Philipp Rösler:"Großen hilft die Politik, die Kleinen gehen pleite"

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Niedersachsens Wirtschaftsminister Rösler über Verantwortung - und warum er partout nicht als Politiker in die Hauptstadt möchte.

J. Schneider u. M. Thiede

Philipp Rösler, 35, hat einen ungewöhnlichen Lebenslauf. In Vietnam geboren, wurde er als Baby von einem deutschen Ehepaar adoptiert und vom Vater alleine aufgezogen. Er studierte Medizin, wurde Sanitätsoffizier bei der Bundeswehr und trat 1992 in die FDP ein. Dort entdeckte Walter Hirche den charmanten und scharfzüngigen Jungen. Seit 2003 steht Rösler an der Spitze der Landtagsfraktion, und jetzt beerbt er Hirche als Landeswirtschaftsminister. Doch Röslers Zeit als Politiker ist begrenzt: Mit 45 Jahren will er aussteigen - ganz sicher.

Philipp Rösler übernimmt das Amt des niedersächsischen Wirtschaftsministers. (Foto: Foto: dpa)

SZ: Herr Rösler, Sie sind Mediziner und haben keine Erfahrungen in Unternehmen. Sie sind 35 Jahre alt und sitzen im FDP-Präsidium, aber als Wirtschaftspolitiker sind Sie noch nicht aufgefallen. Können Sie Leute verstehen, die fragen, was in aller Welt qualifiziert diesen Mann für dieses Amt?

Rösler: Von außen ist das vielleicht eine verständliche Frage. Aber hier in Niedersachsen ist kaum jemand überrascht. Wer mich in den letzten zwei Jahren beobachtet hat, weiß, dass ich mich intensiv vorbereitet habe.

SZ: Wie bereitet man sich darauf vor, Wirtschaftsminister zu werden?

Rösler: Ich habe als FDP-Chef so viel wie möglich den Kontakt zur Wirtschaft gesucht - Unternehmen besucht, vor allem Mittelständler, und mit Kammern und Verbänden gesprochen. Ich kenne die Situation im Land, und natürlich lerne ich viel in den Gesprächen mit meinem Vorgänger Walter Hirche, der für mich ein großes Vorbild ist. Für so eine Führungsaufgabe braucht man Kraft für Entscheidungen, man muss Kompetenz schnell erwerben und Ratschläge annehmen können. Sie müssen Menschen motivieren können, das traue ich mir zu. Und natürlich habe ich ordnungspolitisch den liberalen Kompass verinnerlicht, der die Grundsätze meiner Partei bestimmt.

SZ: Wer ist noch Vorbild für Sie - neben Ihrem Vorgänger Hirche?

Rösler: Menschlich ist mein Papa mein großes Vorbild.

SZ: Was ist das Besondere an ihm?

Rösler: Er war sehr liebevoll und hat Verantwortung übernommen, statt zu reden. In den siebziger Jahren, als alle gegen den Vietnam-Krieg auf die Straße gingen und "Ho-Ho-Ho-Chi-Minh!" riefen, haben er und meine Mutter entschieden: "Wir reden nicht, wir machen was. Wir adoptieren ein Kind aus Vietnam."

SZ: Mit neun Monaten kamen Sie so nach Deutschland, und dann hat Ihr Vater Sie alleine aufgezogen.

Rösler: Meine Eltern haben sich getrennt, als ich vier war. Mein Vater hat gesagt, die Familie ist das Wichtigste. Das hat er in einer Zeit, als das noch gar nicht üblich war, sehr entschieden umgesetzt und dafür auch auf eine Karriere verzichtet. Er war Fluglehrer bei der Bundeswehr. Ich bin zunächst im Kindergarten gewesen, wenn er in der Kaserne war. Später bin ich nach der Schule zum Essen ins Offizierskasino gekommen. Ich habe bei ihm im Büro Hausaufgaben machen müssen und gelernt.

SZ: Haben Sie auch Vorbilder in der Wirtschaft?

Rösler: Auch wenn es gerade jetzt unerfreuliche Beispiele gibt, finde ich Familienunternehmen vorbildlich. Wenn Sie solche Firmen besuchen, spüren Sie eine besondere Haltung, die von Tradition und Verantwortung geprägt ist.

SZ: Ist diese Haltung hierzulande nicht längst die Ausnahme?

Rösler: Nein, gehen Sie zu den Familienunternehmen und Sie werden den Unterschied spüren. Die sind nicht nur gewinnorientiert. Und wenn die von Werten sprechen, tun sie das nicht, weil es ihnen von einer Agentur aufgeschrieben worden ist. Die haben die Werte seit Generationen, die leben das.

SZ: Aber jetzt erleben wir gerade hier in Niedersachsen, welchen Schaden auch ein Familienbetrieb anrichten kann: Das fränkische Familienunternehmen Schaeffler, das Continental gekauft hat und nun in Schwierigkeiten steckt.

Rösler: Die Ausnahme bestätigt die Regel. Im Fall der Übernahme der Continental AG durch die Schaeffler-Gruppe ist tatsächlich nicht nachhaltig geplant worden. Da hat sich ein Unternehmen verhoben, möchte sich nun aus der Verantwortung stehlen und sucht Hilfe beim Staat. Das Auftreten der Schaeffler-Spitze passt nicht zum Bild des klassischen Familienunternehmens.

