MAN:Beziehungskiste

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Betriebsratsvorsitzender Saki Stimoniaris (li.) und Vorstandschef Joachim Drees müssen sich zusammenraufen, um MAN aus der Krise zu bringen. (Foto: Stephan Rumpf)

Saki Stimoniaris ist der Betriebsratschef und Joachim Drees der Manager. Sie müssen sich irgendwie zusammenraufen. Wenn sie "hart diskutieren", schweigen alle anderen.

Von Thomas Fromm, München

Im Büro von Saki Stimoniaris hängt Che Guevara gleich zwei Mal an der Wand: ein Bild des Comandante vorne neben der Tür, an der Wand gegenüber dann noch einmal der marxistische Revolutionär. Manchmal reicht ein Che eben nicht aus, und Stimoniaris sagt: "Ich muss Che Guevara immer im Blick haben - oder er mich!" Hasta la victoria siempre, immer bis zum Sieg.

Stimoniaris, 45, ist Betriebsratschef bei MAN, und natürlich ist so ein Lkw-Werk etwas anderes als eine kubanische Revolution, so wie der Stadtteil Allach nordwestlich von München mit seinen großen Lkw-Hallen ja auch irgendwie wenig mit Havanna gemein hat. Aber da dieses 258 Jahre alte Unternehmen, das früher mal ein riesiger Dax-Konzern war und heute eine große VW-Lkw-Tochter ist, gerade wieder mal in großen Umwälzungen steckt, ist so ein bisschen karibisches Revolutionsflair vielleicht ganz hilfreich. Vor allem, wenn man Che Guevara mag und die Löwen vom TSV 1860 München.

Im Büro von Joachim Drees, 51, hängt kein Bild von Che Guevara an der Wand, dafür ein in Quadranten aufgeteilter Lageplan des MAN-Werks, der nicht gerade revolutionär aussieht. Revolution passt auch nicht zu dem Manager, der mal in einer Beratungsfirma für Bauprojekte gearbeitet hat, die sein Vater mit gegründet hat. Drees ist erst seit 16 Monaten bei MAN, und er sagt Dinge wie: "Ich bin grundsätzlich nicht nostalgisch, ich schaue lieber nach vorne als nach hinten."

Stimoniaris und Drees sind also sehr unterschiedliche Menschen. Gäbe es da nicht dieses Unternehmen MAN, wären sie sich wohl nie über den Weg gelaufen. Jetzt aber sitzen beide hier und können gar nicht anders, als nach vorne zu schauen.

Es gibt einige große Konzerne in Deutschland, die sich in den vergangenen Jahren sehr verändert haben. Aber bei MAN waren die Veränderungen besonders. Vor zehn Jahren wollten die Münchner den schwedischen Rivalen Scania kaufen. Das ging schief, und Volkswagen übernahm gleich beide. Dazu kam eine Schmiergeldaffäre; Vorstände kamen und gingen wieder. "Die Kollegen haben sich damals nicht dafür interessiert, wer hier wen schlucken wollte", erinnert sich Stimoniaris. "Sie wollten sichere Arbeitsplätze."

VW? Scania? Ach was. "Wir waren und werden immer stolze MANler sein, egal wer uns kauft", sagt der Betriebsrat heute. Bei so einer Übernahme gehe es eh "nur um Geld und Aktien".

Ein "MANler aber bleibt MANler".

Die Münchner haben turbulente Zeiten hinter sich; jetzt müssen sie ihre Zukunft planen. Der Wettbewerb mit größeren Gegnern wie Daimler ist hart. Drees sagt, die vergangenen Jahre seien "sehr herausfordernd für das Unternehmen" gewesen, und viele Kollegen hätten sich "auf einmal als Underdogs" gefühlt. "Deshalb müssen unsere Mitarbeiter sehen, dass wir jetzt Fortschritte machen."

"Wir sind hier ja nicht Google oder irgendein Start-up."

