Neue Datenaffäre im Handel:Müller forscht Mitarbeiter aus

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"Bitte zum Gespräch!" statt "Wieder gesund?": Die Drogeriekette Müller horcht Beschäftigte Informationen der Süddeutschen Zeitung zufolge illegal nach Krankheiten aus.

D. Deckstein u. S. Liebrich

Weit mehr Firmen als bisher bekannt forschen illegal die Krankengeschichten ihrer Mitarbeiter aus. Bei der Drogeriekette Müller müssen Beschäftigte nach SZ-Informationen regelmäßig Auskunft geben. Nach Lidl und Daimler ist dies der dritte Fall, der in kurzer Zeit publik wird.

Nichts bleibt geheim: Erkrankte Mitarbeiter müssen nach ihrer Rückkehr ihrem Arbeitgeber, der Drogeriekette Müller, Auskunft geben - per Fragebogen. (Foto: Foto: dpa)

Die Erfassung von Krankheitsdaten bei Müller - die Firma beschäftigt 18.000 Menschen - hat allem Anschein nach System. Das zeigt ein Formular mit der Überschrift "Krankenrückkehrgespräch", das der Süddeutschen Zeitung vorliegt. Es trägt das Firmenlogo des Unternehmens sowie die Namen von Einzelfirmen der Drogeriekette.

Wer krankheitsbedingt ausfalle, werde nach seiner Rückkehr zum Gespräch mit den Vorgesetzten zitiert, berichtet ein Mitarbeiter, der aus Angst um seinen Arbeitsplatz seinen Namen nicht nennen will. Der Fragebogen werde dann gemeinsam ausgefüllt und anschließend von beiden Gesprächsteilnehmern unterzeichnet. Unter anderem soll der Mitarbeiter darüber Auskunft geben, ob er wegen "derselben Ursache im laufenden Kalenderjahr bereits krank gewesen" oder "die Genesung vollständig abgeschlossen" sei.

Weit verbreitetes Phänomen

"Keine Frage, solche Fragebögen sind illegal", stellt Rainer Dacke von der Gewerkschaft Verdi fest. Woran ein Beschäftigter leide und ob er wieder vollständig gesund sei, gehe den Arbeitgeber grundsätzlich nichts an. Dacke liegen diverse Hinweise von Müller-Mitarbeitern vor, wonach solche Gespräche zum Krankheitsverlauf bei der Drogeriekette üblich seien. "Viele der Betroffenen trauen sich nicht, solche Auskünfte zu verweigern, obwohl sie wissen, dass dies gesetzlich nicht zulässig ist", sagt Dacke. Die Müller-Geschäftsführung ließ Anfragen zur Praxis der Krankenrückkehrgespräche am Freitag unbeantwortet.

Fälle wie Müller oder Lidl zeigen nach seinen Worten jedoch nur die Spitze des Eisbergs. Das gezielte Ausforschen und Sammeln von Krankendaten ist laut Dacke im Handel weit verbreitet. Er nannte in diesem Zusammenhang auch den Müller-Konkurrenten Schlecker. Dort führten leitende Angestellte ebenfalls Buch über die Krankheiten ihrer Untergebenen. Das Problem beschränkt sich nicht nur auf den Handel. Wie sich kürzlich herausstellte, hegte auch der Autokonzern Daimler gesteigertes Interesse an Krankendaten, wie der gerade aufgedeckte Fall im Mercedes-Werk Bremen zeigt.

Bei Müller gibt es derzeit auch Ärger in anderer Hinsicht. Die Geschäftsführung versuchte eine Betriebsratswahl zu torpedieren. Nachdem das Gremium für ein Neu-Ulmer Lager mit 170 Mitarbeitern am Mittwochabend gewählt war, teilte Müller mit, das Lager zum 1. Mai an die Firma Honold Contract Logistics, einen Kunden der Drogeriekette, zu verkaufen. "Offenbar zerschlägt Erwin Müller lieber sein Imperium, als die Mitbestimmung zuzulassen", sagt Dacke.

Mitarbeiter gehen von Bord

Branchenexperten bezeichnen Erwin Müller als "einen stillen Riesen, den wenige kennen, aber viele im Handel fürchten." Zu fürchten haben den Patriarchen wohl auch seine engsten Mitarbeiter, die ihm in den letzten Jahren reihenweise abhanden kamen. So kündigte der erst im Oktober angetretene Vertriebs- und Einkaufschef Gerhard Kramer unlängst an, er werde das Unternehmen nach Ablauf seines Vertrags 2011 wieder verlassen. Für den Einkauf ist Kramer von sofort an nicht mehr zuständig. Der 47-Jährige galt als Kronprinz des mittlerweile 76-jährigen Firmengründers, die Nachfolgefrage im Drogerieimperium ist also nach wie vor ungelöst.

Jahrelang hatte Erwin Müller versucht, seinen einzigen Sohn Reinhard, 49, als künftigen Firmenchef aufzubauen. Vor drei Jahren aber setzte er ihn wegen Differenzen als zweiten Geschäftsführer ab. Auslöser war dem Vernehmen nach eine vom Sohn eingefädelte Einkaufskooperation mit dem Konkurrenten Rossmann, der in Norddeutschland stark ist, aber mit Filialen nach und nach ins südliche Müller-Reich eindrang.

Erwin Müller gebietet nach Schlecker, dm-Markt und Rossmann über die viertgrößte deutsche Drogeriemarktkette mit 450 Filialen und mehr als zwei Milliarden Euro Umsatz. Der gebürtige Münchner und gelernte Friseur setzt im Gegensatz zur Konkurrenz nicht allein auf Drogerieartikel. In den bis zu 4000 Quadratmeter großen Kleinkaufhäusern verkauft er auch Spielzeug, Haushaltswaren oder Musik-CDs. Bei der Expansion geht Müller langsamer vor als die Konkurrenz. Während die um die 100 neue Geschäfte pro Jahr eröffnen, begnügt sich der Ulmer Unternehmer mit etwa 20 neuen Filialen.

© SZ vom 18.04.2009/mel - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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