Michael Otto:"Mehr als 90 Prozent verhalten sich anständig"

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Der Milliardär Michael Otto über seinen Rückzug aus dem Tagesgeschäft und warum Manager und Unternehmer mit ihren Kritikern mehr diskutieren sollten.

M. Thiede

Michael Otto, 65, widmet sich nach seinem Rückzug aus dem Tagesgeschäft des Otto Versandes nicht nur Skifahren und Tennis, Yoga und Volleyball, sondern auch der Verwaltung des Vermögens der Hamburger Unternehmerfamilie. Es wird auf 5,4 Milliarden Euro geschätzt. Künftig will Otto sein gesellschaftliches Engagement verstärken. Bereits 1993 hatte er die Michael-Otto-Stiftung gegründet, um die Lebensgrundlage Wasser zu schützen, besonders Seen und Flüsse in den neuen Ländern. In Hamburg förderte er auch umweltgerechte Wasserwege, Hauptschulen und die Olympia-Bewerbung 2003.

Seit seinem Rückzug aus dem Tagesgeschäft, schafft es Michael Otto häufiger um acht Uhr zu Hause zu sein. (Foto: Foto: AP)

SZ: Herr Otto, vor zehn Monaten haben Sie sich aus dem Tagesgeschäft Ihres Unternehmens zurückgezogen. Wie bekommt Ihnen die Abstinenz?

Otto: Außerordentlich gut. An den grundsätzlichen strategischen Entscheidungen bin ich ja weiter beteiligt, aber in das Tagesgeschäft mische ich mich, ganz klar, nicht mehr ein. Das sehe ich mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Das weinende Auge sieht noch, wie spannend es war, wenn wir zum Beispiel den Eintritt in neue Länder vorbereiteten. Da bin ich jetzt nicht mehr dabei. Aber das lachende Auge sieht die viele Tagesarbeit eines Vorstandsvorsitzenden. Davon befreit zu sein, ist schon etwas sehr Angenehmes.

SZ: Wie oft sind Sie im Büro?

Otto: Eigentlich täglich. Aber morgens komme ich eine halbe Stunde später als früher, und abends bin ich in der Regel vor acht Uhr zu hause - was früher nicht der Fall war. Ich habe hier im Büro aber nicht nur mit der Otto-Gruppe zu tun. Daneben gibt es einige andere Aufsichtsratsmandate, Ehrenämter und Stiftungen.

SZ: Vor einem Jahr haben Sie angekündigt, dass Sie sich auch neuen Aufgaben widmen wollen und dafür das zweite Halbjahr angepeilt. Gibt es schon Neues?

Otto: Ich will erstmal bis zum Herbst warten, wie sich meine zeitliche Inanspruchnahme weiterhin gestaltet. Bisher habe ich konsequent alle Anfragen abgesagt. Wenn ich den Überblick habe, werde ich entscheiden, was mir Spaß macht, wo ich etwas bewegen kann und ob das zeitlich hineinpasst. Eines ist aber sicher: Etwas mehr Freizeit als früher möchte ich schon haben.

SZ: Wäre die Politik eine Option?

Otto: Nicht aktiv, aber beratend durchaus. Wenn man so lange als Unternehmenschef mit schnellen Entscheidungen und Umsetzungen tätig war, dann tut man sich schwer, die langwierigen und zum Teil mühseligen Prozesse in der Politik zu ertragen. Ich fürchte, dafür bin ich nicht geeignet.

SZ: Anfang des Jahres haben Sie 25 Prozent Ihres Unternehmens von der WAZ-Gruppe zurückgekauft. Wie fühlt sich das an, wenn einem plötzlich kein Fremder mehr über die Schulter schaut?

Otto: Das fühlt sich ganz hervorragend an. Familienunternehmen haben ja häufig ein Interesse daran, dass sich andere beteiligen, etwa um für ihre Expansionspläne mehr finanzielle Möglichkeiten zu haben. Aber es sollten strategische Investoren sein, die auch dieselben Ziele verfolgen. In unserem Fall gab es zum Teil unterschiedliche Auffassungen. Wir sind mit diesem Schritt jetzt unabhängiger geworden, weil es unsere Intention ist, einen großen Anteil vom Gewinn im Unternehmen zu belassen. Und natürlich können wir jetzt auch Entscheidungen schneller treffen, wenn wir zu 100 Prozent Eigentümer sind.

