Nach Berliner Flughafen-Debakel:"Leipzig-Halle ist immer eine Alternative"

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Berlin droht in diesen Tagen Chaos, weil der Großflughafen nicht wie geplant in Betrieb geht. Von dieser Pleite könnte Leipzig-Halle profitieren, der deutsche Flughafen, der am stärksten wächst. Eine Zeitlang diente er vornehmlich als Autobahnraststätte, nun könnte er eine Ventilfunktion übernehmen. Vielleicht sogar auf Dauer.

Michael Kuntz, Leipzig

Das Debakel um den Berliner Großflughafen weckt 150 Kilometer weiter südlich Hoffnungen. Dort steht nämlich ein betriebsbereiter Airport - er ist gut erreichbar auf Autobahnen und Schienen. Vor allem: er ist nicht überlastet. "Leipzig-Halle ist immer eine Alternative", sagt Markus Kopp, 45, seit fünf Jahren Alleinvorstand der Mitteldeutschen Flughafen AG.

"Leipzig-Halle ist immer eine Alternative": Der Flughafen könnte von dem Flughafen-Debakel in Berlin profitieren. (Foto: dapd)

Das Chaos ist absehbar. In der Nacht zum Sonntag sollte der Großflughafen Berlin Brandenburg in Betrieb gehen. Die Verschiebung dieses Datums auf den 17. März 2013 stürzt, darüber wird seit Wochen berichtet, etliche mittelständische Unternehmer ins Unglück und bereitet Airlines Probleme. Wie groß die sein werden, dies könnte sich bereits in den nächsten Tagen zeigen.

Der Flughafen Tegel sollte eigentlich stillgelegt werden. Die Abfertigungsanlagen wurden auf Verschleiß gefahren, nur noch das Nötigste gemacht. Nun sollen sie plötzlich fast ein Jahr länger halten. Das Gedränge beim Einchecken und an den Gepäckbändern nimmt heute schon dramatische Formen an.

Es wird noch schlimmer kommen.

Denn sowohl die Lufthansa als auch Air Berlin wollen von Juni an ihr Flugprogramm in die Hauptstadt deutlich erweitern. Sie halten auch ohne den neuen Großflughafen daran fest.

Wie soll das erst werden mit dem geplanten starken Wachstum am neuen Flughafen, das jetzt in Tegel abgewickelt wird?", fragt Kopp. Auf den alten Flughäfen Schönefeld und vor allem in Tegel dürfte es unter diesen Umständen spätestens zu Beginn der Sommerferien am 21. Juni richtig eng werden. "Da bieten wir gern unsere Hilfe an und unsere Infrastruktur. Wir sind darüber im Gespräch mit Veranstaltern und Carriern", sagt Kopp der Süddeutschen Zeitung.

Schon heute reisen Familien aus dem Großraum Berlin nach Leipzig, um in den Urlaub zu fliegen und dabei bequem ins Flugzeug zu kommen. Wegen der zeitlich versetzten Ferientermine können sie so unter Umständen bei Pauschalreisen viel Geld sparen. In jedem Fall parken sie günstig: Sie zahlen in Leipzig für eine Woche Parken am Flughafen so viel, wie in München ein Tag Parkhaus kostet.

Der Leipziger Flughafen-Chef ist überzeugt, dass man von den an der Autobahn gelegenen südlichen Stadtteilen Berlins nicht viel länger nach Leipzig braucht, als im Berufsverkehr zum neuen Flughafen Brandenburg. Wer mit dem Zug zum Ferienflieger reist, sei in knapp einer Stunde vom Berliner Hauptbahnhof am Terminal in Leipzig. Fernbusse fahren vom Funkturm aus in 70 Minuten. Für Leipzig wäre es nicht schlecht, ein paar Fluggäste aus Berlin zu bekommen, die Kapazitäten sind da.

Die Entwicklung des Flughafens Leipzig-Halle in den zwei Jahrzehnten deutscher Einheit ist unter dem Strich eine Erfolgsgeschichte. Es wird zwar noch lange dauern, bis die hohen Investitionen wieder hereingeholt werden, doch im laufenden Betrieb macht der sächsische Airport Gewinn. Eigentlich ist er nur ein Regionalflughafen, aber einer mit gleich mehreren Alleinstellungsmerkmalen in Europa. Hier werden nicht nur Passagiere abgefertigt. Fracht und noch mal Fracht, Wartung von Flugzeugen, Passagiere - so lautet die Erfolgsformel.

