Musikindustrie:Mit der Umsonst-Strategie gegen Umsonst-Angebote

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Pop- und Rockgruppen finden neue Wege, ihre Musik zu verkaufen. Großen Konzernen wie EMI fällt das Umdenken hingegen schwer - sie kämpfen ums Überleben.

A. Oldag

Der Trick mit dem Klo funktionierte: Die US-Rockgruppe Nine Inch Nails (NIN) ließ USB-Sticks mit ihrer Musik in Toiletten von Restaurants und Kneipen auslegen. Die Gratis-Angebote weckten das Interesse der Fans. Diese zahlten dann auch ohne Murren für Musik-Downloads der Gruppe im Internet.

Die Nine Inch Nails mit ihrem Frontmann Trent Reznor (im Bild) gelten als Vorreiter, was innovative Vermarktung angeht - und machen Gewinn. (Foto: Foto: Reuters/Ethan Miller)

NIN-Impresario Trent Reznor gilt mittlerweile als Trendsetter der Branche: Für ihr Album "Ghosts I-IV" wählten die Künstler verschiedene Vertriebswege. So gab es bei neun Stücken eine kostenlose Download-Version. Dagegen ging eine auf 2500 Stück limitierte "Ultra Deluxe Limited Edition" mit einem Autogramm von Reznor für 300 Dollar über den Ladentisch. Innerhalb von zwei Tagen war das Album ausverkauft.

Einbrüche bei Musikkonzernen

Während Musikkonzerne wie Universal, Sony BMG, Warner Music und EMI mit Einbrüchen bei Verkäufen von Compact Discs (CDs) kämpfen, schlagen innovative Rockgruppen neue Wege ein. Dabei versuchen sie, sich aus der Umklammerung der Musikfirmen zu lösen, die ihnen häufig zu wenig Freiraum lassen.

Der US-Rapper P. Diddy etwa betätigt sich als Mode-Designer. Die Künstler profilieren sich als Marke, um den Herausforderungen des digitalen Zeitalters zu begegnen.

Auch im Mutterland der Rock- und Popmusik, Großbritannien, haben die Gruppen die neuen Trends erkannt. Die Bands Coldplay, Spice Girls und Iron Maiden kassierten im vergangenen Jahr für ihre Stücke auf internationalen Märkten Lizenzgebühren in Rekordhöhe.

Zum Erfolg dieser Gruppen trugen auch ihre Bühnen-Auftritte bei. Fans sind bereit, für Karten bis zu über 100 Euro zu zahlen. Das füllt die Kassen, kurbelt aber auch den Verkauf übers Internet an. Die Gruppe Radiohead machte Furore, als sie Fans einlud, für Internet-Downloads das zu zahlen, was sie wollten.

Steigerung der Lizenzeinnahmen

Nach Angaben der Urheberrechts-Organisation PRS for Music, die vergleichbar mit der deutschen GEMA ist, beliefen sich die Lizenzeinnahmen britischer Rock- und Popgruppen 2008 auf 139,6 Millionen Pfund (etwa 153 Millionen Euro) - eine Steigerung um 15 Prozent gegenüber dem Vorjahr.

Am erfolgreichsten waren britische Bands in den USA. Deutschland folgt auf dem zweiten und Frankreich auf dem dritten Platz. Zu den Höchstverdienern zählen The Police, Iron Maiden, Coldplay, Spice Girls und Elton John.

Die Erfolgsmeldungen der PRS sollten allerdings nicht über die strukturellen Probleme der Branche hinwegtäuschen. "Die Branche wird noch immer von einer enormen Zahl illegal bereitgestellter Musik überschattet", so der harsche Befund des Internationalen Verbands der Musikindustrie IFPI in seinem Jahresbericht.

Etwa 40 Milliarden Musikdateien wurden 2008 illegal heruntergeladen. 95 Prozent der Downloads brachten den Künstlern und Produzenten keinen Cent ein. Das wird auch in diesem Jahr kaum anders sein.