SZ: Warum hatten Sie denn die WAZ-Gruppe reingenommen?

Otto: Mein Vater hatte Anfang der sechziger Jahre sogar die Hälfte des Unternehmens verkauft, um Mittel für andere Aktivitäten wie zum Beispiel das Immobiliengeschäft zu haben. Ich habe dann Anfang der achtziger Jahre die ersten 25 Prozent zurückgekauft, und jetzt hat sich die Gelegenheit ergeben, die restlichen Anteile zu erwerben.

SZ: Ist es gut, wenn sich die Politik in solche Fälle einmischt?

Otto: Das kann in Einzelfällen sicherlich sinnvoll sein, in denen nationale Interessen in hohem Maße berührt werden. Aber mit Restriktionen muss man sehr vorsichtig umgehen, denn die bekommen der Weltwirtschaft insgesamt nicht gut.

SZ: Sind Sie in dem Hamburger Konsortium, das für Hapag-Lloyd ein Angebot abgegeben hat?

Otto: Nein.

SZ: Warum nicht?

Otto: Wir haben mit der Otto Group andere Investitionsschwerpunkte.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, warum Michael Otto kein Unternehmen feindlich übernehmen würde.

SZ: Man sagt gerne, dass ein Nachteil von Familienunternehmen die schlechteren Finanzierungsmöglichkeiten sind. Wir erleben gerade den Gegenbeweis. Der Familienbetrieb Schaeffler will den Dax-Konzern Continental kaufen und nutzt dafür modernste Finanzmarktinstrumente. Sind Familienunternehmen die Heuschrecken von morgen?

Otto: Das Beispiel zeigt doch nur, dass Familienunternehmen durchaus kapitalkräftig sind und große Übernahmen bewältigen können. Das wurde bisher in den Medien unterschätzt. Aber es gibt einen grundsätzlichen Unterschied zu den sogenannten Heuschrecken: Wenn Familienunternehmen investieren, dann sind sie strategisch und langfristig orientiert. Sie werden sich in der Regel nicht nach drei Jahren wieder gewinnbringend von einer Beteiligung trennen.

SZ: Das Conti-Management wehrt sich heftig gegen Schaeffler. Wäre es denkbar, dass Otto ein Unternehmen feindlich übernähme?

Otto: Ob dies eine feindliche Übernahme ist, will ich nicht kommentieren. Wir würden ein Unternehmen sicherlich nicht feindlich übernehmen.

SZ: Warum nicht?

Otto: Wenn man ein Unternehmen feindlich übernimmt, dann übernimmt man eine demotivierte Mannschaft. Und mit einer demotivierten Mannschaft wird man nie wirklich erfolgreich sein. Wichtig ist, dass die Mannschaft gemeinsam mit dem neuen Eigentümer zu neuen Ufern aufbrechen will.

SZ: Ein anderer aktueller Fall aus der Wirtschaft sorgt für Schlagzeilen: Der Dax-Konzern Tui will Hapag-Lloyd verkaufen - meistbietend. In welche Hände die Tochter gerät, ist dabei zweitrangig.

Otto: Aus Hamburger Sicht würde ich es für gut und wichtig empfinden, wenn Hapag-Lloyd zumindest den Hauptsitz und die Mitarbeiter in Hamburg behielte. Aber man kann ausländischen Investoren nicht den Erwerb von deutschen Unternehmen verwehren. Umgekehrt investieren ja auch in Deutschland beheimatete Unternehmen im Ausland. Da muss man fair bleiben.

SZ: Die Otto-Gruppe ist Versandhändler, aber auch Logistiker. Wie werden die steigenden Transportkosten die Warenströme verändern?

Otto: Vom Grundsatz her wird sich durch steigende Transportkosten in der weltweiten Produktionsverteilung nichts ändern. Dafür ist der Kostenanteil der Fracht trotz aller Steigerungen nicht so hoch, dass er die Lohnkostenvorteile in Asien ausgleichen könnte. Verlagerungen werden auf Einzelfälle beschränkt bleiben. Aber man wird sich in der Logistik viel mehr Gedanken über Effizienz machen. Wir haben das Ziel, unseren Kohlendioxid-Ausstoß bis 2020 ein weiteres Mal um 50 Prozent zu senken. Dabei geht es vor allem um die Logistik. Zum Beispiel verlagern wir stärker von Luft- auf Schiffsfracht. Und Container wollen wir noch optimaler beladen. Bei der Zustellung an den Kunden arbeiten wir schon heute mit computergesteuerter Routenplanung, umweltfreundlichem Fuhrpark und Schulungen.