SZ: An einen Einstieg des Landes bei Schaeffler . . .

Rösler: . . . war, auch wenn es solche Meldungen gab, nie gedacht. Man kann über Bürgschaften reden, aber auch da sind die Möglichkeiten begrenzt. Es gibt eine Regel für alle: Jeder, der eine Bürgschaft will, muss vor den Bürgern wirklich alles offenlegen. Wer bürgt, muss wissen, was da ist, und was die Familie als Eigentümer selbst einbringt.

SZ: Sie haben einen Widerwillen gegen ein Eingreifen des Staates.

Rösler: Generell muss gelten, dass der Staat nur eingreift, wenn das ganze Wirtschaftssystem ins Wanken geraten kann. Deshalb haben wir als FDP dem Schirm zur Rettung der Banken zugestimmt. Aber Industrieunternehmen sind ein anderer Fall. Gehen Sie mal zu einer Kreishandwerkerinnung. Die Handwerker haben kein Verständnis dafür, denn ihnen würde so nicht geholfen. Zu den Großen kommen die Fernsehkameras und Politiker, zu den Kleinen der Insolvenzverwalter. Die Debatte über die Rettung der Schaeffler-Gruppe war ein merkwürdiges Schaustück, und sie hat gezeigt, dass Herr Seehofer ein Populist ist. Auch bei anderen Gelegenheiten hat man gesehen, wie er dem CSU-Wirtschaftsminister in den Rücken gefallen ist.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, warum Philipp Rösler Mitleid mit Michael Glos hat - und er selbst nicht als Politiker nach Berlin gehen möchte.

SZ: Haben Sie Mitleid mit Herrn Glos?

Rösler: Auf jeden Fall. Ich glaube, er ist ein anständiger Kerl aus der Zeit, als man Geschäfte noch per Handschlag abschloss. Sicherlich hat er in dieser Regierung zu wenig Ordnungspolitik vertreten. Er hat das Feld Frau Merkel und Herrn Steinbrück überlassen. Er hätte zusätzliche Belastungen für die Wirtschaft verhindern und deutlicher gegen die Kanzlerin Stellung beziehen müssen. Wie Glos seinen Abgang inszeniert hat, war bezeichnend: Die Biene sticht nur einmal.

SZ: Vor dem Tode.

Rösler: Ja.

SZ: Stehen Sie noch zu Ihrer Aussage, mit 45 Jahren aus der Politik auszusteigen?

Rösler: Ja, im Februar 2018 werde ich aufhören. Schön wäre es, wenn ich bis dahin noch Wirtschaftsminister bin.

SZ: Da sind Sie längst in Berlin, wo die großen Aufgaben locken.

Rösler: Nein, ich habe ja auch gesagt, dass ich nie nach Berlin gehe.

SZ: Weil die Politik den Menschen zu sehr verändert?

Rösler: Mein Vater sagt immer: Gute Schauspieler und Politiker haben eins gemeinsam. Sie gehen, wenn noch jemand klatscht. Es ist bedrückend, dass Politiker mit einer großen Lebensleistung, wie Helmut Kohl oder Heide Simonis, den richtigen Absprung verpasst haben. Man muss irgendwann was anderes machen.

SZ: Warum wollen Sie Berlin meiden?

Rösler: Weil ich das misstrauische Klima dort nicht für gesund halte. Wenn ich hier meine zwei Stellvertreter zusammen Kaffee trinken sehe, denke ich: Das sind nette Kerle - und setze mich dazu. In Berlin muss ich mich fragen, ob die gerade überlegen, wer von beiden mich ablöst.

SZ: Sie sind aber doch regelmäßig beim FDP-Präsidium in Berlin.

Rösler: Das ist in Ordnung. Aber hier in Hannover ist meine Welt, alles sehr familiär. Niemand würde sagen, da kommt der Herr Doktor Rösler, unser Vorsitzender. Ich bin der Philipp.

SZ: Wer passt jetzt auf, dass Sie nicht werden, wie Sie nie werden wollen?

Rösler: Meine Mitarbeiter. Das sagt zwar jeder Chef, aber wir sind hier ein sehr junges Team. Außerdem mein Vater. Und natürlich meine Frau. Die sagt, wenn ich nach Hause komme, schon mal: Jetzt ist erst mal gut, kümmere dich mal um deine Kinder, danach kannst du von deinen Heldentaten berichten.

SZ: Sie haben Zwillinge.

Rösler: Zwei Töchter, vier Monate alt.

SZ: Endlich ein Minister, der seine Elternmonate nehmen kann.

Rösler: Das geht im Ministerium sicher nicht. Aber ich werde feste Zeiten in meinem Terminkalender blocken, um für die Kinder da zu sein, auch tagsüber. Hier in der Fraktion können alle ihre Kinder mitbringen. Es gibt einen Wickeltisch, der nützt auch mir. Für das Ministerium ist es eine Führungsentscheidung zu sagen, es muss auch Zeit für die Kinder geben. Bei meinem Vater hing der kluge Satz an der Wand: Freiheit wird einem nicht gegeben, man muss sie sich nehmen.

© SZ vom 17.02.2009/mel - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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