Projekt "Freiräume":Versicherer drängen in die Zeitungsbranche

Genug von negativen Schlagzeilen: Die deutschen Versicherer wollen selber Tageszeitungen mit Texten beliefern - und bauen sich dafür eine eigene kleine Nachrichtenfabrik. Experten sehen den Schritt mit großer Skepsis.

Von Herbert Fromme, Köln

Als Bundeskanzler war Konrad Adenauer bekannt für seine notorische Unzufriedenheit mit der kritischen Berichterstattung in Presse, Funk und Fernsehen. "Der Rundfunk möge auch über das Positive berichten", sagte er und gründete 1958 die "Freies Fernsehen GmbH", die einen von der Regierung kontrollierten Fernsehkanal einrichten sollte. Das Bundesverfassungsgericht stoppte ihn schließlich.

Unzufrieden mit den Medien sind heute auch die Versicherer - und wollen offenbar künftig die Agenda in der Berichterstattung selbst bestimmen. "Empörungsjournalismus und mediale Skandalisierung nehmen zu und treffen unsere Branche ganz massiv", beschweren sich Jörg Freiherr Frank von Fürstenwerth und Christoph Hardt in einem internen Dokument des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV). Von Fürstenwerth ist Hauptgeschäftsführer des GDV, Hardt verantwortet als Geschäftsführer die Kommunikation.

Die Branche fühlt sich eingeschnürt

Die Branche ist deutlich verärgert. In den vergangenen drei Jahren gab es eine Skandalgeschichte nach der anderen - Rotlichtreise nach Budapest, Umdeckungen in für Kunden ungünstigere Verträge, Provisionsexzesse, Adressenhandel im öffentlichen Dienst, Falschberatungen. Nicht alle Vorgänge waren wirklich skandalös, aber es bleibt genug übrig, um das ohnehin schlechte Image weiter in den Keller zu treiben. Hohe Provisionen und niedrige Zinsen in der Lebensversicherung sorgen ebenfalls für ein negatives mediales Echo - das in der gerade abgeschlossenen Gesetzgebung zur Reform der Lebensversicherung eine große Rolle spielte.

Die Branche fühlt sich eingeschnürt. Jetzt soll das Projekt "Freiräume" helfen. "Wir wollen raus aus der Defensive und Freiräume schaffen, für ein aktives Themenmanagement und 'gute' Geschichten aus unserer Branche", schreiben von Fürstenwerth und Hardt.

Dafür investiert der Verband kräftig. Immerhin 26 Mitarbeiter hat die Kommunikationsabteilung künftig. Wirtschaftsredaktionen deutscher Regionalzeitungen haben selten mehr als zehn Redakteure und werden weiter ausgedünnt. Die GDV-Abteilung besteht künftig aus einem Bereich "Newsdesk" und einer Abteilung "Content", also Nachrichtenzentrale und Inhalte. Mit Millionenaufwand baut der GDV eine ganze Etage in seinem Gebäude in der Berliner Wilhelmsstraße dafür um.

Frisch eingestellt als Newsdesk-Chef wurde Jörn Paterak, einst bei der 2012 geschlossenen Financial Times Deutschland (FTD). Das "Team Reporter" wird von Karsten Röbisch geleitet, ebenfalls früher bei der FTD. Geschäftsführer Hardt kommt von Siemens, davor war er beim Handelsblatt. "Wir werden schneller und setzen selbst aktiv Themen", verspricht der GDV. Der Verband erreiche künftig auch neue Journalisten und Medien - Blogger oder Newsletter-Autoren. Dafür will der "Newsdesk" auf allen Kanälen senden: Presse, Twitter, soziale Netze und Youtube.

"Die Medien rüsten ab"

Der Mainzer Journalismus-Professor Volker Wolff sieht die Entwicklung mit großer Skepsis. "Diese Berichterstattung, die Unternehmen und Verbände selbst liefern, ist für die Öffentlichkeit schwer einzuschätzen", sagt er. Sie brauche unabhängige Journalisten, die prüfen müssten, was richtig oder falsch ist und welche Behauptungen eventuell geschönt sind. "Wir haben eine ungute Entwicklung. Die Unternehmen und Verbände rüsten auf, die Medien rüsten ab", sagt Wolff. Gesetzgeber und Bundesverfassungsgericht hätten den Journalisten aber eine öffentliche Aufgabe gegeben. "Kritik zu üben ist ein wesentlicher Bestandteil dieser Aufgabe."

"Wenn die Versicherer sich über Skandaljournalismus aufregen, ist das nicht nachvollziehbar", sagt Wolff. "Schließlich gab es diese Vorgänge wirklich. Es waren keine Journalisten, die sich in Budapest vergnügten." Klare Worte - dabei ist Wolff alles andere als ein Gegner der Versicherungen. Von 1997 bis 2012 war er ehrenamtlich in der Mitgliedervertretung des Versicherers HUK-Coburg tätig. Zur GDV-Aktion sagt er: "Das ist eine große Herausforderung für die Medien, und man kann nur hoffen, dass es genügend Journalisten gibt, die gegenhalten können."

Die Uneinigkeit der Versicherer spielt wohl eine große Rolle

GDV-Mann Hardt kann die Kritik nicht nachvollziehen. "Die Versicherungsbranche steht wie andere Branchen auch vor großen Herausforderungen", sagt er. "Da sind die 20- bis 40-jährigen, die wir nicht erreichen, und bei denen die Altersarmut programmiert ist, weil sie nicht privat vorsorgen."

Genau diese Gruppe wolle der GDV ansprechen. "Bei den Zeitungen und anderen Medien gibt es starken redaktionellen Bedarf für Ideen und für Inhalte." Da könnten positive Geschichten über die Branche und über spannende Menschen helfen. "Wir sind keine Propagandisten", wehrt sich Hardt. "Es gibt aber Veränderungsbedarf, auch bei den Versicherern."

Ob der GDV Erfolg hat mit dem Versuch, künftig die Debatte über Versicherungsthemen zu dominieren, hängt nicht nur von der Arbeit unabhängiger Journalisten ab. Auch die Uneinigkeit der Branche in zentralen Fragen wird eine große Rolle spielen. Marktriese Allianz hat ganz andere Interessen als die kleine Gartenbauversicherung - sie eint nur die Ablehnung negativer Berichterstattung und die Opposition zu schärferer Regulierung. Ob die "guten Geschichten", die Hardt verspricht, bei allen Versicherern auf Gegenliebe stoßen oder intern schon bald zur Zwist führen, wird sich schnell zeigen.

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