Randale der Pharma-Gegner:Im Namen der Tiere

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Besetzungen in Deutschland, Brandstiftung in Österreich, Grabschändung in der Schweiz: Militante Aktivisten attackieren in den vergangenen Monaten vermehrt die Pharmakonzerne.

Kristina Läsker

So schnell geben sie nicht auf: In der Nacht zum Sonntag kletterten die Tierschützer über den neu aufgestellten Bauzaun. Zurück auf das überwucherte Gelände, wo der Pharmakonzern Boehringer Ingelheim gegen erbitterten Widerstand ein Versuchslabor für 1000 Schweine errichten will. Wieder kam die Polizei: Mit 80 teils vermummten Beamten räumte sie das Gelände in Hannover, holte 16 junge Besetzer von den Dächern verfallener Gartenlauben und von einer Eiche und leitete Strafverfahren wegen Hausfriedensbruch ein.

Tierschützer kämpfen gegen Pharmaunternehmen und deren Versuche. (Foto: Foto: dpa)

Es war schon das zweite Mal. Den kompletten Juli lang hatten die Tierschützer auf dem unübersichtlichen Gelände illegal campiert, um Boehringers geplante Tierversuche anzuprangern. Dann kam die Polizei. Um 33 Besetzer wegzutragen, rückte sie mit Pferden und mehr als 500 Beamten an: Großaufgebot wäre wohl das richtige Wort dafür.

Schwere Attacke gegen Novartis-Chef

Wer sich fragt, warum die deutsche Polizei bei ein paar Besetzern so hart durchgreift, sollte einen Blick ins Nachbarland werfen. In der Schweiz häufen sich die Anschläge gegen den dortigen Pharmakonzern Novartis, und viele Ermittler vermuten militante Tierschutzaktivisten dahinter.

Anfang August attackierten Unbekannte Novartis-Chef Daniel Vasella. In Chur schändeten sie die Gräber seiner Eltern, rammten rot beschmierte Holzkreuze mit dem Namen Vasellas und dem seiner Frau in die Erde und stahlen die Urne von Vasellas 2001 verstorbener Mutter. Und sie besprayten die Grabsteine in schreiendem Rot: "Drop HLS now" - "Lass HLS fallen." Den gleichen Slogan hatte jemand ein paar Tage zuvor in Vasellas Wohnort Risch an die Kirche St.Verena geschmiert.

Das größte Versuchslabor in Europa

HLS steht für Huntingdon Life Sciences. Der britische Dienstleister ist das größte Tierversuchslabor in Europa. Ob Mäuse, Ratten, Affen oder Hunde: Im Auftrag vieler Arzneimittelhersteller führen HLS-Mitarbeiter umfangreiche Versuche mit Tieren durch, sie verabreichen ihnen testweise Medikamente. HLS ist der erklärte Feind von mindestens drei Aktivistengruppen: Stop Huntingdon Animal Cruelty (SHAC, zu deutsch: Stoppt die Grausamkeit gegen Tiere durch Huntingdon), Animal Liberation Front (ALF, Tierbefreiungsfront) und Militant Forces against Huntingdon Life Sciences (MFAH, Militante Kräfte gegen HLS). Die Wurzeln der Gruppen liegen in Großbritannien.

Auf einer Internetseite namens Bite Back tauchte zuletzt ein Bekennerschreiben von MFAH auf: Der Diebstahl der Urne sei ein Gruß zu Vasellas 56. Geburtstag, schreiben die Verfasser. "Wenn Du nicht schnell genug handelst, kippen wir sie in die nächste Toilette." Eine Woche später folgte ein Brandanschlag: Im sonst so friedlichen Lechtal in Österreich übergossen Unbekannte das Jagdhaus von Vasella mit 60 Litern Benzin und fackelten es ab. Niemand kam zu Schaden, aber US-Aktivisten von ALF kommentierten die Brandstiftung auf ihrer Internetseite höhnisch: "Wir persönlich bedauern es, dass Herr Vasella nicht zuhause war, als das Heim brannte."

Bei Novartis in Basel nehmen sie solche Worte ernst und sprechen von einer Eskalation. "Angriffe auf Mitarbeiter erleben wir schon seit Jahren. Doch seit Novartis von SHAC als oberstes Ziel eingestuft wurde, haben sich die Attacken verschärft", sagt Vasella. So bekam Forschungsleiter Paul Herrling Pistolenkugeln geschickt. Verwaltungsratsmitglied Ulrich Lehner wurde ein Sprengstoffanschlag angedroht. Leitenden Angestellten sei Säure über das Auto gekippt worden, Molotow-Cocktails wurden unter Reifen gelegt, es gab Einbrüche.

Beim Pharmakonzern Novartis gibt es seit Jahren Angriffe auf Mitarbeiter. (Foto: Foto: AFP)

Mehr als 70.0000 Tiere sind im vergangenen Jahr bei Arzneimitteltests des Konzerns gestorben, neun Prozent weniger als im Vorjahr. Und schon seit "vielen Jahren" arbeite Novartis nicht mehr mit Huntingdon Life Sciences zusammen, beteuert ein Sprecher. Trotzdem bleibt die Firma ein Feindbild für die Aktivisten.

Selbst der Schweizer Staatsschutz ist alarmiert: "Wir stellen für 2009 eine Zunahme der Fälle fest", sagte Jürg Bühler, Interims-Direktor des Dienstes für Analyse und Prävention, zuletzt in einem Interview. Bühlers Organisation, der Inlandsnachrichtendienst, vermutet "lose Zusammenschlüsse von Aktivisten" hinter den Anschlägen. Bühler schätzt die militanten Gruppen als "gefährlich" ein.

Deutsche Firmen halten sich bedeckt

In Deutschland sind solche Töne nicht zu hören. Auch nicht aus der Tierschutzszene. "Ich kann nicht bestätigen, dass es eine Radikalisierung von Tierschützern in Deutschland gibt", sagt Thomas Schröder, Chef des Deutschen Tierschutzbundes in Bonn. Diese Vereinigung der Tierschützer, sie ist die größte in Europa, lehnt Gewalt strikt ab; Schröder verurteilt die Übergriffe: "Für den Tierschutz sind solche Aktivitäten schädlich."

Wer nachfragt, ob auch deutsche Pharmafirmen betroffen sind, erntet vor allem Schweigen. Nur manchmal gelangt ein Fall wie dieser in die Presse: Ein Unbekannter hatte einem leitenden Angestellten von Bayer einen Stein ins Fenster geworfen, das Innenministerium vermutete militante Tierschützer. Auf einschlägigen Internetseiten wird dagegen viel behauptet: Detailliert ist aufgeführt, wie Aktivisten die Autoreifen von Bayer-Mitarbeitern durchstechen und deren Porsches mit Farbe übersprühen. Bayer möchte sich dazu nicht äußern, sagt ein Sprecher: "Aus Sicherheitsgründen."

Auch in Hannover hat es einen Farbanschlag gegeben. Unbekannte hatten "Tiermörder" an das Haus von Oberbürgermeister Stephan Weil (SPD) geschmiert. Als die Polizei später Farbtöpfe und ein Depot mit Steinen auf dem Baugelände entdeckte, griff sie durch und räumte das Gelände zum ersten Mal. Obwohl die Besetzer beteuerten, mit den Steinen nichts Böses vorgehabt zu haben: "Die waren für einen Backofen."

© SZ vom 26.08.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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