Die ganz großen Entscheidungen werden längst bei VW getroffen, wo der frühere Daimler-Manager Andreas Renschler einer neuen Truck-Holding für MAN und Scania und dem VW-Nutzfahrzeuggeschäft vorsteht. Auch er ist kein Nostalgiker. Seine Aufgabe: Unter VW-Führung soll das MAN-Truck-Geschäft profitabler und enger mit dem von Scania verzahnt werden.

258 Jahre Geschichte? Schön und gut.

Hier kommen nun die unterschiedlichen Männer Drees und Stimoniaris zusammen. "Wir müssen jetzt sparen, weil MAN vor einigen Jahren zu hohe Kapazitäten aufgebaut hat", sagt der Betriebsrat, und es klingt nur wenig nach Karibik-Sozialismus. "Wir haben jetzt deutlich mehr als 9000 Stellen hier in München. Von den mehr als 33 000 Stellen gruppenweit fallen jetzt 1400 weg - aber sozialverträglich, mit Möglichkeiten wie Altersteilzeit oder Abfindungen." MAN baut um, seit vielen Monaten. Das alte Lkw-Werk in Salzgitter wird zu einem Komponenten- und Zulieferbetrieb, das Buswerk in Plauen wurde dichtgemacht, woanders wurde verlagert und zusammengelegt.

Gleichzeitig rücken MAN und Scania näher zusammen. Die Münchner nutzen Getriebe aus Schweden, die wiederum bedienen sich bei Achsen von MAN. Das hilft alles, Geld zu sparen. Bei MAN kann man in diesen Tagen über ziemlich jeden Sparplan diskutieren - wenn man richtig verhandelt. Fragen an die Verhandlungspartner: Ist Herr Drees konstruktiv, Herr Stimoniaris? "Ich glaube schon." Wie läuft die Arbeit mit dem Betriebsratschef, Herr Drees? "Saki ist ein schwieriger Partner, und er kann auch bockig sein. Aber er ist zuverlässig, und wenn wir uns die Hände gegeben haben, dann steht er auch dazu."

Und wie ist es, wenn verhandelt wird? "Wenn wir hart diskutieren, sind alle anderen im Konzern ruhig", sagt Stimoniaris.

Themen gibt es genug, alte und neue. Denn es ist nicht so, dass MAN in den nächsten Jahren weniger Leute bräuchte - das Unternehmen wird vor allem andere Leute brauchen, wenn in ein paar Jahren Lkw autonom und in großen Kolonnen über die Autobahnen fahren sollen.

Und so haben diese beiden unterschiedlichen Männer viel zu verhandeln. "Wir werden in den nächsten Jahren viel Geld in unsere Zukunft investieren", sagt Drees. "Digitalisierung, autonomes Fahren, neue Geschäftsmodelle - wir brauchen auch modernere Produkte, da hat MAN in den vergangenen Jahren zu wenig gemacht, da haben wir Nachholbedarf."

Neue, junge Leute mit IT-Kenntnissen werden eingestellt; Leute, die auch zu Google gehen könnten, zu einem IT-Start-up oder zu BMW. Da waren Drees und Stimoniaris nicht immer einer Meinung. "Wir haben lange über die Digitalisierung diskutiert, weil wir wollten, dass die neuen Kollegen unbefristete MAN-Verträge bekommen", sagt Stimoniaris. "Wir sind hier ja nicht Google oder irgendein Start-up - wir sind der Lkw- und Busbauer MAN, und da gelten für alle die gleichen Standards."

Vertragliche Standards schon, aber ansonsten ist die neue MAN-Welt ziemlich anders als die alte. "Wir haben unsere Digital-abteilung ja nicht zufällig in der Parkstadt Schwabing untergebracht", erklärt Drees. "Die wollen nicht sehen, wie Achsen eingebaut werden, sondern in der Nähe von Google und anderen IT-Büros arbeiten." Saki Stimoniaris, der Mann mit den Che-Guevara-Bildern, arbeitet nicht in der angesagten Parkstadt Schwabing. Wer ihn besuchen will, muss durch eine Werkshalle in Allach laufen. Wäre es im karibischen Inselparadies nicht vielleicht doch angenehmer als in München? Stimoniaris sagt: "Ach wo, bei MAN ist es viel besser."

© SZ vom 18.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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