Produktentwicklung:Das Schöne am Kapitalismus

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Illustrationen: Stefan Dimitrov (Foto: Stefan Dimitrov/SZ)

Egal, ob Glühbirne, Walkman oder Polaroid: Immer wieder verschwinden technische Errungenschaften - und mit ihnen ganze Unternehmen. Warum wir uns trotzdem keine Sorgen machen müssen.

Von Alexander Mühlauer

Es ist 1994, Steve Jobs trägt Seitenscheitel, Vollbart und ein viel zu weites Jeanshemd; er hat es bis ganz oben zugeknöpft. Jobs, der Apple-Gründer, der Visionär, ist zu einer Konferenz im Silicon Valley gekommen, um über das zu reden, was am Ende bleibt.

Große Frage, denn es gibt nicht viel, was wirklich bleibt. Oder, mal anders gefragt: Gibt es das überhaupt und falls ja, was wäre das?

Steve Jobs sagt: "In wenigen Jahren wird all meine Arbeit vergänglich sein." Er baue ja keine Kirchen, die über Jahrhunderte bewundert werden. Die Produkte, die er entwickle, seien anders, sagt Jobs. In zehn Jahren werde niemand mehr einen Apple 2 - so hieß damals das aktuelle Modell - benutzen oder auch nur benutzen können, weil der technische Fortschritt einfach zu schnell sei. Das Zeitalter der digitalen Wirtschaft sei nicht mit der Renaissance und der Nachhaltigkeit der damaligen Entwicklungen zu vergleichen, so Jobs 1994.

Produkte der Vergangenheit
:Untergegangene Riesen

Vom Kodak-Film bis zur gelben Telefonzelle: Diese Erfindungen waren einst nicht aus unserem Alltag wegzudenken - bis die Zukunft sie einholte.

Nichts und niemand ist unsterblich

Nun, 20 Jahre später, kann man sagen: Steve Jobs hat mit seinen Ideen den Alltag, vielleicht sogar das Leben der Menschen verändert. Es gibt nicht viele Unternehmer, die das erreicht haben. Jobs hatte früh erkannt, dass sein unternehmerisches Dasein nichts anderes war als der Kampf gegen die eigene Vergänglichkeit.

In der Welt der Superstars, zu der Steve Jobs zweifellos zählte, ist es so: Nur der Tod macht unsterblich. In der Welt der Ökonomie ist es anders: Nichts und niemand ist unsterblich. Es gibt keine Firma, keine Branche, die nicht vom Untergang bedroht ist. Das liegt ganz einfach daran, dass der Kapitalismus das hervorbringt, was die Wirtschaft braucht: ständige Erneuerung. Technische Errungenschaften werden durch andere verdrängt, sie verschwinden - und mit ihnen rutschen manchmal ganze Unternehmen in die Krise.

Kodak ist so ein Fall: Polaroid ist passé, der Analogfilm sowieso. Oder der Computerhersteller IBM, einst "Big Blue" genannt: Er hat seine marktbeherrschende Stellung längst verloren. Auch andere mussten sich etwas Neues einfallen lassen, mussten umdenken, wie etwa der Elektronikkonzern Sony - die Japaner hatten sich zu lange auf dem Erfolg ihres (Kassetten-) Walkmans ausgeruht. Und zurzeit strauchelt der Leuchtenhersteller Osram, weil die Glühbirne bald der Vergangenheit angehören wird (siehe Bildergalerie).

Der Erfinder der Glühlampe, Thomas Alva Edison, definierte einmal die wichtigste Eigenschaft eines Innovators: Er müsse "hören und sehen können, was die Leute brauchen".

Fotopionier Kodak ist pleite
:Mama, nimm mir meinen Kodachrome nicht weg

Es war eine der besten Adressen der US-Industrie, über Jahrzehnte hat Kodak die Fotografie geprägt. Der Musiker Paul Simon hatte gar dem berühmten Kodachrome-Film ein Lied gewidmet. Nun ist alles vorbei - der Konzern ist insolvent. Ein Rückblick auf die guten Jahre. In Bildern.

Was es braucht, ist jene Kraft der "schöpferischen Zerstörung", die der Nationalökonom Joseph Schumpeter beschrieben hat. Der Kapitalismus, notierte er im Jahr 1942, unterliege dem "Prozess der industriellen Mutation", der "unaufhörlich die Wirtschaftsstruktur von innen heraus revolutioniert, unaufhörlich die alte Struktur zerstört und unaufhörlich eine neue schafft". Schumpeter lehrte damals in Harvard und wusste, wovon er sprach. Nach dem Ersten Weltkrieg war er Österreichs Finanzminister, er war Bankier, er war bankrott. Schumpeter erlebte am eigenen Leib, was Wirtschaftskrise bedeutet.

Wette auf die Zukunft

Die Krise, oder besser: das Scheitern gehört zum Kapitalismus wie der Papst zur katholischen Kirche. Ohne die Möglichkeit des Scheiterns gäbe es keine Unternehmer. Denn jede Investition ist eine Wette auf die Zukunft. Man vertraut darauf, dass sich etwas verkaufen wird, weil es gut wird. Man vertraut darauf, dass es sich eines Tages rechnet. Genau dieses Vertrauen braucht eine starke Wirtschaft, ohne Vertrauen gäbe es überhaupt keine starke Wirtschaft. Ohne Vertrauen gibt es: nichts.

Blickt man in die Wirtschaftsgeschichte, sieht man große Namen, die irgendwann gescheitert sind. Grundig und Braun in Deutschland, die Fluggesellschaft Pan Am in Amerika. Am schlimmsten getroffen hat es immer die Arbeitnehmer, doch am Ende sind die Unternehmen stets durch andere ersetzt worden. Und genau das macht Hoffnung. Es stärkt das Vertrauen, das jeder Unternehmer braucht, um die nächste Wette einzugehen.

Große Namen, große Unternehmer, die in ihrer Zeit etwas geschaffen haben, das die Nachwelt nicht so schnell vergessen wird. Und man sieht sie ja noch hin und wieder in den Wohnzimmern, die wunderbaren Braun-Schallplattenspieler. Oder eine Reisetasche mit dem unvergesslichen Pan-Am-Logo. Man sieht Polaroid-Optiken, die jetzt eben mit einer Smartphone-App geschossen werden.

Wer nun sagt, so ein digitales Polaroid-Bild sei nicht das Gleiche wie ein echtes Polaroid, hat natürlich recht. Und einen Bandsalat bekommt man mit einem MP3-File halt auch nicht geliefert. Und ja, die Tonqualität einer Schallplatte ist viel besser als die einer CD. Alles richtig, gerne darf man den schönen alten Dingen nachtrauern. Diese Nostalgie ist für viele eine Form des Eskapismus aus einer vermeintlich harten, unsentimentalen Realität.

Doch das wirklich Schöne am Kapitalismus ist, dass wieder etwas Neues entstehen wird. Und es ist zunächst gleichgültig, welche Emotionen im Spiel sind. Am Anfang ist eine Idee - und wenn diese bereits Bestehendes angreift, gefährdet oder gar ersetzt, dann kann es eine gute Idee sein. Andere Ideen wiederum verschwinden - sie sind vergänglich.

Das ist nicht ungerecht, das ist nicht schlimm, das ist einfach so.

© SZ vom 21.08.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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