Neue EU-Regeln für Fischerei:Bleib mal zu Hause, Junge

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Ein Fischer auf See: Etwa jeder vierte gefangene Fisch wird zurück ins Meer geworfen, weil er nicht zur Fangquote passt. (Foto: DPA/DPAWEB)

Stürmische Zeiten: Weil Europas Gewässer überfischt sind, will die EU in dieser Woche die Fischereipolitik völlig neu regeln. Für Heringe, Schollen und Makrelen könnte das eine gute Sache sein. Für die Fischer eher nicht.

Von Kristina Läsker

Die Möwen weisen den Weg. Sie kreisen über einem schwarzen Schiff, das in Bremerhaven vor Anker liegt. Arbeiter laden braune Pakete aus dem Bauch des Schiffes, viele Pakete. Darin sind Tausende Makrelen - das ist es, was die Seevögel lockt. Doch die Möwen hoffen vergeblich auf Futter, denn der Trawler mit dem Namen Jan Maria hat ihnen nichts mitgebracht. Alles, was außer den begehrten Makrelen ins Netz ging, ist längst auf hoher See über Bord gegangen. Das machen sie fast immer so, in der Hochseefischerei: Jeder vierte gefangene Fisch, schätzt die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO), wird wieder zurück ins Meer geworfen. Die meisten dieser Fische sind dann schon tot.

Doch was Tierfreunde schon lange erzürnt, könnte nun bald beendet sein: An diesem Mittwoch will das EU-Parlament neue Regeln für die Fischerei beschließen. Mit klaren Einschnitten wollen die Parlamentarier gegen die Überfischung und das Aussterben von Fischbeständen vorgehen.

Zur geplanten Grundverordnung gehört auch das Verbot, einmal gefangene Fische wieder zurück ins Meer zu werfen. Die Tiere sollen stattdessen an Land gebracht und dokumentiert werden. Für die Fischer wäre das lästig - und teuer. Für die Möwen dagegen wäre das erfreulich: Irgendwo muss der tote Fisch später ja hin.

"Wir fischen rund um die Uhr"

Auch Gerd Dierks müsste sich überlegen, was er mit unerwünschtem Beifang macht. Dierks, ein zäher Deutscher mit grauem Bart, ist Kapitän der Jan Maria. Viele Monate im Jahr steuert der 63-Jährige den 125 Meter langen Trawler durch die See. Im Januar hat Dierks mit der Jan Maria vor den schottischen Hebriden nach Makrelen gefischt. Mehrere Wochen lang, Netz für Netz, 5000 Tonnen. Bis die Laderäume voll waren und die Makrelen tiefgefroren in Eisschränken lagen.

"Wir fischen rund um die Uhr", sagt er. Sechs Stunden Arbeit, sechs Stunden Freizeit, sechs Stunden Arbeit, sechs Stunden Freizeit. Unerwünschten Beifang habe es diesmal wenig gegeben, erzählt Dierks. Makrelen würden in Schwärmen schwimmen, da gerieten seltener andere Fische mit ins Netz. Aber: "Ganz vermeiden lässt sich Beifang nie."

Wenn unerwünschte Fische in seinen Netzen zappeln, lässt auch Dierks sie auf See - und das liegt am System der Fangquoten. Diese Quoten sind in der europäischen Fischerei die Lizenz zum Geld drucken. Ob Atlantik oder Mittelmeer: Europas Gewässer sind in 16 Fanggebiete unterteilt, für jedes gibt es Quoten. Genau wie für die Fischarten: Seelachs, Scholle, Hering. Wer eine Quote hat, darf genau das fischen und nicht mehr. Damit der Bestand nicht kollabiert.

Feilschen bis zum bitteren Ende

Im Januar sollte Dierks mit der Jan Maria also nur Makrelen fangen. Weil der Besitzer des Trawlers, die Doggerbank Seefischerei GmbH, dafür eine Quote bekommen hatte. Weil die Bundesministerin Ilse Aigner (CSU) solche Quoten für Deutschland ergattert hatte. Jedes Jahr vor Weihnachten feilschen Europas Fischereiminister um die Quoten fürs nächste Jahr. Wie auf dem Fischmarkt. Das Ganze basiert auf wissenschaftlichen Vorgaben, doch immer passiert dasselbe: Die Minister überziehen die ursprünglichen Vorgaben massiv. Sie erlauben weit mehr Fang, als es für das marine Ökosystem gut ist.