Die Post-Tochter DHL betreibt in Leipzig-Halle seit 2008 ihr Drehkreuz mit 60 Starts und Landungen pro Nacht. Sogar eine Verbindung rund um die Welt gibt es regelmäßig. Leipzig ist Heimatflughafen für die AeroLogic, eine gemeinsame Frachtfluggesellschaft von Lufthansa und DHL. Wo sich ein großes Logistikunternehmen ansiedelt, folgen oft mehrere. Die Lufthansa Cargo zog 2009 in das World Cargo Center ein, eine spezielle Halle für Luftfracht. Zwei russische Antonov 124 sind ständig in Leipzig stationiert und vorwiegend für die Nato unterwegs. Für die Großtransporter wird gerade eine Wartungshalle errichtet.

Im Bau sind auch ein Bahnanschluss für weitere Frachtflächen und ein Frachtzentrum für die zur Logistik-Gruppe Dietz gehörende ACC Air Center Cargo Leipzig. Es soll 2014 fertig werden. Im Frachtverkehr werden von Leipzig aus 58 Flughäfen in 33 Ländern angeflogen, das sind deutlich mehr, als von den Passagierflugzeugen.

Im vergangenen Jahr wurden 760 000 Tonnen Fracht transportiert, das entspricht der Ladung von 38 000 Lastwagen. Leipzig-Halle ist damit die Nummer fünf unter den Fracht-Airports in Europa nach Paris, Frankfurt, London und Amsterdam. So soll es weitergehen. Kopp: "Die dynamische Entwicklung Europas wird ostwärts wandern." Die nächsten vergleichbaren Frachtflughäfen gibt es erst in Budapest und Wien.

Ein Standortvorteil von Leipzig ist, dass es kein Nachtflugverbot im Frachtverkehr gibt. Anders als an anderen Flughäfen ist in Leipzig von Anfang an kommuniziert worden, dass dies ein großes wirtschaftliches Plus ist und Jobs schafft. Flughäfen sind Jobmaschinen. Auf dem in Leipzig arbeiten 5800 Menschen, davon nur 600 bei der Betreiberfirma selbst.

Allerdings erfüllten sich bisher nicht alle Hoffnungen, die in den Flughafen gesetzt worden sind, der in DDR-Zeiten die meiste Zeit des Jahres eine Autobahn-Raststätte am Schkeuditzer Kreuz gewesen ist und nur zu den Leipziger Messen zweimal im Jahr wenige Wochen lang für den Flugbetrieb geöffnet war.

Vieles war provisorisch. Der Tower damals war aus einem Betonbausatz für ein Bahn-Stellwerk errichtet, die Verwaltung sitzt heute noch in einem DDR-Plattenbau, Modell Altenheim. Daneben steht seit neun Jahren ein Terminal, das Bahnhof, Abfertigung, Läden und Parken unter ein Dach bringt. Hier ist nicht viel los. Der Passagierverkehr bleibt eine herausfordernde Aufgabe in einer Region ohne Hauptquartiere von großen Unternehmen, räumt Kopp ein. Zwei Drittel der Fluggäste reisen privat. Sie finden anders als an den meisten Flughäfen paradiesische Verhältnisse vor: Der Flughafen könnte vier Millionen Menschen im Jahr abfertigen, hatte 2011 aber nur 2,3 Millionen Passagiere. Es waren schon mal mehr. Absehbar ist zum Beispiel, dass es künftig weniger Truppentransporte für die amerikanische Armee geben wird. Die Soldaten reisen in zivilen Charterjets und sorgen nebenbei in der Region für Tausende Hotelübernachtungen im Monat.

Kopp setzt nun nicht allein auf das Debakel in Berlin. Er hat den Billigflieger Ryanair nach Leipzig geholt und verdient damit vom ersten Tag an Geld. Andere Flughäfen subventionieren den Billigflieger und machen sich teilweise sogar wirtschaftlich von ihm abhängig. Ryanair bescherte Leipzig-Halle in den ersten drei Monaten des Jahres mit 14 Prozent das stärkste Wachstum unter den deutschen Flughäfen.

Der Flughafen an der Grenze der Bundesländer Sachsen und Sachsen-Anhalt könnte eine Ventilfunktion übernehmen. Nicht nur jetzt vorübergehend, während in Berlin ein Chaos droht - sondern auf Dauer. Denn der neue Großflughafen Berlin-Brandenburg wird von Anfang an an Kapazitätsgrenzen stoßen. Wenn er eröffnet wird, ist er eigentlich schon wieder zu klein. Kopp lädt Fluggäste und Airlines ein: "Auch dann ist Leipzig-Halle eine gute Alternative".

Der Flugplatz auf halber Strecke zwischen den Städten Leipzig und Halle könnte dann doch noch ein wenig vom Metropolen-Glamour abbekommen. In den frühen neunziger Jahren gab es mal den kühnen und rasch wieder verworfenen Plan, ihn zum Berliner Großflughafen auszubauen. Die Hauptstadt sollte mit der Magnetbahn Transrapid in 20 Minuten zu erreichen sein. Aus dem Großflughafen Berlin-Leipzig wurde nichts und aus dem Transrapid auch nicht.

© SZ vom 02.06.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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