Da ist es nur ein schwacher Trost, dass der Verkauf von Singles und Alben weltweit im Internet zum sechsten Mal in Folge stieg und 2008 für einen Umsatz von 2,8 Milliarden Euro sorgte.

Der Anteil der im Internet verkauften Musikdateien am Gesamtumsatz der Musikindustrie betrug im vorigen Jahr 20 Prozent gegenüber 15 Prozent 2007. Die Margen für Downloads sind allerdings erheblich geringer als bei der CDs.

Lesen Sie auf der zweiten Seite, mit welchen Strategien der Musikkonzern EMI überleben will.

Doch die Generation Myspace und Youtube verschmäht die silbernen Scheiben. Junge Leute laden sich ihre Musik lieber aus dem Internet herunter.

Das Netz ist längst zum weltweiten Umschlagsplatz Nummer eins für Musik geworden. Und alles ist billiger oder sogar umsonst. Nun zittern vor allem die traditionellen Musikfirmen, die sich viel zu lange auf die CD als Hauptumsatzträger verlassen haben, um ihre Zukunft.

Internetkonzerne wie Google dringen in deren angestammtes Geschäft vor. Hauen und Stechen herrscht auf dem Markt. So tobt ein erbitterter Streit zwischen der britischen Urheberrechtsgesellschaft PRS for Music und der zu Google gehörenden Plattform Youtube.

PRS beharrt auf einer Gebührenerhöhung zugunsten seiner 60.000 Mitglieder. Dagegen sperrt sich das Internet-Videoportal und hat begonnen, den Zugang für britische Nutzer zu sperren.

Viele Experten sind der Meinung, dass solche Konflikte weder der Musikindustrie noch den Gruppen etwas einbringen. "Es ist eine bittere Pille. Doch der einzige Weg, Umsonst-Angebote zu bekämpfen, ist eine Umsonst-Strategie", erklärt Mark Mulligan von der britischen Marktforschungsgesellschaft Jupiter Research.

Die Industrie sollte ihr Geschäftsmodell umkrempeln, fordert Mulligan. Die Branche könne sich nicht länger auf den Vertrieb des Produkts Musik als Hauptumsatzträger verlassen und müsse stattdessen andere Gewinnquellen erschließen. In den Chefetagen der Musikkonzerne kommen solche neuen Töne nicht immer an.

Fehlende Erfahrung

Häufig fehlt den Managern die Erfahrung, wenn sie sich auch als Fan-Artikel-Verkäufer oder Konzertveranstalter betätigen sollen.

Zudem zeigt das Beispiel EMI, dass die Firmen zunächst ihre Altlasten einer jahrelang verfehlten Strategie wegräumen müssen. Der britische Traditionskonzern wurde 2007 von dem Investor Guy Hands und seiner Investmentgesellschaft Terra Firma für vier Milliarden Pfund übernommen.

Hands hat EMI inzwischen von der Börse genommen und muss 2,4 Milliarden Pfund Schulden zurückzahlen. Im vergangenen Jahr erlitt das Unternehmen einen Verlust von 729 Millionen Pfund.

Hands hat deshalb einen drastischen Sparkurs eingeschlagen. Ein Drittel der 5500 Stellen sollen wegfallen. Der Investor beklagte sich, dass von 14.000 unter Vertrag stehenden Künstlern nur 200 die Hälfte der Konzerneinnahmen erwirtschaften.

Nun will Hands durchsetzen, dass sich die Künstler verstärkt durch Sponsoren finanzieren lassen. Außerdem will er das Internet- und Konzertgeschäft mit attraktiveren Angeboten ankurbeln. "Wenn sich die Musikindustrie nicht bewegt, ist sie zum Sterben verdammt", meinte Hands. Das sieht Trent Reznor von Nine Inch Nails sicherlich nicht anders.

© SZ vom 14.04.2009/kaf/pak - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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