SZ: Das sind alles Sparmaßnahmen. Werden die hohen Spritpreise strukturell nichts verändern?

Otto: Erst, wenn sie noch deutlich kräftiger stiegen. Es ist ja schon erstaunlich, dass man hier in Hamburg Joghurt aus dem Allgäu bekommen kann, der sicherlich nicht viel anders schmeckt als einer aus Schleswig-Holstein. Da sind die Frachtkosten offenbar noch viel zu niedrig. Erst wenn diese auf die Preise durchschlagen, würde sich die Nachfragestruktur verändern.

SZ: Dem Straßenverkehr täte das auch gut. Ihr Geschäft lebt von einem reibungslosen Verkehrsfluss. Droht uns ein baldiger Verkehrsinfarkt?

Otto: Das ist bei einigen Streckenabschnitten zu befürchten. Im Straßennetz müssten die Investitionen gezielt in Knotenpunkte fließen, wo es ständig zu Staus kommt - auch aus umweltpolitischen Gründen. Denn nichts ist schlechter für das Klima als Staus. Aber die Bahn müsste in Zukunft die Hauptlast des Güterverkehrs tragen. Und da hapert es noch an Schnelligkeit und Zuverlässigkeit.

SZ: Tut die Bahn da zu wenig?

Otto: Da müsste sicher mehr gemacht werden, ob von der Bahn oder vom Bund.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, was Michael Otto zum Erscheinungsbild der deutschen Wirtschaft sagt.

SZ: Welches Bild gibt die deutsche Wirtschaft im Moment ab?

Otto: Kein besonders gutes. Das Bild ist leider von der Diskussion um überzogene Managergehälter und Skandale verzerrt. Sicherlich laufen einige Dinge nicht gut. Aber man vergisst, dass sich mehr als 90 Prozent der Manager und Unternehmer anständig verhalten, vernünftig handeln und etwas für die Wirtschaft und den allgemeinen Wohlstand tun. Und was gar nicht oft genug betont werden kann: Mit unserer Sozialen Marktwirtschaft haben wir ja vor 60 Jahren einen Weg beschritten, der uns den Wohlstand gebracht hat. Bei all ihren Schwächen: Es gibt keine Alternative zur Sozialen Marktwirtschaft.

SZ: Sie wollen mehr Lob?

Otto: Nein, aber weniger pauschale Kritik. Dabei sind wir Wirtschaftsführer auch selbst daran schuld, wenn sich ein so schlechter Eindruck der Wirtschaft in der Öffentlichkeit verfestigt. Wir agieren immer nur aus der Verteidigungsposition heraus, anstatt auf das Positive und Erfolgreiche hinzuweisen. Da müssen Unternehmer und Manager aktiver Überzeugungsarbeit leisten, dass die Marktwirtschaft und damit die Unternehmen per se viel Gutes tun, Arbeitsplätze schaffen und für Wohlstand sorgen.

SZ: Sie gehören doch sonst nicht zu denen, die sich gerne in die erste Reihe stellen und mit ihren Wohltaten hausieren gehen. Wieso dieser Meinungsumschwung?

Otto: Weil die Gesellschaft sonst in eine falsche Richtung läuft. Wenn man sieht, dass die DDR in Befragungen von vielen Jugendlichen heute als Sozialstaat angesehen wird, kann man nur entsetzt sein. Ein solcher Unrechtsstaat, der vor dem Bankrott stand! Da ist noch eine Menge Aufklärungsarbeit notwendig.

SZ: Und das wäre Aufgabe der Unternehmen?

Otto: Das ist auch die Aufgabe der Wirtschaft. Die Unternehmen müssen kommunikativer werden. Im Zweifel heißt das dann auch mal, sich an öffentlichen Gesprächsrunden zu beteiligen oder Vorträge zu halten. Sicher ist das eine Zeitfrage, aber viele Unternehmer haben einfach nur keine Lust, sich kritischen Fragen zu stellen. Aber das ist die falsche Einstellung, wenn wir die Akzeptanz der Marktwirtschaft und der Unternehmen verbessern wollen.

© SZ vom 04.08.2008/jpm/mel - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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