Das Ergebnis ist bitter. Gut 47 Prozent der Bestände sind überfischt. Es könnte noch schlimmer werden, wenn sich das Fangverhalten nicht ändert.

Die Zahlen stammen vom Internationalen Rat für Meeresforschung (ICES) in Kopenhagen und dessen Wissenschaftler sollen künftig verbindliche Vorgaben machen dürfen. So will es die EU-Reform. "Mit dem jährlichen Quoten-Geschacher der Fischereiminister muss Schluss sein", fordert die Europaabgeordnete Ulrike Rodust (SPD). Sie kämpft schon länger gegen die Überfischung. Im Fischerei-Ausschuss des Parlaments stimmte sie vor Kurzem dafür, die Fangquoten an die Vorgaben zu koppeln. Nun soll das Parlament in Straßburg nachziehen. Bis 2015 soll die Fischerei so begrenzt werden, dass sich die bedrohten Bestände bis 2020 erholen. "Höchst möglicher Dauerertrag" heißt diese Lösung, die vielen Fischen das Leben retten soll.

Die Fischer hingegen dürften weniger glücklich sein mit dem "höchst möglichen Dauerertrag" - darunter vielleicht auch Kapitän Dierks. Denn sein Arbeitgeber Doggerbank gehört zu Parlevliet & Van der Plas aus Holland. Der Fisch-Konzern schickt 15 Fisch-Trawler wie die Jan Maria über die Meere, die Familien der Gründer sind, vorsichtig gesagt, wohlhabend.

Was einst als kleiner Herings-Handel begann, ist heute ein Fischfang-Imperium geworden. Mark Parlevliet etwa, braune Haare, untersetzt, Enkel des Gründers, leitet Doggerbank. Er fürchte die neuen Gesetze nicht, sagt der 32-Jährige mit holländischem Akzent.

Das klingt selbstbewusst, doch tatsächlich könnten die Politiker Leuten wie Parlevliet bald gehörig wehtun. Denn noch immer gibt es mehr als 83 000 Boote in Europa, das halten einige Parlamentarier für zu viel. "Die Flottenkapazität ist ein starkes Hemmnis für nachhaltige Fischerei", sagt die Sozialdemokratin Rodust.

Gemeint sind nicht nur Südländer wie Spanien und Portugal. Hier gibt es - anders als in Deutschland - noch viel zu viele Kutter pro Fangquote. Gemeint sein könnten wohl auch die mächtigen Konzerne wie Parlevliet & Van der Plas. Deren Flotten sind längst so groß, dass sie außerhalb Europas fischen gehen. Etwa an der afrikanischen Atlantikküste, vor Mauretanien.

Schutz für afrikanische Fischer

Genau das will die EU jetzt einschränken. Die europäischen Fisch-Trawler sollen bald nur noch Überschüsse abschöpfen dürfen. Und nicht mehr die Fische, die afrikanische Fischer zum Überleben brauchen, etwa Tintenfisch.

Im Juli wurde bereits das Drittlands-Abkommen mit Mauretanien verschärft. EU-Trawler dürfen seither nur noch 20 Meilen abseits der Küste fischen, 60 Prozent der Besatzung müssen Mauretanier sein. "Damit erhält man - in einem ersten Schritt - die Nahrungsgrundlage der afrikanischen Fischer", sagt etwa Thilo Maack, der zuständige Experte von Greenpeace.

Viele Fisch-Konzerne sind schon sauer: "Diese Vorgaben sind völlig überzogen", schimpft Mark Parlevliet. Ihn hat das Abkommen bereits jetzt viel Geld gekostet: Denn eigentlich sollte die Jan Maria im vergangenen Jahr mehrere Monate vor Mauretanien Sardinen fischen. Kapitän Dierks hatte dafür im Januar schon das Netz an Bord geholt. Dann wurde umgeplant.

Die Jan Maria musste heim an die Pier und Kapitän Dierks zurück nach Mecklenburg-Vorpommern. Er musste von Oktober bis Dezember zu Hause bleiben. Ohne Heuer. Die kriegt er nur für seine Zeit auf See.

© SZ vom 04.02.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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