Pipers Welt:Der Zoll als Waffe

Lesezeit: 3 min

Seit der Wahl des neuen Präsidenten in Amerika muss man sich wieder mit überholt geglaubten Theorien beschäftigen. Ein kleiner Streifzug durch die Zolltheorie hilft dabei, Trump besser zu verstehen.

Von Nikolaus Piper

Bücher wegwerfen ist noch schlimmer, als zum Zahnarzt zu gehen. Einerseits ist man ja vernünftig. Es lässt sich nicht leugnen, dass der Platz knapp ist, vor allem angesichts der Münchner Mieten. Andererseits weiß man ganz genau, dass das Ganze übel enden wird. Man ahnt, dass exakt die Schwarte, auf die man jetzt schweren Herzens verzichtet, in sehr naher Zukunft unverzichtbar sein wird. Zum Beispiel "der Rose". Der Rose, also die "Theorie der Außenwirtschaft", das der Mainzer Ökonomieprofessor Klaus Rose geschrieben hat, ist ein wunderbares Lehrbuch. Aber braucht man heute wirklich noch die abgewetzte Auflage aus den frühen 70er-Jahren? Will man sich vor allem noch mit der guten alte Zolltheorie befassen, die darin ausgebreitet wird? Zölle sind etwas aus der Rumpelkammer der Geschichte, man kann sie vergessen.

Dachte man bis vor ein paar Monaten.

Dann kamen die Präsidentschaftswahlen in den Vereinigten Staaten, und jetzt ist alles anders. Zwar glauben - außer Donald Trumps Wirtschaftsberater Peter Navarro - immer noch die meisten Ökonomen, dass Zölle und Strafsteuern auf Importe nur schaden. Dass sie den Wohlstand mindern und den Staat zum Instrument mächtiger Einzelinteressen machen. Aber darum geht es heute nicht mehr. Die eigentliche ökonomische Aufgabe liegt darin, herauszufinden, nach welcher Logik eigentlich das Weiße Haus seit dem 20. Januar tickt. Und da ist vermutlich ein bisschen Zolltheorie gar nicht so schlecht. Wie viele Hobby-Ökonomen begeht Donald Trump mit seinem Protektionismus einen Denkfehler: Er argumentiert, jedenfalls in der Öffentlichkeit, so, als würden amerikanische Zölle auf Importe aus Mexiko von den Mexikanern bezahlt. Tatsächlich jedoch sind es die amerikanischen Verbraucher, die die Zeche zahlen würden, denn der Zoll erhöht ja die Preise der Importgüter innerhalb der USA. Die Idee, einen Zoll zu erheben, damit die Mexikaner für den Bau einer Mauer an ihrer Nordgrenze aufkommen, ist ökonomischer Unfug. Trump kann sich den Umweg über die Zölle sparen und die 40 Milliarden Dollar, die die Mauer kosten soll, direkt aus dem Staatshaushalt begleichen.

Es gibt aber eine Ausnahme von dieser Regel, zumindest theoretisch. Die USA könnten einen sogenannten Optimalzoll für den Handel mit Mexiko erheben. Eigentlich war das Modell schon so gut wie vergessen, aber jetzt sieht es so aus, als strebe Trump genau so etwas an. Ein wild gegriffenes Beispiel zeigt, wie die Theorie funktioniert: Gut 80 Prozent aller Avocados auf dem US-Markt kommen aus der mexikanischen Provinz Michoacán. Angenommen, Trump wollte das ändern und kalifornische Avocado fördern. Dann könnte er einen Einfuhrzoll auf mexikanische Früchte erheben. Jetzt müssten erst einmal die amerikanischen Verbraucher mehr zahlen. Darauf reagieren sie, indem sie weniger nachfragen. Um die Ware trotzdem loszuwerden, müssen die mexikanischen Farmer die Preise senken, was deren Gewinne mindert und amerikanischen Verbrauchern zugute kommt. Auf diese Weise könnte es gelingen, einen Teil des Zolls den Mexikanern aufzubürden (in der Fachsprache: Deren Terms of Trade verschlechtern sich). Statt Avocados könnte man sich viele andere Beispiele vorstellen: BMWs aus Mexiko, Handys aus China oder T-Shirts aus der Dominikanischen Republik.

Den Effekt, der hinter dem Optimalzoll steht, hatte schon der große Klassiker John Stuart Mill 1869 in seinen "Grundsätzen der politischen Ökonomie" beschrieben. Mill stellte das Phänomen übrigens am Beispiel des Imports von deutschem Leinen für die englische Tuchindustrie dar. Damals waren die deutschen Staaten noch Rohstofflieferanten, bei denen die Industrialisierung gerade erst begonnen hatte. "Schwellenländer", könnte man sagen, so wie Mexiko heute.

Im Umgang mit einem aggressiven Handelspartner hilft es, zusammenzustehen

Entscheidend ist, dass die Sache mit dem Optimalzoll nur dann funktioniert, wenn ein sehr großes mit einem kleinen zusammentrifft. Nur ein großes Land wie die USA sind in der Lage, Weltmarktpreise zu beeinflussen. Umgekehrt wäre Mexiko oder jedes andere lateinamerikanische Land unfähig, einen Optimalzoll von den USA zu erheben, ihre Nachfragemacht wäre einfach zu klein.

Vor diesem Hintergrund ist es durchaus rational, dass Trump multilaterale Abkommen wie TPP und TTIP oder auch die Welthandelsorganisation (WTO) ablehnt und auf bilateralen Deals besteht. Wenn immer nur zwei Länder an einem Tisch sitzen, dann ist garantiert, dass die Vereinigten Staaten immer "groß" im Sinne der Zolltheorie sind. Rational ist es zum Beispiel, von der Bundesregierung zu verlangen, dass sie sich in zweiseitigen Gesprächen verpflichtet, etwas gegen den deutschen Überschuss von 65 Milliarden Dollar im Handel mit den USA zu tun - rational nicht in der Sache, wohl aber dann, wenn man vorhat, seine Handelspartner vor sich herzutreiben.

Das lässt ahnen, wie wichtig die EU für Deutschland in diesen Tagen ist. Wenn man einen großen Handelspartner hat, der auf Krawall gebürstet ist, hängt alles davon ab, dass die Kleinen zusammenhalten. Deutschland muss also konsequent bilaterale Gespräche ablehnen und auf der Kompetenz der EU-Kommission für die Handelspolitik bestehen. Die EU kann, mit Zustimmung der WTO, Vergeltungszölle erheben. Die Theorie vom optimalen Zoll wird dann obsolet, wenn sich dessen Opfer wehren. Es mag archaisch klingen, wenn man die EU-Mitglieder auffordert, gegen die (ehemalige) westliche Führungsmacht zusammenzustehen und Vergeltung zu üben. Aber die Politik in vielen Teilen der Welt ist heute archaisch geworden. Gemessen daran ist der alte Rose aus den 70er-Jahren noch hochmodern. Man hätte ihn behalten sollen.

© SZ vom 17.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: