Nachruf:Genie und Wahnsinn

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Der Mathematiker John Nash starb mit 86 Jahren bei einem Autounfall. (Foto: Money Sharma/dpa)

Der amerikanische Nobelpreisträger John Forbes Nash ist tot. Er verunglückte zusammen mit seiner Frau bei einer Taxifahrt. Er wurde 86 Jahre alt.

Von Nikolaus Piper

In dem Oscar-prämierten Film "A Beautiful Mind" ("Genie und Wahnsinn") gibt es eine wunderbare, wenn auch etwas sexistische Einführung in die angewandte Spieltheorie: Der junge Mathematik-Student John Nash sitzt mit Kommilitonen in einer Bar, als eine Gruppe hübscher Mädchen hereinkommt. Besonders eine Blondine hat es den Studenten angetan. Was tun? Einer von ihnen zitiert den Ökonomen Adam Smith: "Im Wettbewerb kommt der individuelle Ehrgeiz dem Gemeinwohl zugute." Will sagen: Jeder versucht auf eigene Faust, die Blondine zu erobern. Nash jedoch widerspricht: "Adam Smith muss revidiert werden." Wenn sie sich alle um die Blondine rissen, dann behinderten sie sich gegenseitig und keiner würde Erfolg haben. Auch die anderen Mädchen wären dann weg, keine möchte gern zweite Wahl sein. Viel besser wäre es, die Blondine zu ignorieren und von Anfang an mit ihren Freundinnen zu flirten. Dann seien alle am besten dran.

Der Film des Regisseurs Ron Howard von 2002 erzählt das schier unglaubliche Leben des genialen Mathematikers John Nash. Die Szene mit der Blondine ist dabei frei erfunden, sie zeugt vom Ehrgeiz des Regisseurs, das hochabstrakte Werk Nashs verständlich zu machen. John Nash wurde 1928 in Bluefield (West Virginia) geboren, 1948 begann er in Princeton Mathematik zu studieren, wobei er sich besonders für die Spieltheorie interessierte. 1950 legte er seine Dissertation "Nicht-Kooperative Spiele" vor. Darin beschreibt er eine Wettbewerbssituation, in der kein Mitspieler seine Lage durch Änderung des Verhaltens verbessern kann. Die Lösung ging als "Nash-Gleichgewicht" in den Kanon von Ökonomie und Mathematik ein. Für die Arbeit sollte er 1994 den Wirtschafts-Nobelpreis erhalten.

Die geschilderte Barszene ist, anders als der Film suggeriert, kein Nash-Gleichgewicht, denn jeder hat einen starken Anreiz, im Laufe des Abends seine Strategie zu ändern und doch noch die Blondine zu umwerben. Ein klassisches Nash-Gleichgewicht ist dagegen das Gefangenen-Dilemma: Nach einem Raubüberfall werden zwei Verdächtige gefasst. Die Beweislage ist dürftig, daher bietet der Staatsanwalt jedem folgenden Deal an: Wenn du aussagst, kommst du als Kronzeuge frei, dein Komplize geht für zehn Jahre ins Gefängnis. Am besten wäre es, wenn beide schwiegen, dann müssten sie, weil Beweise fehlen, nur für ein Jahr in Haft wegen unerlaubten Waffenbesitzes. Da sie aber nicht wissen, wie der andere handelt, werden beide gestehen und fünf Jahre Haft akzeptieren. Das Nash-Gleichgewicht veränderte die Ökonomie - und die Sicherheitspolitik. Wer in den Kategorien der Spieltheorie denkt, versucht immer, die Strategien der anderen einzukalkulieren. Nash arbeitete vier Jahre lang in geheimer Mission für die amerikanische Rand Corporation über strategische Probleme im Kalten Krieg. Man wird vermutlich nie wissen, ob die Spieltheorie in den Jahren des nuklearen Wettrüstens die Zerstörung der Welt verhindert hat, plausibel ist es.

Ende der Fünfzigerjahre erkrankte Nash an schwerer Schizophrenie, er hörte Stimmen und wurde gewalttätig. Jahrzehntelang verschwand Nash aus dem Wissenschaftsbetrieb und lief wie ein Phantom über den Campus von Princeton. Gerettet haben ihn seine Frau Alicia Lardé und Freunde. Alicia ließ sich zwar von ihm scheiden, unterstützte ihn aber weiter. Und die Freunde überzeugten das Nobel-Komitee davon, dass Nash den Preis verdient hatte. Die Preisverleihung 1994 scheint die Wende gewesen zu sein. Nash kehrte ins Leben zurück, 2001 heiratete ihn Alicia ein zweites Mal. Über seine Krankheit sagte Nash: Seine Wahnvorstellungen seien nicht verschwunden. Aber "ich habe damit begonnen, sie zurückzuweisen und nicht mehr zuzuhören."

Vorige Woche wurde Nash in Oslo mit dem Abel-Mathematikpreis ausgezeichnet. Bei der Rückkehr nahmen er und seine Frau ein Taxi vom Flughafen nach Princeton. Auf der Autobahn rammte der Fahrer bei einem Überholmanöver die Leitplanke. John und Alicia Nash wurden aus dem Wagen geschleudert und waren auf der Stelle tot. Vermutlich waren sie nicht angeschnallt. John Nash wurde 86, Alicia 82.

© SZ vom 26.05.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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