MAN:Der Freischwimmer

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Als Chef der Lkw-Sparte von VW soll Andreas Renschler MAN und Scania zusammenführen. Er macht sich Schritt für Schritt unabhängiger von Wolfsburg.

Von Thomas Fromm und Max Hägler, München

Andreas Renschler trat auf den Bürgersteig vor dem Spatenhaus in der Münchner Altstadt, vor ein paar Tagen erst war das. Ein Tellerfleisch hatte er gegessen, die Sonne schien, jetzt noch eine Zigarette. Renschler lächelte, wobei das bei diesem großen, ruhigen Mann eher ein Schmunzeln ist. Zufrieden wirkte er, zufrieden wegen eines Vorhabens, das gerade zu gelingen scheint und ihm zu großer Macht verhilft - und zu noch mehr Zeit in München, wo er so gern ist.

Andreas Renschler, seit mehr als drei Jahren Chef der Lastwagensparte des großen Volkswagen-Konzerns mit den Marken MAN, Scania und der VW-Nutzfahrzeugtochter, sprach mal wieder über die Möglichkeit, demnächst an die Börse zu gehen. Aber wirkte wie einer, der schon längst da angekommen ist, wo er hin will: an die Spitze eines Unternehmens, wo ihm keiner mehr reinredet. Wenn an diesem Mittwoch die Marke MAN zur Hauptversammlung ruft, dann wird das gewissermaßen der nächste Schritt dahin sein, ein Abarbeiten des Planes, den er schlicht "Next Level" nennt. Renschler will mit Geld von der Börse bis 2025 den profitabelsten Hersteller von Lastern und Bussen formen und sagt dazu Sätze wie: "Eine globale Aufstellung ist wichtig, um Schwankungen ausgleichen zu können." Bislang sind die Marken MAN und Scania vor allem in Europa präsent. Dass er das alles mit seinen Leuten selbst organisiert, ist dabei allein schon eine Leistung. Unter dem einstigen Patriarchen Ferdinand Piëch ist der Konzern gewachsen, auf nun zwölf Marken, wie stolz waren sie da. Renschler trennt nun zwei dieser Marken ab und verlagert die Leitung des ganzen Konstrukts nach München. Größeren Widerstand gibt es wider Erwarten nicht. Mittlerweile zieht selbst die Regierung in Niedersachsen mit, hält Renschlers Vorhaben für wirtschaftlich geschickt, obwohl die Lastwagensparte damit ihr Hauptquartier in Braunschweig aufgibt. Und auch die Eigentümerfamilien Porsche und Piëch sowie die Gewerkschaftsfunktionäre scheinen einverstanden, obwohl keine Mitglieder der Familien und keine Arbeitnehmervertreter aus Wolfsburg im Aufsichtsrat sitzen sollen.

Im weitvwerzweigten VW-Konzern gehören sie zu den größten Fahrzeugen überhaupt: Ein MAN-Truck wird im Münchner Werk gebaut. (Foto: Krisztian Bocsi/Bloomberg via Getty Images)

Dass Renschler das Freischwimmen aus den alten Strukturen gelingt, mag damit zu tun haben, dass der gelernte Bankkaufmann, der dann noch Wirtschaftsingenieurwesen studierte, Direktheit mit Diplomatie verbindet wie wenige andere. "Wir Trucker ticken anders, deswegen habe ich auch eine natürliche Distanz zur gewachsenen Kultur von Volkswagen." So beschreibt der 60-Jährige im Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung sein Verhältnis zum größten Fahrzeugkonzern der Welt. Eine kleine Spitze, ja, aber nett verpackt - und eine, die keinen direkt angreift. Fragt man ihn nach dem Börsengang, dann antwortet er: Natürlich gehe es darum, sich auch unabhängig von der Wolfsburger Mutter finanzieren zu können.

Das ist freilich nur die halbe Geschichte. Denn wer sich unabhängig von Wolfsburg am Markt finanzieren kann, ist auch sonst um einiges freier. Und der Stratege Renschler weiß, dass das Vorteile haben kann in einer Zeit, in der die Wolfsburger Auto-Dynastie weiterhin Abgasmanipulationen bei Dieselautos aufarbeiten muss.

Volkswagen ist ein Konzern, der gerne nach vorne schaut, aber im Gestern gefangen ist. Renschler dagegen, dessen Geschäft immer weit weg war von der Dieselaffäre, könnte - nach derzeitiger Hochrechnung - bis zu sieben Milliarden Euro mit einen Börsengang in die Kassen holen. Mit dem Erlös kann Renschler weiter dazukaufen, etwa in den USA und Asien, und seinem früheren Arbeitgeber Daimler, derzeit der Weltmarktführer für Nutzfahrzeuge, auf die Pelle rücken.

(Foto: Michael Sohn/AP)

Überhaupt, Daimler. Das ist sein Maßstab. Dort in Stuttgart führte er bis 2014 das Truck-Geschäft, machte sich Hoffnungen, den ganzen Konzern zu leiten, als Nachfolger von Dieter Zetsche. Denn auch wenn er mit dem Begriff spielt: Er ist nicht nur "Trucker", er hat sich auch einmal erfolgreich um Autos gekümmert, die ganz kleinen Smarts und die große M-Klasse. Als ihm in Stuttgart klargemacht wurde, dass das mit der Gesamtverantwortung nichts wird, auch weil sie nach Zetsche einen jüngeren Nachfolger wünschen, wechselte er nach Wolfsburg. Auch dort wurde er als Vorstandschef gehandelt, leise zwar, aber doch nicht völlig abwegig, vor allem, weil er unbelastet war im Hinblick auf Dieselmanipulationen. Das Problem: Der Ex-BMW-Mann Herbert Diess hatte mittlerweile das Rennen gemacht. Und was tat Renschler, der auch bei VW wieder ein wenig am Rande der Wahrnehmung sitzt? Er strickt sich nun eben seinen eigenen Konzern. Und er machte das so geschickt, wie man das in Wolfsburg kaum je für möglich gehalten hätte.

Die zwei Marken, die er verantwortet, sind natürlich rein von den Maßen her die größten im Konzern, und sie trugen im vergangenen Jahr 24 Milliarden Euro zum Konzernumsatz bei. Aber die Leute interessieren sich eben doch mehr für Tiguan, Passat, Audi und Porsche. Auch deswegen haben sie ihn machen lassen.

Zudem ist Renschler anders als viele Manager in dieser Branche, die oft vom Glamour ihrer Autos lebt und dem vermeintlich eigenen. Renschler, den eine schwedische Zeitung in diesen Tagen einen "vernarbten Veteran" nannte, ist nicht der Playboy-Typ. Er ist der Arbeiter, der einen Plan hat. Im nächsten Jahr könnte sich das derzeit als GmbH gebündelte Lkw-Geschäft loslösen - hinter den Kulissen soll bereits ein eigener Name entstehen, der nicht mehr an VW erinnert. Rasch soll das gehen, von zwölf Monaten ist die Rede. Wenn es dann so weit ist, wird er ein bisschen in München sein, in der neuen Zentrale, ein bisschen in Stuttgart, dort wo er mitten in der Stadt in einem Mehrfamilienhaus wohnt, ein bisschen im schwedischen Södertälj. Jedenfalls: Viel weniger in Wolfsburg, viel weniger also bei Volkswagen. Das ist dann nur noch ein Großaktionär.

© SZ vom 16.05.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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