Personenkult:In der Ich-Falle

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Talente gedeihen zunehmend im Scheinwerferlicht. Doch wenn sie über sich hinauswachsen, entsteht ein Kult, der eine Gesellschaft zerreiben kann.

Alexandra Borchardt

Man könnte sagen, es handelt sich um einen besonders ausgeprägten Fall von Personenkult. Die Verehrung Jesu Christi, wie sie Milliarden Christen mit dem Weihnachtsfest zum Ausdruck bringen, trägt in sich auch die starke Botschaft: Der Einzelne kann die Welt verändern. Jesus selbst allerdings hätte sich vermutlich gewundert über diese größte Geburtstagsfeier eines jeden Jahres. War er doch einer, dem es nicht um seine Person, sondern um die Sache ging. Eine Sache, für die er sich sogar töten ließ.

Einzelne Menschen können Großes schaffen - doch oft schlägt die Helden-Verehrung zurück. (Foto: Foto: dpa)

Auch die Mächtigen unserer Tage betonen gerne, es gehe ihnen um die Sache. "Ich will gestalten", sagt der Politiker. "Ich will Menschen begeistern", sagen der Künstler und der Sportler. "Ich will Wachstum schaffen", sagt der Manager. Doch meistens ist es dann doch das erste Wort in diesen Sätzen, auf das es den Protagonisten ankommt. Personenkult bestimmt dieser Tage zumindest in westlichen Gesellschaften die Politik, die Kultur, den Sport und zunehmend auch die Wirtschaft. Er ist ein riesiges Geschäft. Wenn es schlecht läuft allerdings, wird er zum Gefängnis.

Ohne Zweifel sind es oft einzelne Menschen, die Großes schaffen. Die bedeutende Erfindung, die richtige Reaktion im kritischen Augenblick, der geniale Einfall - da kann einer die Menschheit voranbringen, Leben retten, den Lauf der Geschichte verändern. You can make a difference, wird amerikanischen Kindern in dieser individualistischsten aller Gesellschaften schon früh beigebracht, du kannst etwas bewirken. Dabei sind es in Wahrheit oft die Ideen, Hände und Herzen vieler Menschen, die den Weg für große Leistungen bereiten, und wenn es Eltern, Lehrer, Trainer oder andere Vorbilder waren, die dem Talent Türen geöffnet haben. Nur will der, der ganz oben ist, davon häufig nichts mehr wissen. Ohne die Überhöhung Einzelner wären Millionen-Gehälter undenkbar. Denn angeblich sind es ja Ausnahmeleistungen, die diese Bezahlung rechtfertigen.

Ganze Branchen leben vom Personenkult, natürlich und vor allem auch die Medien. Sie fördern ihn früh. So wollen Scharen von Teenagern dieser Tage mindestens Topmodel, wenn nicht gleich Superstar werden. Soziale Netzwerke im Internet wie Facebook oder Myspace und der SMS-Verbreiter Twitter wachsen rasant, weil sich Individuen unglaublich wichtig finden.

Talente wachsen zunehmend im Scheinwerferlicht. In der Politik werden immer häufiger Personen gewählt, immer seltener Parteien. Sportarten funktionieren finanziell dann, wenn ein einzelner Athlet die Zuschauer vor die Fernseher treibt. Und Wirtschaftsgeschichten verkaufen sich am besten, wenn man sie mit Namen verknüpft. Manager werden Symbole, so wie der Chef der Deutschen Bank, Josef Ackermann, der für viele Deutsche den Kapitalismus schlechthin repräsentiert.

So manch einer, der so zu Ruhm kam, fühlt sich wohl in dieser Rolle. Doch oft schlägt sie zurück, die Helden-Verehrung: Wenn der Politiker abtreten muss und keine Talkshow mehr beim ihm anruft. Wenn der Vorstandschef gefeuert wird, und nichts als "Berater" auf die Visitenkarte drucken kann. Wenn der Bundestrainer nur noch Aserbaidschan trainieren darf. Und wenn der Künstler ohne Narkose nicht mehr schlafen kann aus Angst, er könnte scheitern. Michael Jackson war 2009 eines der prominentesten Opfer des Personenkults. Und Robert Enke. Auch die abgrundtiefe Furcht, das öffentliche Bild von sich zerstören zu müssen, hatte den unter Depressionen leidenden Torhüter in den Tod getrieben.

Prominente, die klug sind, kämpfen gegen diesen Druck. Sie wissen oder ahnen zumindest, dass es denen da draußen nicht um den ganzen Menschen geht, sondern um diese Stimme, diese Rückhand, diesen Wortwitz. Wie es aussieht, hatte Steffi Graf das einst bei ihrem Ausstieg aus dem Tenniszirkus begriffen. Boris Becker nicht.

Doch nicht nur große Namen lassen sich blenden von der Annahme, sie seien unersetzlich. Da fühlt sich der Angestellte getrieben, rund um die Uhr erreichbar zu sein, und lässt sich davon fertig machen. Der Manager erweitert den Tag um alle Zeitzonen, der Unternehmer muss alles selber verhandeln. In schlimmeren Fällen - nicht in den schlimmsten - endet so etwas in der Burnout-Behandlung. Welche Erlösung kann für diese Menschen die Erkenntnis sein, dass sie etwas bewirken können, aber eben nicht alles. Und dass sie zuweilen mehr bewirken, wenn sie auch mal loslassen. Weil sie dann vielleicht da etwas schaffen, wo sie manchmal nötiger gebraucht werden als im Büro: in der Familie, oder in anderen sozialen Gemeinschaften.

Wissenschaftler haben ohnehin herausgefunden, dass jene Führungskräfte die effektiveren Chefs sind, die sich selbst nicht so wichtig nehmen. Der verstorbene Management-Vordenker Peter Drucker vertrat diese These. Und auch der US-Professor Jim Collins hat in mehreren Studien nachgewiesen, dass jene Unternehmen langfristig erfolgreicher sind, deren Lenker sich durch persönliche Zurückhaltung auszeichnen.

Diese Typen von Entscheidern erreichen insbesondere deshalb viel, weil sie nicht nur sich selbst, sondern auch anderen zuhören können. Und weil sie nicht agieren, als seien sie unsterblich. Weniger egozentrische Chefs lassen die zweite Reihe stark werden, damit den Top-Job jederzeit jemand anderes übernehmen kann. Jesus zum Beispiel hatte damals gleich zwölf Apostel eingesetzt. Der Boden für Jahrtausende erfolgreicher Nachfolgeplanung war bereitet.

© SZ vom 24.12.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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