Medikamentenkauf:Schafft die Zuzahlungen ab!

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Die gesetzliche Krankenversicherung ist nach dem Solidarprinzip aufgebaut - der Versicherte zahlt nicht für sein eigenes Krankheitsrisiko, sondern für die Risiken aller. Doch auch das hat seine Grenzen. (Foto: Julian Stratenschulte/dpa)

Seit Jahren nehmen die Ausgaben von Patienten für verschreibungspflichtige Medikamente zu. Das ist ungerecht.

Kommentar von Kim Björn Becker

Das Rezept hat der Arzt von Hand ausgefüllt, natürlich schwer zu lesen, doch der komplizierte Name des Wirkstoffs ist für den Laien ohnehin kaum mehr als eine zufällig wirkende Abfolge von Buchstaben. Alles kein Problem für den Apotheker. Er verschwindet kurz im Hinterzimmer, öffnet eine dieser nicht enden wollenden Schubladen und legt nüchtern die Packung auf den Tisch: Sie sind mit der Anwendung vertraut? Gut. Macht dann zehn Euro, bitte.

Die gesetzliche Krankenversicherung in Deutschland ist nach dem Solidarprinzip aufgebaut - der Versicherte zahlt nicht für sein eigenes Krankheitsrisiko, sondern für die Risiken aller. Doch auch das hat seine Grenzen, eine davon verläuft genau über den Tresen des Apothekers. Denn selbst für verschreibungspflichtige Medikamente wird meist noch ein Obolus fällig. Zehn Prozent des Medikamentenpreises muss der Kranke selbst tragen, mindestens fünf und höchstens zehn Euro pro Packung, so sieht es das Gesetz vor.

Nur Arzneien, die besonders billig sind, wechseln ohne Zuzahlung den Besitzer. Ihre Zahl sinkt seit einiger Zeit kontinuierlich. Einer neuen Studie zufolge sind inzwischen nur noch 3600 Mittel von der Zuzahlung befreit, in fast 90 Prozent der Fälle handelt es sich dabei um Nachahmerpräparate. Die Summe der Zuzahlungen zu verschreibungspflichtigen Medikamenten klettert umgekehrt seit einigen Jahren unerbittlich: Im vergangenen Jahr betrug sie 2,1 Milliarden Euro, sechs Jahre zuvor waren es nur 1,7 Milliarden. Der Trend ist besorgniserregend - und könnte das Solidarprinzip der gesetzlichen Krankenversicherung eines Tages sogar an den Abgrund bringen.

Die Lösung wäre ein Gesundheitssystem, das auf Zuzahlungen ganz verzichtet

Zwei Milliarden Euro nur für Zuzahlungen zu wichtigen Medikamenten, dieses Geld fehlt den Betroffenen für andere Dinge. Kränkere werden dabei auch noch stärker belastet als Gesunde, weil sie in der Regel mehr Medikamente benötigen und darum häufiger zur Kasse gebeten werden. Wenn man unterstellt, dass der Mensch für seine Krankheiten nichts kann, dann ist das ungerecht. Allerdings hat der Gesetzgeber es wenigstens nicht versäumt, das Ausmaß dieser Ungerechtigkeit zu begrenzen: Maximal zwei Prozent des Bruttoeinkommens müssen Patienten für Eigenanteile in der medizinischen Versorgung ausgeben, danach übernimmt die Gemeinschaft. Bei chronisch Kranken liegt die Grenze bei einem Prozent des Einkommens. Doch auch das ist noch zu viel, wenn es wirklich gerecht zugehen soll.

Immerhin entkoppeln sich die Zuzahlungen der Patienten nicht von der allgemeinen Entwicklung der Gesundheitsausgaben. Im Gegenteil, beide laufen sogar auffallend parallel. Die Ausgaben der gesetzlichen Krankenkassen für Medikamente sind in letzter Zeit prozentual betrachtet annähernd genauso stark gestiegen wie die Zuzahlungen der Patienten: Im Jahr 2015 gaben die Kassen für Pillen und Salben fast 35 Milliarden Euro aus, die Patienten trugen etwas mehr als zwei Milliarden dazu bei; 2011 standen den 29 Milliarden an Gesamtausgaben Zuzahlungen von 1,8 Milliarden gegenüber.

Und das ist mitnichten nur ein Phänomen der Pharma-Branche, die Kosten steigen fast überall im Gesundheitswesen - und mit ihnen die Zuzahlungen der Versicherten, wo immer sie gesetzlich vereinbart sind. Zum Beispiel bei der Krankenhausbehandlung, bei der häuslichen Krankenpflege, bei Vorsorge und Reha. Zuletzt lagen die gesamten Ausgaben der gesetzlichen Kassen bereits bei mehr als 200 Milliarden Euro pro Jahr, die Versicherten gaben fast vier Milliarden ihres eigenen Geldes dazu - so viel wie nie zuvor, seitdem 2012 die unsinnige Praxisgebühr wieder abgeschafft wurde.

Der unaufhaltsam scheinende Anstieg der Gesundheitsausgaben führt dazu, dass das Solidarprinzip eines Tages tatsächlich an seine Grenze kommen kann: Der Eindruck vieler Menschen, dass sie für ihre medizinische Versorgung immer mehr aus eigener Tasche zahlen sollen, ist völlig richtig. Auch wenn es relativ gesehen nicht mehr Geld ist, so zahlen die Versicherten doch absolut von Jahr zu Jahr mehr. Wenn die Kosten sich weiterhin immer nur in eine Richtung entwickeln, nach oben nämlich, wird sich daran so bald nichts ändern.

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Von Kim Björn Becker

Die Lösung wäre ein Gesundheitssystem, das nicht nur sparsamer ist als das heutige, sondern auch gerechter - weil es alle Kosten der Behandlung trägt und auf Zuzahlungen ganz verzichtet. Dann wären die Krankheitsrisiken vollends vom Betroffenen losgelöst - und der Versicherte könnte einfach in die Apotheke marschieren, sein Rezept vorzeigen und wieder gehen. Ganz ohne sein Portemonnaie zücken zu müssen.

© SZ vom 04.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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