Pipers Welt:Unbequem sein

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Was der nächste Bundeswirtschaftsminister - oder vielleicht die nächste Ministerin - aus der wechselhaften Geschichte dieses Amtes lernen sollte und warum das Lernen heute so schwierig ist.

Von Nikolaus Piper

Wenn die Jusos mit ihrer #NoGroKo-Kampagne nicht doch noch die eigene Partei zerlegen, dann gehört das Bundeswirtschaftsministerium demnächst der CDU, zum ersten Mal seit einem halben Jahrhundert. Das ist durchaus bemerkenswert, denn es gab eine Zeit, in der hielt man es für den gottgewollten Zustand der Republik, dass die CDU über die soziale Marktwirtschaft wacht. Jetzt bekommt sie wieder die Chance, zu diesem Zustand zurückzukehren. Ehe sie das tut, sollte man vielleicht ein wenig auf die Geschichte der Institution zurückzublicken, die heute offiziell Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie (BMWi) heißt.

Trotz ihres Anspruchs hat die CDU seit Gründung der Republik nur einen einzigen Wirtschaftsminister gestellt. Er hieß Kurt Schmücker, leitete das Ressort von 1963 bis 1966 und gründete in dieser Zeit die Stiftung Warentest. Aber, werden Leser hier einwenden, da war doch - genau: Ludwig Erhard, der das Ministerium von 1949 bis 1963 formte. Die Frage ist nur: Stellte die CDU in dieser Zeit den Minister? Einerseits ja, denn Erhard saß für die CDU im Bundestag und diente der Partei als Wahllokomotive. Andererseits nein, denn Erhard war bei Amtsantritt parteilos, und es ist umstritten, ob er an diesem Zustand je etwas änderte. Der Biograf Alfred Mierzejewski behauptet zwar, Erhard sei am 24. April 1963 in die CDU eingetreten, kurz ehe er zum Bundeskanzler gewählt werden sollte. Andere Forscher bezweifeln dies. Andreas Schirmer, wissenschaftlicher Mitarbeiter bei der Ludwig-Erhard-Stiftung in Bonn, schreibt, es gebe keine Dokumente, die einen Parteieintritt Erhards belegten.

Wer die Wirtschaft gestalten will, gerät offenbar regelmäßig mit Parteifreunden in Konflikt

Dass die CDU einen Starminister, einen Kanzler und sogar Parteivorsitzenden hatte, der möglicherweise nie ein Parteibuch besessen hatte, ist nicht nur eine Skurrilität, sondern ein Hinweis auf Erhards Amtsverständnis. Er sah sich als jemand, der Ideen verwirklichte und der sich auch unbeliebt machte, indem er etwa die Wohlstandsbürger zum Maßhalten mahnte. Politik im Sinne von Parteipolitik verachtete er. Das machte ihn zu einem miserablen Bundeskanzler, aber zu einem Wirtschaftsminister von historischer Bedeutung.

Es scheint aber nicht nur an Erhards Persönlichkeit zu liegen. Wer die Wirtschaft gestalten will, gerät offenbar regelmäßig mit seinen Parteifreunden in Konflikt. Karl Schiller zum Beispiel, der Sozialdemokrat, der von 1966 an versuchte, die Lehren des John Maynard Keynes mit der ordnungspolitischen Tradition des BMWi zu versöhnen. Schiller schaffte es, das Fernsehpublikum für so merkwürdige Dinge wie die "Mifrifi", den "Eventualhaushalt" und die "Ablaufpolitik" zu begeistern. Seine Kampagne für die Aufwertung der D-Mark sorgte 1969 für den Wahlsieg der SPD und den ersten Machtwechsel der Bonner Republik. Am 2. Juli 1972 trat Schiller Knall auf Fall zurück und machte fortan zusammen mit seinem Vorvorgänger Erhard Wahlkampf gegen die SPD. Das hatte nicht nur damit zu tun, dass Schiller es nur schwer ertrug, wenn andere, zum Beispiel Helmut Schmidt, ein ebenso großes Ego hatten wie er selbst. Schiller regte sich über die Ausgabefreude seiner sozialliberalen Kabinettskollegen auf und sollte mit seiner Kritik recht behalten.

Oder Wolfgang Clement (Minister von 2002 bis 2005). Der Sozialdemokrat setzte gegen heftige Kritik die Agenda 2010 von Bundeskanzler Gerhard Schröder um und machte sich dabei herzlich unbeliebt. Später warf er seiner Partei vor, sie biedere sich bei der Linkspartei an und betreibe die Deindustrialisierung der Republik. Schließlich trat er aus der SPD aus und ist dort heute eine Unperson.

Ein Spezialfall ist Otto Graf Lambsdorff. Der FDP-Politiker trat sein Amt 1977 an und führte es als wirtschaftsliberaler "Marktgraf". Im September 1982 ließ er den Leiter seiner Grundsatzabteilung, Hans Tietmeyer (dieser wurde später Bundesbankpräsident), ein Reformpapier aufschreiben, das Korrekturen im Sozialstaat vorsah und das man heute wohl als "neoliberal" bezeichnen würde. Das "Lambsdorff-Papier" war de facto die Scheidungsurkunde für die Koalition aus SPD und FDP und brachte in der Folge Helmut Kohl ins Kanzleramt. Lambsdorff war damit einer der wirkmächtigsten Wirtschaftsminister überhaupt, auch wenn sein Ruf später unter der Parteispendenaffäre der 1980er-Jahre litt.

Dem nächsten Wirtschaftsminister oder der nächsten -ministerin, ob nun Peter Altmaier oder jemand anderes, wäre im Sinne der wirtschaftlichen Zukunft Deutschlands zu wünschen, dass er oder sie jene intellektuelle Unabhängigkeit mitbringt, unbequem zu sein, wie sie die berühmten Vorgänger hatten. Fairerweise sollte man einräumen, dass die Dinge früher einfacher waren. Erhard und Schiller konnten zum Beispiel öffentlichkeitswirksam über Auf- und Abwertung der D-Mark entscheiden. Das geht heute nicht mehr. Längst entscheiden die Devisenmärkte über Wechselkurse. Wirtschaftsminister müssen mit Worten überzeugen. Zwar ist das BMWi immer noch für den Außenhandel zuständig, bei TTIP, Ceta und den anderen Handelsabkommen hat aber Brüssel das Sagen. Der deutsche Wirtschaftsminister sitzt irgendwo im Niemandsland zwischen der EU und der Stimmung in Deutschland. Sigmar Gabriel (Minister von 2013 bis 2017) konnte jedenfalls froh sein, dass ihn der Protektionist Donald Trump beim Thema TTIP vor den Protektionisten in den eigenen Reihen geschützt hat. Das Ministerium hat auch zwei Abteilungen, die sich mit den Folgen der schlecht vorbereiteten Energiewende herumschlagen müssen, aber keine, die für die Digitalisierung wäre.

Man kann es positiv wenden: Für einen Sturkopf (männlich oder weiblich) vom Kaliber eines Erhard, Schiller oder Clement gäbe es viel zu tun.

© SZ vom 23.02.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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