich gegenseitig unterboten und um jeden Kunden gekämpft haben. Und jetzt sollen sie einen schlagkräftigen Konzern bilden.

Roland Berger, der erst eine Wäscherei betrieb und dann von 1967 an Deutschlands bekannteste Unternehmensberatung aufbaute ("Ich bin ein ergrautes Start-up"), mahnt, dass nicht nur das Portfolio laufend optimiert werden solle, sondern auch immer wieder die internen Strukturen vereinfacht werden müssen. Sein Rat an Manager und Unternehmer: "Sie müssen Ihre ganze Truppe zu einer lernenden Mannschaft machen."

Richtige Führung in einer immer komplexer werdenden Welt - das Thema ist gerade seit dem Abgas-Skandal bei Volkswagen aktueller denn je. Dass die Affäre solche Ausmaße angenommen hat, ist nämlich auch auf das Führungssystem und die große Komplexität im Wolfsburger Riesenreich mit seinen etwa 600 000 Mitarbeitern zurückzuführen. Der VW-Konzern galt als zunehmend unregierbar, unter der langjährigen Führung von Martin Winterkorn gab es offenbar ein Klima der Angst, eine starre Hierarchie. "Zu strikte Hierarchien und eine Tendenz zum Größenwahn erzeugen ein autoritäres System", analysierte vor einigen Wochen der Münchner Psychologieprofessor Dieter Frey.

Genau das sollten Unternehmer vermeiden. Post-Chef Frank Appel sagte beispielsweise vor einigen Wochen im SZ-Interview, Unternehmen müssten über Vertrauen geführt werden, um die maximale Leistung der Mitarbeiter zu erhalten. "Wenn man Vertrauen geschenkt bekommt, schüttet man Glückshormone aus, ähnlich wie beim Verlieben", glaubt der promovierte Neurobiologe.

Dabei, darin war sich die Diskussionsrunde im Adlon einig, komme es auf die neuen digitalen Möglichkeiten, aber auch auf Kommunikation an. "Sie müssen darauf achten, dass sich die Menschen persönlich kennenlernen, sonst entsteht keine Unternehmenskultur", sagt Roland Berger. Auch Telefonmanager Dirks, dessen Geschäft freilich die Kommunikation ist, mahnt: "Wir müssen wieder mehr miteinander kommunizieren." IBM-Managerin Koederitz etwa vermeidet, wenn es geht, E-Mails und bloggt stattdessen oder sie telefoniert gleich. ABB-Mann Spiesshofer hat dazu noch einen Rat seiner Großmutter parat: "Du hast zwei Ohren und einen Mund, verteile deine Zeit entsprechend."

© SZ vom 21.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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